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PolitikEuropa

EU-Migrationspakt bleibt in weiter Ferne

15. Juli 2021

Auf eine faire Verteilung von Asylbewerbern kann sich die EU weiter nicht einigen, aber Litauen soll in seiner akutellen Krise geholfen werden. Die EU schickt Beamte und Geld. Aus Brdo Bernd Riegert.

Slowenien | EU-Innemministertreffen | Gruppenbild
Minister-Mikado in Brdo: Wer sich bei der Asylpolitik zuerst bewegt, hat verlorenBild: Bernd Riegert/DW

Der baltische Staat Litauen fordert Solidarität von der Europäischen Union bei der Unterbringung von Migranten. Und er bekommt sie auch. Die Innenministerinnen und Innenminister der EU, die an diesem Donnerstag bei einer Strategie-Tagung auf dem slowenischen Landgut Brdo bei Ljubljana über grundsätzliche Migrationsfragen streiten, wollen mehr Grenzschutzbeamte, Asylexperten und Geld nach Litauen schicken. Es geht um 1700 Migranten, die seit Jahresbeginn und verstärkt in den letzten zwei Wochen von Belarus nach Litauen einreisen und Asyl in dem kleinen Land mit 2,8 Millionen Einwohnern beantragen.

Für die Unterbringung der Asylbewerber und die Befestigung der 680 Kilometer langen Grenze zu Belarus wird die EU 10 Millionen Euro an Soforthilfe auszahlen, kündigte die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson in Brdo an. Außerdem sollen die EU-Staaten das Personal der EU-Grenzschutzbehörde in Litauen von 30 auf 60 Beamte aufstocken. Die EU-Asylagentur EASO soll zur Unterstützung der Verwaltung in Litauen 90 Beamte nach Vilnius verlegen, sagte EU-Kommissarin Ylva Johansson.

Litauen baut einen Zaun an der Grenze zu Belarus: Migranten sollen abgeschreckt werdenBild: Janis Laizans/REUTERS

Die litauische Regierung wirft dem mit EU-Sanktionen belegten Regime in Belarus vor, die Migranten im Mittleren Osten, der Türkei und in Afrika quasi anzuwerben, um sie dann weiter nach Litauen zu schicken. Diese neue Migrationsroute diene offenbar dazu, die EU zu erpressen, darin sind sich die EU-Innenminister einig. Der Leiter der Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, hatte angegeben, dass Belarus Menschen mit dem Versprechen, sie gegen COVID-19 zu impfen, ohne Visum ins Land hole und sie dann zum Grenzübertritt an die litauische Grenze bringe. Stephan Mayer, Staatssekretär im deutschen Innenministerium, gab sich bei der Tagung der EU in Brdo empört: "Es kann nicht angehen, dass Lukaschenko in Weißrussland Migranten aus dem Irak oder der Türkei instrumentalisiert, um die Europäische Union zu destabilisieren."

Kritik an Litauen

Das litauische Parlament hatte im Eilverfahren das Asylverfahren verkürzt und verschärft. Die Unterbringung von Migranten in geschlossenen Lagern ist jetzt möglich. Als Gegenleistung für die Hilfen verlangt die EU-Kommission offenbar, dass die Asylsuchenden nicht in andere EU-Staaten durchgelassen werden. Viele Migranten hatten gegenüber Reportern in Vilnius erklärt, ihr Ziel sei Westeuropa. In Litauen wollten die wenigsten bleiben. Litauen hat bislang nur wenige Asylsuchende aus Griechenland oder Italien im Rahmen einer freiwilligen Umverteilung übernommen. Jährlich wurden nur 400 bis 600 Asylanträge gestellt. Bislang hat Litauen hauptsächlich Oppositionelle aus Belarus aufgenommen.

EU-Kommissarin Johansson (li.) und der deutsche Staatssekretär Mayer im informellen Gespräch in BrdoBild: Bernd Riegert/DW

Menschenrechts-Organisationen kritisieren das Vorgehen der litauischen Behörden und der EU als überzogen, denn die Zahl der Ankömmlinge sei relativ klein. Die Direktorin des Europäischen Rates für Flüchtlinge und Exil (ECRE), Catherine Woollard, meinte gegenüber der DW, dass es richtig sei, EU-Personal nach Litauen zu schicken. "Es muss aber vor allem darum gehen, den fairen Zugang zu Asylverfahren zu gewährleisten, egal wie und unter welchen politischen Vorzeichen die Menschen angekommen sind. Das ist ja nicht ihre Schuld."

Kern des Problems

Die Vorgänge in Litauen zeigten noch einmal die Probleme klar auf, die die EU mit ihrem mangelhaften Asylsystem habe, kritisierte der Migrationsminister von Luxemburg, Jean Asselborn. Seit mehr als sechs Jahren versuchten die Innenminister vergeblich, einen Verteilungsmechanismus zu finden, der fair von allen Mitgliedsstaaten getragen werde. "Sie sehen an Litauen, dass jeder Mitgliedsstaat betroffen sein kann, sehr plötzlich", sagte Asselborn im slowenischen Brdo. "Es gibt keine 'flexible' Solidarität, wo ein Land sich ausklinken kann. Wir lügen die Menschen in Europa an, wenn wir sagen, dass wir einfach so weitermachen können." Das ständige Reden über den Schutz von Außengrenzen helfe nicht weiter, so Asselborn, sondern es gehe um die innere Solidarität in der EU.

Luxemburgs Außenminister Asselborn: Mangelnde Solidarität ist das Problem der EU - keine Lösung in SichtBild: Bernd Riegert/DW

Keine "europäische" Lösung in Sicht

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer war nicht nach Slowenien gereist, sondern schickte seinen parlamentarischen Staatssekretär als Vertreter. Seehofer, der nach der Bundestagswahl im September aus dem Amt scheiden wird, hatte vielleicht auch deshalb das Strategie-Treffen geschwänzt, weil seine mirgrationspolitische Bilanz nach vier Jahren eher mager ausfällt. Seehofer hatte im Streit um die richtige Flüchtlingspolitik 2018 fast die Regierungskoalition aus CDU, seiner CSU und der SPD brechen lassen. Immer wieder forderte er eine "europäische Lösung" und eine Entlastung der Staaten, die die meisten Asylsuchenden beherbergen, darunter neben Italien und Griechenland auch Deutschland.

Einen geregelten Mechanismus selbst unter einigen wenigen freiwilligen Staaten, wer zum Beispiel wie viele aus Seenot gerettete Migranten aus Italien aufnimmt, gibt es bis heute nicht. "Es wurde zu viel Energie darauf verwendet, über die Auslagerung der Verantwortung an Dritte zu fantasieren oder über das Schließen des Zugangs an den Grenzen nachzudenken", sagte Catherine Woollard von der Lobbygruppe "Europäischer Flüchtlingsrat" der DW über Seehofers Ansätze. 

2018: Horst Seehofer (li.) setzt Kanzlerin Merkel in der Migrationsdebatte massiv unter Druck. Bild: Getty Images/S. Gallup

Deutschland bleibt Hauptziel der Asylsuchenden

Deutschland ist zwar von sicheren EU-Staaten umgeben. Menschen, die auf dem Landweg Deutschland erreichen, müssten also eigentlich schon in diesen Ankunftsländern einen Asylantrag gestellt haben, wenn die geltenden Asyl-Verfahrensregeln der EU, die sogenannten Dublin-Regeln, greifen würden. In Wirklichkeit wurden aber im letzten Jahr über 100.000 Asylanträge in Deutschland gestellt, fast ein Viertel aller Anträge in der EU. Aus Griechenland und Italien ziehen die Menschen also weiter, um Deutschland zu erreichen. Die EU-Grenzschutzbehörde verzeichnete im ersten Halbjahr 2021 rund 18.000 Migranten aus Griechenland auf der sogenannten Balkan-Route Richtung Westeuropa.

Griechenland stehe wieder unter erheblichem Migrationsdruck, meint dazu der deutsche Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer. "Wir haben als Deutschland natürlich das prioritäre Ziel, sekundäre Migration, also Migration innerhalb der EU, zu verhindern", so Mayer. Deshalb sei man bereit, "Griechenland bei Schutzberechtigten zu unterstützen, damit diese dann auch in Griechenland bleiben".

Migranten aus Kamerun landen via Belarus im neuen Lager im litauischen Vydeniai. Und jetzt?Bild: Mindaugas Kulbis/AP Photo/picture alliance

Der Migrations-Pakt der EU, den die Ministerinnen und Minister in Brdo wieder beraten haben, kommt nicht voran. Die von Bundesinnenminister Seehofer favorisierte Idee, Asylverfahren für die gesamte EU an den Außengrenzen in den Einreiseländern abzuwickeln, findet keine Unterstützung. Weder Griechenland, Italien, Spanien noch Malta wollen solche Lager, auch "Asylzentren" genannt, auf ihrem Gebiet haben. Einige Staaten, wie Polen oder Ungarn, weigern sich beharrlich, an einem Migrationspakt, der auch nur die Möglichkeit einer Umverteilung von Migranten vorsieht, überhaupt mitzuwirken. Der luxemburgische Migrationsminister Jean Asselborn ist frustriert. "Wer einfach sagt, es gibt keine Migration über das Mittelmeer, der lügt." Es gehe ums Eingemachte und das sei die gemeinsame Verantwortung aller.

Dickes Brett

Staatssekretär Stephan Mayer aus Berlin gesteht ein, dass es mit dem Migrationspakt noch dauern wird, weil viele Mitgliedsstaaten einfach blockieren. "Natürlich ist es nach wie vor ein dickes Brett, dass es zu bohren gilt, wenn es darum geht, ein gemeinsames Asylsystem zu schaffen". Innenminister Seehofer wird an einer solchen "europäischen Lösung" nicht mehr mitbohren.

EU-Diplomaten haben in Brdo in Slowenien auch darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko, Migranten über die gemeinsame Grenze nach Polen schickte. Würde dann, wie im Falle Litauens, europäische Solidarität greifen, obwohl Polen zu den stursten Nein-Sagern und Blockierern in der gemeinsamen Asylpolitik gehört? Eine Antwort hierzu steht aus.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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