1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wie der EU Resettlement Plan sein Ziel verfehlt

Gianna-Carina Grün
28. November 2018

Mit verschiedenen Mitteln versucht die EU, illegale Einwanderung zu unterbinden. Unter anderem will sie mehr legale Wege in die EU schaffen – etwa in Form von Umsiedlungen. Doch der Plan geht nicht auf.

 Vorschaubild DE neu Migration Datenvisualisierung

Lesen Sie diesen Artikel auf Englisch.

Einwanderung ist eines der wichtigsten Themen in der EU-Politik. Seit der Flüchtlingskrise 2015 hat die EU verschiedene Versuche unternommen, illegale Migration und Menschenschmuggel zu unterbinden. Eine der Maßnahmen soll sein, mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten zu schaffen.

Diesen legalen Weg in die EU sollen sogenannte "Resettlements" bieten, also die geplante Umsiedlung von Flüchtlingen aus einem Nicht-EU-Land in die EU. Das erste solche Vorhaben begann im Juli 2015 und sollte insgesamt 22.500 Menschen die Einwanderung in die EU ermöglichen – tatsächlich waren es zum Schluss 18.563.

Im September 2017 hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein neues Resettlement-Vorhaben angekündigt: Er rief die EU Mitgliedstaaten auf, bis Oktober 2019 weitere 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen. "Ein besonderer Fokus sollte dabei auf der Umsiedlung aus Nordafrika und dem Horn von Afrika liegen, vor allem aus Libyen, Ägypten, Niger, Sudan, Tschad und Äthiopien; die Umsiedlungen aus der Türkei, Jordanien und dem Libanon sollen dabei weiterhin sichergestellt sein", so ein begleitendes Grundsatzpapier

Zwischenziel: 25.000 bis Oktober 2018 umgesiedelt

Der sogenannte "50.000 Plan" beinhaltete ein erstes Zwischenziel: Bis Oktober 2018 sollten Mitgliedstaaten "sicherstellen, dass 50 Prozent der [50.000] Menschen effektiv umgesiedelt sind."

Im März und Mai 2018 veröffentlichte die EU Fortschrittsberichte. Jeder Mitgliedstaat meldete dafür sowohl die Gesamtanzahl von Resettlement-Plätzen als auch die Zahl der bereits umgesiedelten Menschen. Das Ergebnis des Mai-Reports ist eindeutig: Nur acht Prozent der geplanten Umsiedlungen haben tatsächlich stattgefunden. Damit liegen die Mitgliedsländer weit hinter dem Ziel von 50 Prozent, das nur fünf Monate später erreicht werden sollte.

In den Folgemonaten veröffentlichte die EU keine weiteren Fortschrittsberichte. Die DW fragte die Generaldirektion für Migration und Inneres der EU Kommission wiederholt nach aktuelleren Zahlen — ohne Erfolg. Daraufhin kontaktierte die DW alle Mitgliedstaaten, die zugesagt hatten, Menschen umzusiedeln; die Hälfte der kontaktierten Länder lieferte aktuelle Zahlen zu.

Unter Berücksichtigung dieser neuen Zahlen, zusammen mit den Zahlen von Mai für jene Länder, die keine neue Informationen bereitgestellt haben, steigt die Quote auf 26 Prozent bzw. 13.176 Menschen — noch immer weit unter dem Ziel, mindestens 25.000 Menschen bis Ende Oktober 2018 umzusiedeln.

In der Theorie sind das EU-Türkei-Abkommen und 50.000 Plan zwei separate Maßnahmen. In der Praxis rechnen Mitgliedsstaaten jedoch Flüchtlinge, die aus der Türkei umgesiedelt werden, mit in den 50.000 Plan ein. Dann steigt die Umsiedlungsquote auf 43 Prozent von den geplanten 50.000.

Konfrontiert mit dieser Tatsache, stellte die Generaldirektion für Migration und Inneres plötzlich doch eine neue Zahl bereit: 15.900 Menschen seien bisher unter dem 50.000 Plan umgesiedelt worden, so ein Sprecher unter Berufung auf eine "Datenerhebung von Mitte Oktober". Da außerdem die Anzahl der umgesiedelten Menschen von Jahr zu Jahr steige, fügte der Sprecher hinzu, "setzt auch dieser Plan die bisher gute Entwicklung fort und wir sind zuversichtlich, dass das finale Ziel [Ende Oktober 2019] erreicht werden wird."

Eine Aufschlüsselung der Zahlen nach Ländern sei jedoch nicht verfügbar, so der Sprecher.

Nur wenige Länder haben 50 Prozent der Umsiedlungen erfüllt

Basierend auf den zuvor erhobenen Daten sind Irland, Slowenien und Litauen die einzigen Länder, die das 50-Prozent-Ziel erreicht haben – dicht gefolgt von Großbritannien und Schweden. Frankreich und Deutschland, die mit je 10.200 die meisten Plätze zugesichert haben, liegen bei der Umsiedlung zurück.

Auf die Frage nach den Ursachen für diesen Verzug hat die EU Kommission nicht geantwortet. Für Deutschland erklärt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dass sich die Umsetzung der Aufnahmen aufgrund der späten Regierungsbildung nach der Bundestagswahl verzögert habe.

166.000 illegale Grenzüberschreitungen

Doch selbst, wenn alle zugesagten Plätze bis Ende Oktober 2019 besetzt werden: Die Nachfrage scheint ungleich größer. Seit September 2017, also seit es den Umsiedlungsplan gibt, zählte die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) 166.894 illegale Grenzüberschreitungen – mehr als dreimal so viele, wie insgesamt Umsiedlungsplätze angeboten werden.

"Es ist ein vielschichtiges Problem, aber zusammengefasst hängt die Umsetzung von Umsiedlung vom politischen Willen, dem Zuspruch der Öffentlichkeit und den passenden logistischen Voraussetzungen ab", sagt die Soziologin Hanne Beirens. Sie ist stellvertretende Direktorin der nicht-kommerziellen Forschungseinrichtung "Migration Policy Institute Europe" und erforscht die EU Politik im Bereich Asyl, Migration und Menschenhandel.

  • Die erste Hürde sei der politische Wille, Plätze bereitzustellen: "Einige Mitgliedstaaten zögern, andere – wie beispielsweise Österreich – verweigern die Umsiedlung von Flüchtlingen komplett", so Beirens.
  • Die zweite Hürde sei die Fähigkeit, Flüchtlinge tatsächlich umzusiedeln, sprich: Den Prozess nachhaltig zu gestalten und Menschen erfolgreich in das umsiedelnde Land einzugliedern.
  • Die dritte Hürde sei die Logistik: "Es kann manchmal logistisch schwierig sein, Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa aus Libyen herauszuholen – wenn es eine zu große zeitliche Verzögerung gibt, wird eine ganze Mission abgesagt."
  • Zuletzt gelte es auch, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen: Wenn ein Land zustimmt, zehn Familien umzusiedeln, suchen lokale Behörden nach einer Unterkunft, finden aber nur vier Wohnungen für je fünf Personen. "Diese Information geht dann zurück an die UNHCR und sie versuchen Familien zu finden, die diesem Profil entsprechen", sagt Beirens. Das führe zusätzlich zu Verzögerungen.

UNHCR erstellt Kandidaten-Pool für Umsiedlungen

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR arbeitet vor Ort in Drittländern und identifiziert dort Menschen, die Recht auf Asyl haben und daher für die Umsiedlung infrage kommen. "Das können Menschen sein, die nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Oder Menschen, die dort, wo sie gerade sind, nicht integriert werden können, etwa aufgrund ethnischer Konflikte zwischen der lokalen Bevölkerung und den Flüchtlingen. Oder Menschen, die eine medizinische Behandlung brauchen, die sie nicht an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort bekommen können", so Beirens.

So ermittelt die UNHCR einen Pool an Kandidaten für die Umsiedlung. In einem zweiten Schritt informieren die EU-Mitgliedsstaaten die UNHCR, wie viele Menschen sie umsiedeln wollen, und die Organisation schlägt entsprechende Fälle vor.

Bild: DW/J. Neurink

"Manchmal haben die umsiedelnden Länder spezifische Anforderungen wie 'wir wollen Frauen mit Kindern umsiedeln'", sagt Beirens. "Die UNHCR schickt dann Dossiers mit passenden Kandidaten zurück. Basierend auf diesen Dossiers entscheidet der Mitgliedstaat dann, ob er diese Menschen aufnehmen will. Großbritannien beispielsweise wählt die Flüchtlinge für die Umsiedlung fast ausschließlich so aus.

Viele andere Länder schicken Delegationen in die Drittländer, um vor Ort Kandidaten zu interviewen, etwa ihr Wissen über das Zielland und die Anpassungsfähigkeit zu erfragen."

Kosten für Umsiedlung schwierig zu berechnen

Die EU unterstützt den aktuellen Umsiedlungsplan mit 500 Millionen Euro (560 Millionen US-Dollar). Ein Mitgliedstaat erhält 6.000 bis 10.000 Euro für jeden umgesiedelten Menschen. Ob diese Summe ausreicht, um die Kosten eine Umsiedlung zu decken, ist schwer zu sagen: "Es gibt keine verlässlichen Daten dazu, wie viel es kostet, einen Flüchtling umzusiedeln", sagt Beirens. "Die Summe von 10.000 Euro tauchte einfach plötzlich auf."

Forscher des Migration Policy Institute fanden nur wenige Details dazu, wie die EU diese Summe berechnet hat oder welche Teile der Umsiedlung damit abgedeckt werden sollen.

"Es kann ausreichend sein, wenn man bereits ein funktionierendes System hat, wie in Deutschland oder Belgien", sagt Beirens. "Aber wenn die ganze Maschinerie noch fehlt, dann kostet es sehr viel mehr, so etwas nachhaltig aufzusetzen. Und dann decken 10.000 Euro pro Person nur einen kleinen Teil davon."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen