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Politik

EU macht Druck auf die Slowakei

Barbara Wesel
13. März 2018

Eine Sonderdelegation des Europaparlaments befasst sich mit den Hintergründen des Journalistenmordes in der Slowakei. Unterdessen steigt der Druck auf die Regierung und ein Koalitionspartner droht mit Rückzug.

Slowakei | Premierminister Robert Fico mit Ex-Innenminister Robert Kalinak
Premierminister Robert Fico (r.) mit Ex-Innenminister Robert KalinakBild: DW/A. de Loore

Inzwischen beschleunigen sich die Entwicklungen in Bratislava rasant: Nach dem erzwungenen Rückzug des Innenministers am Montag, dem schwere Korruptionsvorwürfe gemacht werden, stellte kurz darauf einer der kleinen Koalitionspartner der Regierung von Robert Fico ein Ultimatum. Die Ungarn-Partei Most-Hid verlangt Gespräche über vorgezogene Neuwahlen, und von Teilen der Opposition wurde darüber hinaus ein Misstrauensvotum beantragt. Auslöser für die schwere Regierungskrise ist der Mord an dem Journalisten Jan Kuciak vor rund zwei Wochen. Eine Sonderdelegation des Europäischen Parlaments war nach Bratislava gereist, um die Hintergründe der Tat auszuleuchten.    

Mord an Journalisten schädigt das Ansehen der EU

Es ein unscheinbares Haus in einem verschlafenen Dorf 50 Kilometer außerhalb von Bratislava. Der Journalist Jan Kuciak und seine Freundin Martina Kusnirova hatten es gerade gekauft, wollten es renovieren und im Mai heiraten. Und hier, wo man das junge Paar erschossen aufgefunden hatte, kommen der liberalen Europaabgeordneten Sophie In't Veld fast die Tränen: "Das ist der Moment, wo man versteht worum es geht. Wir müssen für eine Welt arbeiten, wo so etwas nicht passiert, und wenn es doch geschieht, dann darf das nicht ungestraft bleiben."

Bei der Meldung vom Tod Jan Kuciaks und seiner Partnerin war ein Schock durch die EU gegangen. Es ist der zweite Mord im Mafia-Stil an einem Journalisten in Europa innerhalb von vier Monaten. Im Oktober war Daphne Garuana Galizia auf Malta von einer Bombe zerfetzt worden. Sie hatte Beweise für Korruption und Geldwäsche bei der Regierung in Valletta vorgelegt. Und der Journalist Jan Kuciak deckte systematischen Betrug mit EU-Geldern sowie eine Verbindung zur italienischen N'Drangetha bei der politischen Spitze in Bratislava auf. 

Europaabgeordnete Sophie In't VeldBild: DW/A. de Loore

Noch nie hatte sich eine Delegation aus Brüssel so schnell auf den Weg gemacht und in zwei Tagen ein solches Mammutprogramm absolviert: Es gab rund ein Dutzend Gespräche mit Regierungsmitgliedern, Vertretern der Justiz, Journalisten und Aktivisten. Gabriel Sipos von "Transparency International in der Slowakei" ist froh über die Visite der Abgeordneten: "Sie können Druck machen für eine intensivere Untersuchung des Mordes. Auch wenn sie nicht selbst ermitteln können." Die Slowakei gehöre zu den fünf korruptesten Ländern in Europa, sagt Sipos, und das größte Problem seien Polizei und Justiz: "Da sitzen Kumpel der Regierung, die von ihr ins Amt gebracht wurden." Kein Wunder, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen im Land total erschüttert sei.

Politisches Chaos

Bei ihren Gesprächen mit Regierungsvertretern wurde den Europa-Parlamentariern die unübersichtliche Lage im Land deutlich vor Augen geführt: Ein leitender Staatsanwalt erhob plötzlich neue Anschuldigungen gegen den bereits angeschlagenen Innenminister Robert Kalinak, rechte Hand von Ministerpräsident Fico. "Die Vorwürfe fliegen nur so durch die Gegend. Politiker greifen Journalisten an, Staatsanwälte attackieren die Politiker und umgekehrt. In einer Demokratie sollten sich die Leute aber auf die Spitzen des Staates verlassen können", sagt Sophie In't Veld. Sie sieht das größte Problem bei der Schwäche der Justiz, ihrer mangelnden Unabhängigkeit und Politisierung. "Von den Gesetzen her ist in der Slowakei alles vorhanden, aber in der Praxis sieht es völlig anders aus." 

Ministerpräsident Robert Fico aber klammert sich mit den Nägeln weiter an seinem Amt fest. Er sah sein Treffen mit den Abgesandten der EU vor allem als Abwehr ungerechtfertigter Vorwürfe von Außen. Schon Anfang des Monats hatte er wild über internationale Verschwörungen und eine mutmaßliche Verwicklung von US-Investor George Soros fabuliert. Diese Kampagne hatte übrigens Victor Orban im benachbarten Ungarn schon früher los getreten. Die Europa-Abgeordneten aber schienen frustriert. "Die Situation ist wirklich unklar", man sei hier nicht viel weiter gekommen, sagte die Konservative Ingeborg Grässle hinterher.

Präsident Andrej Kiska begegnet der Sonderdelegation aus Brüssel positivBild: DW/A. de Loore

Bei Präsident Andrej Kiska war der Empfang offener und konstruktiver. Er begrüßte ausdrücklich die "Hilfe, die von anderen Mitgliedern der europäischen Familie" - also der Delegation aus Brüssel - geleistet werde. Kiska ist zum Hauptgegenspieler von Ministerpräsident Fico geworden und hatte bereits Neuwahlen gefordert. Er glaubt, dass die umfassende Korruption in der Regierung mit einzelnen Rücktritten nicht ausgetrocknet werden kann.

Ein traumatisiertes Land

Die Abgeordnete Ingeborg Grässle stellte am Ende fest, die Slowakei sei gegenwärtig ein "traumatisiertes und gespaltenes Land". Und als Vorsitzende des Haushaltsausschusses fordert sie, dass europäische Gelder viel besser überwacht und Verstöße schneller geahndet werden müssten. "Die Slowakei ist bisher unter unserem Radar geflogen." Sowohl bei der Auszahlung der Regionalhilfen als auch bei den Agrarsubventionen gebe es massiven Missbrauch. Experten schätzen, dass rund ein Drittel der EU-Gelder im Land durch Korruption und Betrug verschwinden.

Sophie In't Veld will darüber hinaus eine regelmäßige Überprüfung der demokratischen Institutionen überall in Europa. Die Regierungschefs müssten sich viel mehr mit diesem Thema befassen: "Wir brauchen eine Art jährlichen Gesundheitscheck zum Zustand der demokratischen Institutionen in den EU-Ländern. Das würde uns allen gut tun."

Dann wäre es auch leichter, den Vorwurf individueller und ungerechter Verfolgung abzuwehren, der in Teilen Osteuropas gern erhoben wird. "Es wäre ein bisschen wie beim Eurovision Song Contest: Keiner mag die Musik, und trotzdem will keiner Letzter werden", hofft In't Veld. Der Druck von Kollegen und Nachbarländern sei das wichtigste Mittel, um Fehlentwicklungen wie in der Slowakei früher zu erkennen und zu verhindern.

Demonstration gegen die Regierung in Bratislava Anfang März 2018Bild: DW/A. de Loore

Proteste und Journalisten in Angst

Martin Turcek arbeitet im Newsroom von "Actuality", wo Jan Kuciaks letzte Recherche postum veröffentlicht wurde. Viele seiner Kollegen wollen jetzt anonym bleiben, weil sie nach dem Mord selbst Angst haben. Auch Martin Turcek ist beunruhigt, will sich aber nicht verstecken: "Jan war der beste investigative Reporter, den wir hatten. Er war immer optimistisch und guter Stimmung und hatte keine Angst, obwohl er Drohungen erhalten hatte."

Der Mord kam als totaler Schock. "Wir haben nie erwartet, dass so etwas in einem EU-Land 2018 passieren würde. Es verändert, wie man seine Arbeit und Journalismus in der Slowakei betrachtet, Und wie man überhaupt das Leben sieht nach so einer Tat." Turcek hofft,  trotz seiner Skepsis gegenüber der slowakischen Justiz , dass die Hintermänner der Tat ermittelt und vor Gericht gestellt werden.

Auch die junge Protestbewegung fordert auf ihren Plakaten "Gerechtigkeit für Jan". Sie brachte am letzten Wochenende die größte Demonstration in der Geschichte des Landes auf die Beine, wo Teilnehmer aus allen Generationen ihren Zorn laut hinaus schrien: "Weg mit Fico, Schande, Schande!" Und sie wollen weiter machen, bis die Regierung stürzt: "Sie müssen weg, sie haben die rote Linie überschritten" und "Wir wollen die Situation verändern, das ganze korrupte System". Die nächste Demonstration haben die Aktivisten schon für den kommenden Freitag angekündigt.

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