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EU will gerechtere Lieferketten

23. Februar 2022

Unternehmen sollen in Zukunft für die Arbeitsbedingungen ihrer Zulieferer Verantwortung tragen. Wie soll das EU-Lieferkettengesetz funktionieren? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Symbolbild | Schokolade
Die Lieferkette für Schokolade beginnt in Westafrika: Die EU will die Regeln verbessernBild: Csaba Deli/Zoonar/picture alliance

Zum Beispiel Schokolade. Der Kakao für beliebte Süßigkeiten in der EU kommt hauptsächlich aus Ghana und der Elfenbeinküste in Westafrika. Seit Jahrzehnten beklagen Entwicklungshilfe-Organisationen und Aktionsbündnisse, dass für den Anbau von  Kakao Kinder als Arbeitskräfte missbraucht werden. Schätzungen von Hilfsorganisationen und der Universität von Chicago zufolge müssen etwa 1,6 Millionen Mädchen und Jungen auf Kakaoplantagen arbeiten. Die Schokoladenhersteller hatten freiwillig versprochen, die Kinderarbeit in Westafrika bis 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Doch das Vorhaben ist gescheitert. Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé startet deshalb gerade ein neues Programm, um Kleinbauern dazu zu bewegen, ihre Kinder an Schulen anzumelden und nicht auf die Felder zu schicken.

Aktionsbündnisse wie die "Initiative Lieferkettengesetz", aber auch große Unternehmen wie Ikea, Danone oder der belgische Schokoladenhersteller Guylian fordern deshalb ein umfassendes Gesetz auf europäischer Ebene, dass die Wettbewerbsbedingungen für ganze Lieferketten regeln soll. Dabei geht es nicht nur um Kakao, sondern auch um Textilfabriken in Bangladesch, Minen in Südafrika, Autohersteller in China oder Palmöl-Bauern in Guatemala und vieles mehr.

Immer noch Kinderarbeit auf Kakao-Plantagen: der neunjährige Moahe bei der Kakaoernte in Burkina-Faso (Archiv)Bild: Jürgen Bätz/dpa/picture alliance

"Achtung der Menschenrechte"

Die EU-Kommission legte an diesem Mittwoch nach langwierigen Vorbereitungen und zähen Beratungen mit Lobbyverbänden und Mitgliedsstaaten ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz vor. "Dieser Vorschlag geht auf eine europäische Bürgeranfrage zurück, die verlangt, dass alle Dienstleistungen und Güter unter Achtung der Menschenrechte und der Umwelt hergestellt werden. Er wurde von Firmen, der Zivilgesellschaft, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten gelesen, aber vor allem von den Bürgern", sagte EU-Kommissar Didier Reynders. Er ist für Verbraucherschutz zuständig und hatte auf ein Bürgerbegehren mit rund 500.000 Unterschriften reagiert.

Reynders: Das neue Gesetz schafft gleiche Bedingungen für alle Unternehmen in der EUBild: Johanna Geron/AP Photo/picture alliance

Mit dem neuen Gesetz sollen große Unternehmen innerhalb und außerhalb der EU mit über 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro verpflichtet werden, alle Standards der internationalen Arbeitsorganisation ILO und alle Umweltschutz-Vorschriften einzuhalten. Das gilt vom Zulieferer des Rohstoffs in Afrika, Asien oder Südamerika über den Transport bis zur Endfertigung in der EU. Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Ausbeutung zu Hungerlöhnen sollen so bekämpft werden. Für bestimmte Sektoren wie die Produktion von Kleidung, Schuhen, Lebensmitteln, Metallen, Erzen, Öl, Gas, Holz und Chemikalien sollen die Schwellen niedriger angesetzt werden. Hier sollen bereits Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von 40 Millionen Euro unter das neue Lieferkettengesetz fallen, schlägt die EU-Kommission vor.

Verantwortung für die ganze Kette

Die Unternehmen sollen künftig zivilrechtlich für ihre Lieferketten haften. "Der Vorschlag sieht Strafen und zivilrechtliche Verantwortung vor. Dieses Zivilrecht bietet den Unternehmen Rechtssicherheit und den Geschädigten die Möglichkeit, Schadenersatz vor Gericht durchzusetzen", erläuterte EU-Kommissar Didier Reynders in Brüssel. 

Die Firmen können die Haftungsrisiken aber vertraglich an ihre Zulieferunternehmen auslagern. Gewerkschaften, Verbände, Unternehmen und einzelne Personen sollen das Recht erhalten, gegen Verstöße in der Lieferkette Klage einzureichen. Damit geht das europäische Lieferkettengesetz über das deutsche Gesetz hinaus, das kein Klagerecht kennt. Die neuen Bestimmungen sollten nicht dazu führen, das europäische Hersteller sich aus bestimmten Märkten zurückziehen oder Zulieferer in Afrika oder Asien wegen nicht einzuhaltender Standards fallen lassen, sicherte der EU-Kommissar zu. 

Ghana: Nachhaltigkeit im Kakaoanbau

07:13

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Zustimmung im Parlament

Anna Cavazzini, die im Europarlament im Handelsausschuss für das Lieferkettengesetz zuständig ist, sieht insgesamt einen Schritt in die richtige Richtung. "Das Gesetz schiebt Menschenrechtsverletzungen bei der Produktion von Waren, die auf dem europäischen Binnenmarkt landen, einen Riegel vor", meint Cavazzini. Die Unternehmen müssten jetzt Verantwortung für ihre gesamte Produktionskette übernehmen. Allerdings gebe es noch einige Schlupflöcher, die im Laufe des nun anstehenden Gesetzgebungsprozesses verkleinert werden müssten. Inklusive der vorgesehenen Übergangsfristen dürften die neuen Vorschriften erst in vier bis fünf Jahren tatsächlich wirksam werden. Zudem, kritisiert die Grünen-Europaabgeordnete, würden nur die ganz großen Firmen der Branchen erfasst. "99 Prozent der Unternehmen in der EU könnten so weiter machen wie bisher", so Cavazzini.

Cavazzini: EU-Parlament will Verbesserungen am Gesetz durchsetzenBild: EU/Jan Van De Vel

Kritik von der Industrie

Ganz andere Kritik äußerte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er fürchtet, das EU-Lieferkettengesetz werde viele Unternehmen überfordern. "Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form auf die Unternehmen abzuwälzen. Die Unternehmen wollen Nachhaltigkeit in den Lieferketten und tun schon heute das ihnen Mögliche, ihrer Verantwortung gerecht zu werden", sagte Wolfgang Wiedermark vom BDI in Berlin. Ein "Anwendungsbereich über die gesamte Wertschöpfungskette auch auf nachgelagerte Stufen" sei realitätsfern.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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