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PolitikEuropa

EU-Ukraine: Mehr Hilfe, aber keine Mitgliedschaft

11. März 2022

Der Sondergipfel der EU verspricht mehr Hilfen für die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und diplomatische Initiativen. Es ging auch um Selbstfindung: Wie kann die EU unabhängiger werden? Aus Versailles Bernd Riegert.

Frankreich | EU-Gipfeltreffen in Versailles
Strahlende Pracht im Spiegelsaal: EU tafelt und spricht über den Krieg Russlands gegen die UkraineBild: Sarah Meyssonnier/AP/picture alliance

"Man kann doch nicht nur einfach zuschauen", empört sich die Rezeptionistin im Hotel in Versailles. "Was wollen Sie denn, einen  Krieg mit Putin riskieren?", fragt der Gast. Hilfloses Schulterzucken ist die Antwort. Ähnliche Gespräche über den Krieg in der Ukraine und die Antwort der Europäischen Union gab es auch beim Krisengipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im nahe gelegenen Schloss Versailles. "Wir hätten mehr machen können. Da schwingt ein wenig Enttäuschung mit," räumte Litauens Präsident Gitanas Nauseda anschließend ein. 

Er habe mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenkyj oft darüber gesprochen, ob die EU die Ukraine nicht sofort aufnehmen könne, sagte Nauseda. Doch dagegen sträubte sich die Mehrheit der Mitgliedsstaaten in der langen Verhandlungsnacht von Donnerstag auf Freitag. In der Gipfelerklärung ist nur davon die Rede, dass die Ukraine zur "Europäischen Familie" gehöre. "Wir hätten der Ukraine zumindest den Kandidatenstatus verleihen können. Aber das Thema ist noch nicht durch, wir arbeiten daran", sagte Nauseda. Bereits in zwei Wochen treffen sich die Chefinnen und Chefs der EU zum nächsten Gipfel in Brüssel. "Die Hoffnung der Ukraine ruht auf der EU", gab Nauseda zu Bedenken. "Sie kämpfen für ihre Freiheit, sie kämpfen auch darum, zu Europa zu gehören."

Mehrheit gegen schnelle Mitgliedschaft

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und auch der niederländische Premier Marc Rutte sehen das nüchterner. Der Beitritt zur EU unterliege bestimmten Verfahren, Regeln und Kriterien, die eingehalten werden müssten. Das gilt nach Angaben der zuständigen EU-Kommission natürlich auch für Georgien und Moldawien, die ebenfalls einen Mitgliedsantrag gestellt haben. Die EU-Kommission prüft jetzt und wird irgendwann empfehlen, ob die Ukraine, Moldau und Georgien für Beitrittsverhandlungen in Betracht kommen. Das kann noch einige Monate, wenn nicht Jahre dauern.

Vor dem Schloss: Demonstranten fordern stärkeres Eingreifen der EU Bild: Michel Euler/AP/picture alliance

Der Vorsitzende des Europäischen Rates, Charles Michel, rief die versammelten Regierungschefinnen  und -chefs auf, auf jeden Fall Einheit und Geschlossenheit zu demonstrieren. Man dürfe der "schrecklichen russischen Aggression" gegenüber jetzt nicht mit Zerstrittenheit begegnen. "Jeder will der Ukraine helfen, aber es sind schwierige Diskussionen, weil die Situation so verfahren ist", sagte der Regierungschef Lettlands, Arturs Karins. Die Gefahr, dass sich Wladimir Putin durch einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine provoziert fühlen könnte, schließt Karins aus. "Wir müssen begreifen, dass man Putin nicht provozieren kann. Er provoziert den Krieg und wir als Demokratien unterstützen die Ukraine."

Mehr Geld für die Ukraine

Wenn sie schon keine konkreten politischen Schritte zu bieten hat, will die EU wenigstens mit Geld helfen. Der Gastgeber des Gipfels, der französische Präsident Emmanuel Macron, kündigte in Versailles an, die EU werde ihre Finanzhilfen für Waffenkäufe für die Ukraine von 500 Millionen Euro auf eine Milliarde verdoppeln. Flüchtlinge sollen weiter unbegrenzt aufgenommen werden. Eine vierte Runde von Sanktionen gegen Russland wird vorbereitet.

Macron und Scholz: Kein Energieembargo gegen RusslandBild: Chema Moya/IMAGO/Agencia EFE

Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Europäischen Union wurden beim Thema Gas- und Ölembargo deutlich. Einige Staaten, die nicht so sehr von russischen Energielieferungen abhängen, befürworten ein sofortiges hartes Embargo. Man dürfe mit Gas- und Öleinkäufen nicht weiter den Krieg Putins finanzieren. Die Mehrheit aber, zu der auch Deutschland gehört, schrecken davor zurück, weil ein Importstopp zu Versorgungskrisen und enormen Preissprüngen führen würde.

Trübe Aussichten

Die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, war in Versailles zu Gast und hatte düstere Prognosen im Gepäck: Als Folge der Pandemie und des Krieges werde die Inflation in der EU wohl an die sechs Prozent in diesem Jahr heranreichen. Das hänge natürlich auch von der Länge des Krieges ab. Es drohe eine "Stagflation", also eine toxische Mischung auf sinkender Wirtschaftsleistung und steigenden Preisen.

Als Reaktion darauf schlägt der italienische Ministerpräsident Mario Draghi vor, die EU möge neue gemeinsame Schulden aufnehmen, um die hohen Energiekosten für die Mitgliedsstaaten zu finanzieren. Draghi, der Vorgänger von Christine Lagarde als Chef der Europäischen Zentralbank war, hat nämlich jetzt das Problem, dass der italienische Staatshaushalt eine Zinserhöhung durch die EZB nicht gut verkraften würde. Seine Schulden würden einfach zu teuer. Lagarde hat bereits ein Ende der bisher üppigen Ankäufe von Schuldentiteln der Mitgliedsstaaten angekündigt. Nächster logischer Schritt wäre eine Erhöhung des historischen niedrigen Leitzinses von derzeit Null Prozent.

Einigkeit demonstrieren: Gruppenfoto der Staats- und RegierungschefsBild: Michel Euler/AP/picture alliance

In Versailles meldeten sich die sparsamen EU-Staaten sofort zu Wort und lehnten eine erneute Verschuldung im Rahmen der EU ab. Die Europäischen Union hatte vor zwei Jahren zur Bekämpfung der Corona-Wirtschaftskrise die Einrichtung eines erstmals durch gemeinsame Schulden finanzierten Aufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro beschlossen. "Dieses Geld sollten wir erst einmal ausgeben, bevor wir schon wieder über neue Schulden nachdenken", meinte ein niederländischer EU-Diplomat. Ein großer Teil des Geldes ist nämlich noch gar nicht abgeflossen.

Die EU-Kommission soll jetzt Pläne vorlegen, wie Energiepreise in Europa vorübergehend gedeckelt werden könnten und Unternehmensgewinne, die durch die hohen Preise entstehen, abgeschöpft werden können. Bis 2027, so die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen, sollte es möglich sein, sich völlig von Energielieferungen aus Russland zu verabschieden.

Kein Glanz und Gloria

Emmanuel Macron hatte als derzeitiger EU-Ratspräsident den Gipfel im prächtigen Schloss Versailles schon lange vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine geplant. Unter kristallenen Lüstern, umgeben von Gold und Seide, bewacht von einer Präsidentengarde in historischen Uniformen sollten die Gäste aus der EU im berühmten Spiegelsaal über ein neues europäisches Wirtschaftsmodell und selbstbewusste Souveränität nachdenken. Die edle Fassade blieb erhalten, aber das Thema war jetzt eine neue europäische Sicherheitsarchitektur und der Schutz vor einem aggressiven Feind. "Souveränität ist keine französische Fantasie", bilanzierte der französische Präsident, sondern der Krieg in Europa habe gezeigt, dass die EU unabhängig werden müsse, bei der Nahrungsmittelerzeugung, bei der Verteidigung und bei der Energieversorgung. "Wir dürfen nicht von Partnern abhängig sein, sondern müssen in der Lage sein, die Partner selbst auszusuchen", sagte Macron.

Souveränes Europa nötig

Die EU beschloss, ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken und mehr gemeinsame Rüstungsprojekte zu organisieren. Die Wirtschaft müsse "widerstandsfähiger" gegen strategische Verwerfungen werden. Das soll heißen, dass mehr Produktionsketten komplett nach Europa verlegt werden sollen. Die Quellen für Rohstoffe und Energie sollen breiter aufgefächert werden. Die Staats- und Regierungschefs stimmten entsprechenden ambitionierten Plänen der EU-Kommission zu. So soll bis Ende des Jahres bereits auf zwei Drittel der Gaslieferungen aus Russland verzichtet werden, meint der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans. Wer die Investitionen in eine autonomere europäische Wirtschaft allerdings finanzieren soll, blieb offen. Der französische Gastgeber und der italienische Ministerpräsident waren sich einig, dass nationale Haushalte das nicht alleine stemmen könnten. Die EU müsse Schulden machen. Das lehnen andere Mitgliedsstaaten, unter ihnen Deutschland, aber bislang ab.

"Wir sind nicht im Krieg"

Wie an der eingangs erwähnten Hotelrezeption bleibt ein gewisses Gefühl der Ohnmacht, denn die von der EU beschlossenen Maßnahmen haben, wenn überhaupt, nur mittelfristig einen Einfluss auf die russische Führung. Der französische Präsident Macron gestand zu, dass die EU natürlich nicht militärisch eingreifen könne. "Wir sind nicht im Krieg. Wir sind keine Kriegspartei", so Macron. Er kündigte mehr Sanktionen, mehr Hilfe für die Ukraine und mehr diplomatische Initiativen an. Mehr könne die EU nicht ausrichten.

Der Saal, in dem Macron seine abschließende Pressekonferenz im Versailler Schloss abhielt, trägt den Namen "Galerie der Schlachten". Dort hängen riesige Ölgemälde von allen möglichen französischen Kriegen. "Das sollte uns daran erinnern, dass es Russlands Wahl war, den Krieg nach Europa zurück zu bringen", sagte Macron. "Das ist ein tragischer Wendepunkt in der Geschichte, ein tragischer Wendepunkt für unsere Völker."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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