Ringen um den Regenwald
6. September 201917 Kapitel umfasst das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur. Im Juni 2019 wurde es unterschrieben, ratifiziert ist es noch nicht. Für die größten Diskussionen sorgt ein Abschnitt, in dem es nicht etwa um Handels- oder Zollbestimmungen geht, sondern um Kriterien über nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz.
Die Länder der EU nutzen das Vertragswerk nun dazu, Druck auf Brasilien auszuüben. Sie wollen Präsident Jair Bolsonaro dazu bringen, konkrete politische Maßnahmen gegen die illegale Rodung des Regenwaldes zu treffen und die Waldbrände im Amazonasgebiet aktiv zu bekämpfen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen Brasilien erhoben. Mit Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens habe sich das Land zu einer nachhaltigen Waldwirtschaft bekannt: "Wenn das Land dieser Verpflichtung nicht nachkommt, werden wir nicht tatenlos zuschauen", sagte sie vergangene Woche der Tageszeitung "Die Welt". Klöckner brachte auch die Möglichkeit ins Spiel, im Freihandelsabkommen bereits vereinbarte Zollerleichterungen wieder zurückzunehmen.
Irlands Premierminister Leo Varadkar verkündete gar, ganz gegen das Freihandelsabkommen zu stimmen, falls Bolsonaro seinen Verpflichtungen der Umwelt gegenüber nicht nachkommt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ähnlich und löste damit heftige Reaktionen in Brasília aus: Bolsonaro lehnte den Hilfsfonds, den Macron ihm im Namen der G7-Staaten angeboten hatte, als Angriff auf die Souveränität seines Landes ab. Trotzdem gab das brasilianische Staatsoberhaupt dem Druck nach und befahl seinen Streitkräften, bei der Brandbekämpfung im Amazonas mitzuwirken.
Was steht im Text des Mercosur über Umweltschutz?
Im Kapitel über nachhaltige Entwicklung des Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur heißt es etwa, dass die Vertragsstaaten ihre Umweltschutzgesetzgebung nicht aufweichen dürfen, um Handel und Investitionen zu fördern. Im Text wird auch festgelegt, dass die Länder die Bedeutung einer nachhaltigen Forstwirtschaft anerkennen und Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags und des Holzhandels ergreifen müssen. Darüber hinaus bekräftigt das Abkommen, dass alle Regierungen das Pariser Klimaabkommen umsetzen sollten, das Ziele für die Verringerung der Treibhausgasemissionen festlegt.
Gleichzeitig wird geregelt, dass etwa formelle Abfragen oder Expertenrunden einberufen werden können, um zu vermitteln, wenn ein oder mehrere Länder davon ausgehen, dass ein Staat seine Verpflichtungen im Umweltschutz nicht einhält. Sollte ein Staat es absichtlich versäumen, die Feuerwehr oder Teams zur Unterbindung von illegaler Rodung zu mobilisieren, um etwa die Wirtschaft einer Region anzukurbeln, dann wäre dies ein Fall für diese Vermittlungsmechanismen.
Grauzonen und Beweislast
Das Abkommen sieht also durchaus vor, dass die Vertragspartner Umweltschutz von einander einfordern können. Es weise aber auch erhebliche Grauzonen auf, sagt Werner Grau, Partner der brasilianischen Anwaltskanzlei Pinheiro Neto, die auf Umweltrecht spezialisiert ist. Kein Land oder Länderblock könne einen Staat zu bestimmten Gesetze oder politischen Maßnahmen zwingen. Zumal der Text offen lasse, wie solche Regeln umzusetzen wären. Außerdem wäre es außerordentlich schwierig, einer Regierung nachzuweisen, dass sie Umweltgesetze bewusst umgeht, um sich beziehungsweise ihrem Land ökonomische Vorteile zu verschaffen.
So geben es keine Beweise dafür, dass bei den Waldbränden im Amazonas Maßnahmen verzögert oder ausgesetzt wurden, erklärt der Anwalt: "Es gibt bereits eine Gruppe, die Brasilien vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen möchte, weil das Land einen 'Ökozid' begehe. Aber wo sind die Beweise dafür, dass der brasilianische Staat die Feuer wissentlich gelegt oder erlaubt hat?" Es reiche nicht, anhand einer Reihe von Waldbränden zu behaupten, dass der Staat den Regenwald nicht ausreichend schützt.
Mit Blick auf solche Vorwürfe, fordert Grau, die Situation der gemeinsamen und unterschiedlichen Verantwortungen zu berücksichtigen: "In Brasilien befindet sich das größte Schutzgebiet der Welt. Kein anderes Land muss eine so große Fläche kontrollieren wie wir. Wenn es Mängel gibt, müssen wir über internationale Hilfsmaßnahmen diskutieren, die unsere Souveränität nicht bedrohen."
Umweltauflagen mit Wirkung
Rabih Nasser, Handelsexperte der "Getúlio Vargas Stiftung" in São Paulo, sieht in den Umweltauflagen mehr als "reine Rhetorik". Nasser zufolge zeige die Aufnahme eines Konfliktlösungsmechanismus im Bereich der nachhaltigen Entwicklung die Bedeutung, die diesem Thema zugewiesen werde. Komme man zu dem Schluss, dass ein Land der EU- oder Mercosur-Staaten eine Regel verletzt habe, könne dieses Land mittels Handelsbarrieren sanktioniert werden.
Nasser glaubt, dass niemand Brasilien zu bestimmten Umweltmaßnahmen zwingen möchte, "aber ein Land kann die Regeln des Abkommens nicht ignorieren, ohne das Risiko zu tragen, die Vorteile dieses Vertrages zu verlieren - dem wichtigsten, der jemals vom Mercosur unterschrieben wurde."