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PolitikNahost

EU-Libanon-Hilfe: Segen oder Fluch für syrische Flüchtlinge?

Cathrin Schaer
12. Mai 2024

Eine Milliarde Euro will die Europäische Union dem Libanon geben, um syrische Flüchtlinge zu versorgen. Doch die Hilfe könnte die Situation sogar noch verschärfen, sagen Kritiker.

Libanon Beirut | Ursula von der Leyen, Nikos Christodoulides und Nabih Berri
Ursula von der Leyen und Nikos Christodoulides trafen sich mit dem Sprecher des libanesischen Parlaments Nabih Berri (r.) in BeirutBild: Hussein Malla/AP/picture alliance

Schon kurz nachdem das Hilfsabkommen zwischen der EU und dem Libanon verkündet wurde, gab es Kritik an diesem Deal. "Das libanesische Volk ist nicht käuflich," erklärte etwa der Politiker Gebran Bassil in einem Interview.

Andere Oppositionspolitiker veröffentlichten ein Statement, in dem es hieß: "Sicherheit, Stabilität und die Zukunft der Libanesen wurden für 30 Silberlinge verkauft."

Das Abkommen wurde während eines Besuches von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und dem zypriotischen Präsidenten Nikos Christodoulides in Beirut verkündet. Es geht um eine Milliarde Euro, die bis 2027 fließen sollen. Der Großteil des Geldes - etwa 736 Millionen Euro - ist dafür gedacht, die Versorgung der Flüchtlinge im Libanon, die überwiegend aus Syrien kommen, zu gewährleisten. Vom Rest soll die Kontrolle der Grenzen und der illegalen Migration verbessert werden.

Warum die Wut über das Hilfsabkommen?

Seit Beginn des Krieges 2012 gibt es Spannungen zwischen Libanesen und Syrern, die jetzt im Land leben. Durch die jüngsten wirtschaftlichen und politischen Krisen wurden diese Spannungen noch verschärft.

Syrische Flüchtlinge im Libanon, denen die libanesische Armee vorwirft, illegal über die Grenze gekommen zu seinBild: Lebanese Army Website/AP Photo/picture alliance

Populistische Politiker fordern, dass Syrer ohne Papiere das Land verlassen müssen und Menschenrechtsgruppen berichteten, dass libanesische Sicherheitskräfte syrische Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen, indem sie sie einfach einsammeln und an der Grenze aussetzen. In Syrien werden Einheiten, die dem Diktator Baschar al-Assad treu ergeben sind solche Rückkehrer wahrscheinlich ins Gefängnis werfen, sie foltern oder töten oder sie zwangsweise in die syrische Armee einziehen.

Das europäische Hilfspaket soll gegen diese Entwicklungen helfen. Doch Beobachter erklärten gegenüber der DW, dass sich die Situation dadurch eher noch verschlimmere.

Europäische Bestechung?

Bestechung wird der EU im Libanon vorgeworfen, weil einige Libanesen denken, die EU zahle nur, um dafür zu sorgen, dass in der EU unerwünschte Syrer im Libanon blieben. Der libanesische Premierminister Najib Mikati widersprach dem in einem TV Interview öffentlich.

Zum Teil, sagt Philippe Dam, der Direktor von Human Rights Watch EU in Brüssel, sei der Verdacht verständlich. "Ein Körnchen Wahrheit könnte da schon drinstecken, wenn man sich den Tausch-Ansatz anschaut, den die EU gegenüber illegaler Migration einnimmt. Der besteht im wesentlichen darin, andere Staaten dafür zu bezahlen, dass sie die Leute fernhalten," erklärt er mit Blick auf Vereinbarungen, die mit der Türkei und Tunesien getroffen wurden.

Libanon: Protest gegen das "Resettlement" von syrischen FlüchtligenBild: Fadel Itani/NurPhoto/picture alliance

Die Details des Deals mit dem Libanon sind außerdem weiter unklar. Auch das, sagte Dam der DW, sorge für Spannungen. Es gebe aber auch positive Aspekte bei dem Abkommen, wie etwa die Hilfe bei der Grundversorgung im Libanon.

"Allerdings," fährt er fort, "hat (von der Leyen) auch einige sehr problematische Dinge gesagt. Sie kündigte Unterstützung für die libanesischen Sicherheitskräfte bei Migration und Grenzmanagement an. Das könnte problematisch werden, denn diese Leute führen auch zwangsweise Deportationen von Syrern aus."

"Außerdem sprach sie von einem strukturierten Ansatz bei freiwilliger Rückkehr (…) und zwar in einer Weise, die Rückkehr tatsächlichem Schutz vorzieht," betont er. Menschenrechtsgruppen wie seine eigene machen sich Sorgen, dass dies ein Schritt sein könnte, Teile Syriens als sicher für Rückkehrer einzustufen.

"Der Krieg in Syrien ist nicht vorbei," hatten die Regierungen Deutschlands, der USA, Großbritanniens und Frankreichs noch im März in einer gemeinsamen Erklärung gesagt. "Die Bedingungen für eine sichere, würdevolle und freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft sind noch nicht erfüllt."

Ein "gefährlicher" Deal für syrische Flüchtlinge

Es sei niemals um die Unterstützung syrischer Flüchtlinge gegangen, fügt Kelly Petilla hinzu, Programm-Managerin für Nahost und Nordafrika beim European Coucil on Foreign Relations. "Hier geht es vor allem darum, Migration nach Zypern und den Rest Europas zu verhindern." Dem libanesischen Militär Geld zu geben, so Petillo, "bedeutet mehr Unsicherheit für syrische Flüchtlinge. Der Druck auf sie wächst, das Land entweder selbst zu verlassen oder ausgewiesen zu werden. Das führt zum Gegenteil dessen, was von der Leyen scheinbar erreichen will und führt zu größerem Druck auf Syrer, sich Richtung Europa auf den Weg zu machen."

Willem Staes von der belgischen Organisation 11.11.11., zu der 60 Nicht-Regierungs- und Menschenrechtsorganisationen gehören, stimmt zu. Er verweist auf eine Untersuchung, die seine Organisation Ende April unter Syrern im Libanon durchgeführt hat. Die überwältigende Mehrheit der Befragten war in der sich verschlechternden Sicherheitssituation für Syrer im Libanon sehr in Sorge vor Ausweisung. 88 Prozent von ihnen sagten, das habe direkten Einfluss auf ihre Entscheidung, zu versuchen, nach Europa zu gelangen.

Libanon-Deal aus Wahl-Kalkül?

"(Das EU-Libanon-Abkommen) ist eher so eine Art Gipfel der Dummheit," argumentiert Staes. "Statt effektive Maßnahmen zu ergreifen gegen diese Deportationen, gibt von der Leyen der libanesischen Armee mehr Geld und erhöht damit ihre Möglichkeiten internationales Recht zu verletzen."

Das wird das Leben syrischer Flüchtlinge oder auch libanesischer Bürger auf keinen Fall verbessern, sagt er. "Das Abkommen ist gefährlich und wird zu mehr Todesfällen führen, mehr Gewalt und mehr illegaler Migration. Es ist bezeichnend für die problematische europäische Politik, die nur von Wahl-Kalkül getrieben wird statt von der Realität vor Ort."

Experten sind sich einig, dass der einzige potentielle Vorteil des Abkommens darin liegt, die Probleme im Libanon erneut in den Fokus zu bringen.

"Ein Handeln der EU ist lange überfällig," so Staes. Ein Plan mit Aussicht auf Erfolg würde beinhalten, dass erzwungene Ausweisungen beendet und Syrern mehr befristete Aufenthaltsrechte und Arbeitserlaubnisse ausgestellt werden, erklärt er. Inzwischen könnte die EU mehr legale Migration nach Europa ermöglichen und der libanesischen Bevölkerung mit einem Wirtschaftspaket helfen.

"Seit langem fordern Experten ein EU-Libanon-Abkommen," schließt Petillo. "Leider geht es in die falsche Richtung."

Aus dem Englischen adaptiert von Andrea Lueg.