Klimaschutz ist in. Die Finanzminister der Europäischen Union wollen dabei sein. Sie suchen den richtigen Preis für Kohlendioxid-Verschmutzung. Viele Ideen, aber noch keine Antworten. Von Bernd Riegert, Helsinki.
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"Wir haben unsere Kohlendioxid-Emissionen neutralisiert", behauptet die finnische Ratspräsidentschaft stolz auf großen blauen Bildschirmen in der Finlandia Hall in Helsinki, wo die Finanzminister der Europäischen Union an diesem Freitag berieten. Finnland zahlt einen Ausgleich für die vielen Flüge, die während der sechs Monate dauernden Ratspräsidentschaft nötig sind. Mit dem Geld sollen Klimaschutzprojekte gefördert und Bäume gepflanzt werden.
Ob sich die versammelten 28 Finanzminister der EU von diesen grünen Botschaften auf blauem Grund beeindrucken lassen, ist nicht unmittelbar klar. Denn beschlossen wird auf diesem informellen Treffen in Helsinki nichts. Es geht um eine grundsätzliche Diskussion.
Die EU müsse herausfinden, wie man zu einer sinnvollen Bepreisung von Kohlendioxid-Ausstoß kommt, und zwar am besten im internationalen Maßstab, meint der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD). "Ich glaube, wir sind im Moment in einer Situation, wo viele sagen, 'wir würden ja gerne national etwas machen, aber die anderen machen ja nichts'." Das sei der Moment, gemeinsam zu handeln und herauszufinden, ob man am Ende nicht zu ähnlichen Ansätzen kommen können. "Das wäre ein großer Fortschritt", sagte Scholz in der finnischen Hauptstadt.
Neue Zölle oder Steuern für den Klimaschutz?
Die EU-Kommission hat den Ministern eine ganze Palette von möglichen Methoden aufgeschrieben, um den Preis für klimaschädliche Gase zu ermitteln, das Geld einzusammeln und dann auch wieder zu investieren. Für den Kampf gegen den Klimawandel werden nach Einschätzung der EU in den kommenden Jahrzehnten nicht Milliarden, sondern Billarden fällig. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in der nächsten Haushaltsperiode, die bis zum Jahr 2027 läuft, eine Billiarde in grüne Technologien investieren.
25 Prozent der Haushaltsmittel im EU-Budget sollen Ausgaben sein, die mit dem Klimaschutz zu tun haben. Dazu will die neue Kommission, die im November ihre Arbeit aufnimmt, erreichen, eine Art Zoll auf Kohlendioxid einzuführen. Importe aus Drittstaaten sollen nach ihrer Klimaverträglichkeit beurteilt und bei schlechter Bewertung mit entsprechenden Abgaben belegt werden.
Frankreich unterstützt diesen Plan, um die europäische Wirtschaft gegenüber Verschmutzern wie China oder den USA wettbewerbsfähig zu halten. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz ist kein Freund dieses möglicherweise sehr komplizierten Zollsystems, das wiederum zu neuen Handelskonflikten mit den USA oder China führen könnte. Der Lobbyverband der europäischen Wirtschaft "Businesseurope" kann sich einen Zoll oder eine Grenzsteuer für umweltschädliche Produkte allerdings als durchaus machbar vorstellen.
Emissionshandel ausweiten?
Auch der Finanzminister von Österreich, Eduard Müller, ist einem Zoll fürs Klima gegenüber nicht abgeneigt, warnt aber auch, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen sei. "Wir haben eine Weltzollorganisation, wir haben bestehende Verträge. Das ist in einem sehr weiten Kontext zu sehen, aber nichtsdestotrotz: Die Diskussion muss beginnen."
Der deutsche Finanzminister Scholz setzt darauf, dass bestehende System des Handels mit Verschmutzungsrechten auszuweiten, und zwar auf kleinere Unternehmen und die Verbraucher selbst. "Wir haben das sehr erfolgreiche System des europäischen Emissionshandels, das sich an die großen Industrieunternehmen richtet. Wir sind dabei herauszufinden, wie wir den CO2-Verbrauch im Zusammenhang mit Mobilität, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Heizen und kleinen Industrieunternehmen begrenzen können."
Scholz kann sich auch eine EU-weite Abgabe auf Flugtickets vorstellen, die es in Deutschland bereits gibt. Außerdem denken die Finanzminister der Europäischen Union darüber nach, wie der Bahnverkehr steuerlich gefördert werden kann, etwa durch eine ermäßigte Mehrwertsteuer. Umweltschutz-Organisationen haben immer wieder kritisiert, dass in Deutschland Flüge ins Ausland von der Mehrwertsteuer befreit sind und auch das Flugbenzin viel geringer besteuert wird als Kraftstoff für Fahrzeuge.
Investitionen vom Defizit abziehen?
Einige südliche EU-Staaten regen an, staatliche Investitionen in den Klimaschutz, die durch neue Schulden finanziert werden, aus der Berechnung der Staatsschulden heraus zu nehmen. Der für die Stabilität des Euro zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis lehnt diesen Ansatz ab. "Wir können ja nicht so tun als seien grüne Schulden, keine Schulden." Die müssten in der Haushaltsbilanz und bei der Defizitberechnung auftauchen, meinte Dombrovskis.
Bei der Beurteilung der Rückzahlung dieser Schulden und ihrer Nachhaltigkeit, könne man aber eine "gewisse Flexiblität" zeigen. "Das haben wir in der Vergangenheit ja auch schon gemacht", sagt Dombrowski, "besonders im Falle Italiens."
Geld für zusätzliche Investitionen, auch in grüne und Klima-freundliche Projekte, sehen der französische und der luxemburgische Finanzminister vor allem in Deutschland. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz kommt unter Druck, den Überschuss aus dem deutschen Haushalt dafür einzusetzen.
Auch die Europäische Zentralbank ließ in Helsinki wissen, dass EU-Mitgliedsstaaten, die wie Deutschland fiskalisch gut da stehen, sollten ihr Geld jetzt auch für öffentliche Investitionen nutzen. Der deutsche Finanzminister ließ sich dazu öffentlich keine Stellungnahme entlocken. Im Bundestag hatte er in dieser Woche in der Haushaltsdebatte gesagt, sollte Deutschland in de Rezession gehen, habe er viele Milliarden in petto, um die Wirtschaft über öffentliche Investitionen anzukurbeln.
Bis zum Horizont
In einer Analyse für das Weltwirtschaftsforum in Davos kommt der Ökonom Zac Tate zu dem Schluss, dass die massiven Investitionen, die bis zum Jahr 2050 in Klima-freundliche Technologien zu erwarten sind, eine riesige Chance für die Wirtschaft darstellen. Die Internationale Energieagentur geht von einem Investitionsvolumen von 120 Billiarden Dollar bis 2050 aus. Investitionen würden in Zukunft immer stärker über die Ausgabe von "grünen Anleihen" finanziert werden, heißt es in der Analyse des Weltwirtschaftsforums. In den nächsten Jahren könnte deren Summe auf eine Billiarde Dollar jährlich in den wichtigsten Industriestaaten der Welt anwachsen. Beide, Staaten und private Unternehmen, seien beim Umbau der Wirtschaftsweise gefordert.
Nötig sei auf staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite ein langer Atmen, meinte der Chef der britischen Zentralbank, Mark Carney, bereits seit 2015. Das kurzfristige Denken der Finanzmärkte und der nachhaltige Klimaschutz passten oft nicht zusammen, so Carney vor vier Jahren. Das sei "die Tragik des Horizonts", der vielen Akteuren oft fehle. Die EU-Finanzminister wollen in den nächsten Monaten versuchen, diesen Horizont zu erweitern.
Wer sich beim Klimaschutz bewegen muss
Am 20. September will die Bundesregierung ihre Klimapolitik konkretisieren, um die eigenen Ziele doch noch zu erreichen. "Es muss jetzt Schluss sein mit Pillepalle", sagt die Kanzlerin. Hält sie Wort?
Extremwetter
In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Zahl extremer Wetterereignisse in Deutschland mehr als verdoppelt. Trotzdem hinkt die Bundesregierung bei den selbst gesetzten Klimaschutzzielen hinterher. Ende 2016 hatte sie den "Klimaschutzplan 2050" beschlossen. Nun soll ein "Klimakabinett" am 20. September weitere Maßnahmen verabschieden, damit die Ziele doch noch erreicht werden.
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel
Verursacher des Klimawandels
Gase, die zum großen Teil durch menschliche Aktivitäten entstehen, verursachen den Treibhauseffekt. Dazu zählen Methan, Lachgas und Kohlendioxid (CO2). Letzteres macht fast 90 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus. Zwischen 1990 und 2017 sind diese Emissionen um gut ein Viertel auf knapp 905 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Noch in weiter Ferne ist das Ziel für 2030: minus 55 Prozent.
Bild: picture-alliance/dpa/Geisler-Fotopress
Wer sich wie viel bewegen muss
Die Energiewirtschaft hat 2016 mit knapp 38 Prozent den größten Anteil an den deutschen Treibhausgas-Emissionen. Davon entstehen vier Fünftel beim Verbrennen von Braun- und Steinkohle, um Strom und Wärme zu produzieren. Bis spätestens 2038 will Deutschland komplett auf Kohle verzichten. 2017 trugen erneuerbare Energien rund ein Drittel zur deutschen Stromerzeugung bei.
Erneuerbare Energien weiter ausbauen
Der Klimaschutzplan sieht vor, die Emissionen im Energiesektor bis 2030 um bis zu 62 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Wie? Durch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien, eine höhere Energieeffizienz und die Reduzierung fossiler Energiequellen.
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Industrie als zweitgrößter Klimasünder
Die Industrie stößt über 20 Prozent der deutschen Treibhausgase aus - vor allem bei der Herstellung von Eisen und Stahl, bei mineralischen Produkten (Zement) und Grundchemikalien. Zwei Drittel der Emissionen des Sektors entstehen durch die Nutzung von Energie, der Rest bei industriellen Produktionsprozessen. In den vergangenen 15 Jahren wurde der Ausstoß von Treibhausgasen nur leicht reduziert.
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Pläne für die Industrie
Bis 2030 soll die Industrie nur noch halb so viele Emissionen ausstoßen wie 1990, so der Klimaschutzplan. Unternehmen sollen weniger Energie verbrauchen und mehr in effizientere Produktionsprozesse investieren. Auch Abwärme soll besser genutzt werden. Weitere Einsparmöglichkeiten hofft man durch Forschungsprogramme zu entdecken.
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Grund für Autoscham
Der Verkehr verursacht knapp 18 Prozent der deutschen Treibhausgase. 2016 lagen die absoluten Emissionen im Verkehrssektor sogar über denen des Jahres 1990. Über 60 Prozent der Emissionen kommen von PKW und gut 30 Prozent von Nutzfahrzeugen. Dagegen tragen der Luftverkehr, die Küsten- und Binnenschifffahrt, Motorräder jeweils weniger als zwei Prozent zu den Emissionen im Verkehrssektor bei.
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Es bleibt dabei: Fliegen besser vermeiden
Wer jetzt meint, Fliegen sei ja nicht so schlimm, der irrt. Neben dem Ausstoß von CO2 entstehen bei der Verbrennung von Kerosin Substanzen wie Stickoxide, Aerosole und Wasserdampf, die in luftiger Höhe durch den nur langsamen Abbau stärker wirken als am Boden und so den Treibhauseffekt entsprechend vergrößern.
Bild: picture-alliance/dpa/F. May
Elektromobilität und Co.
Bis 2030 sollen die Verkehrsemissionen um rund 40 Prozent gegenüber 1990 gemindert werden - durch Digitalisierung, energieeffizientere Fahrzeuge sowie alternative Antriebe und Kraftstoffe. Außerdem sollen der öffentliche Nahverkehr, die Bahn, Car-Sharing-Modelle, Fahrradfahrer und Fußgänger gefördert werden. Eine bessere Planung soll Verkehr vermindern.
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Warmes Wohnen treibt die Temperaturen
Private Haushalte verursachen zehn Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Sie entstehen, wenn Energieträger verbrannt werden, um Wärme zu produzieren. Seit 1990 sind diese Emissionen um mehr als 30 Prozent gesunken. Würden auch indirekte Emissionen (etwa aus der Strom- und Wärmeproduktion für Haushalte) berücksichtigt, wäre der Anteil an den Gesamtemissionen mehr als doppelt so hoch.
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Einsparpotenziale beim Wohnen
Bis 2030 sollen die privaten Haushalte um zwei Drittel weniger Emissionen ausstoßen als 1990. Erreicht werden soll das vor allem durch energiesparende Neubauten, Sanierung von Altbauten und die schrittweise Abkehr von fossilen Heizungssystemen.
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Treibhausgase der Bauern
Die Landwirtschaft verursachte 2016 knapp acht Prozent der Gesamtemissionen. Vor allem das extrem klimawirksame Methan (CH4 ) und Lachgas (N2O) sind hier das Problem, weniger CO2. Diese Gase werden von Kühen beim Wiederkäuen ausgestoßen sowie durch stickstoffhaltige Düngemittel und Tierhaltung verursacht. Immerhin: Der Ausstoß von Treibhausgasen ist seit 1990 um über 20 Prozent gesunken.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Scholz
Ganz ohne Treibhausgase geht es nicht
Bis 2030 sollen in der Landwirtschaft rund ein Drittel weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Viele Emissionen entstehen durch natürliche Prozesse und lassen sich nicht völlig vermeiden. Die Biolandwirtschaft soll ausgebaut werden. Sie verzichtet auf mineralische Dünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, was den CO2-Ausstoß senkt.
Bild: picture-alliance/dpa
Nur ein kleiner Posten
Die Emissionen von Gewerbe, Handel und Dienstleistungen betragen vier Prozent der Gesamtemissionen und sind seit 1990 um mehr als 50 Prozent gesunken. Ein Großteil der Emissionen ensteht durch das Erwärmen beziehungsweise Kühlen von Gebäuden. Auch hier muss also gehandelt werden.
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Vorbild: Müll
Nur sehr gering ist der Anteil der Abfallwirtschaft inklusive der Abwasserbehandlung an den Gesamtemissionen in Deutschland. Und in dieser Branche ist viel passiert: Seit 1990 sind die Emissionen hier um fast drei Viertel gesunken, das ist der stärkste Rückgang aller Sektoren. Künftig soll noch mehr recycelt werden und Abfälle effektiver zur Erzeugung von Strom und Wärme benutzt werden.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Wolf
Wälder als CO2-Speicher
In Wäldern wird CO2 gespeichert und nicht ausgestoßen. 2016 sanken die Gesamtemissionen dadurch um 14,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Bei intensiv betriebener Land- und Forstwirtschaft wird gespeichertes CO2 jedoch wieder freigesetzt. Heute speichern die landwirtschaftlichen Böden in Deutschland weniger als halb so viele Treibhausgase wie noch 1990.
Bild: DW/P. Große
Drastische Maßnahmen nötig
Ein großes Thema beim Klimaschutz: Wie kann man CO2-Emissionen teurer machen, damit sich ihre Vermeidung lohnt? Im Gespräch sind eine CO2-Steuer und die Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Verkehr und Wohnen. Eine Steuer ließe sich schneller umsetzen, allerdings weiß man nicht genug darüber, wie sie wirkt. Beim Emissionshandel dagegen kann eine Obergrenze für CO2 festgelegt werden.