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30.000 Chemikalien

Bernd Riegert (kas)13. Dezember 2006

Brüssel hat nach langem Streit ein neues Chemikaliengesetz verabschiedet. Zehntausende Chemikalien kommen auf eine Prüfliste, um Alltagsprodukte ungiftiger zu machen. Doch vielen geht der Beschluss nicht weit genug.

Parlamentspräsident Josep Borrell von hinten vor einem Computer (Quelle: AP)
Parlamentspräsident Josep Borrell überprüft die AbstimmungsergebnisseBild: AP

Das EU-Parlament hat am Mittwoch (13.12.2006) eines der unfangreichsten Gesetzeswerke der EU verabschiedet. Mehr als 500 der 732 Abgeordneten stimmten dem mit dem Rat der EU-Mitgliedstaaten ausgehandelten Kompromiss zu. Eine Reihe von Änderungsanträgen der Grünen wurden abgelehnt. Die neue Chemikalienrichtlinie mit dem Namen REACH kann damit am 1. Januar 2007 in Kraft treten. In der kommenden Woche ist nur noch die formale Zustimmung des Ministerrats nötig.

REACH sieht die Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien vor. Eine neue Behörde der Europäischen Union mit 400 Mitarbeitern in Helsinki wird von 2008 an die Verwendung von Chemikalien in der europäischen Industrie überwachen. In den nächsten elf Jahren sollen bis zu 30.000 Chemikalien auf ihre Wirkung für Mensch und Umwelt getestet werden. Schädliche Chemikalien sollen nach und nach durch ungefährlichere Alternativen ersetzt werden.

Verheugen: Keine Vorhersage

Die EU-Kommission betont, dass das uneinheitliche und wild
wuchernde Chemikalienrecht in der EU damit zusammengefasst werde und so den Unternehmen generelle Zulassungen ihrer Produkte in allen Mitgliedsstaaten garantiere.

Das Europäische Parlament, die EU-Kommission, die zuständigen Minister und die Lobbygruppen von chemischer Industrie und Umweltverbänden hatten jahrelang um die konkreten Bestimmungen des Gesetzes gerungen. Der zuständige EU-Kommissar für Industrie, Günter Verheugen, sagte, noch sei völlig unklar, wie viele Substanzen ersetzt werden müssten: "Niemand kann heute vorhersagen, was das Ergebnis sein wird. Das ist ja der Sinn der Sache, dass getestet wird, ob diese Substanzen tatsächlich gefährlich sind oder nicht."

Viel Kritik

Verbraucherschützer und Umweltorganisationen haben die EU-Richtlinie als Enttäuschung für Konsumenten und Umwelt bezeichnet. Die Industrie sei nach dem jetzt verabschiedeten Text nur dazu angehalten, die Gesundheit des Menschen und die Umwelt nicht nachteilig zu beeinflussen. Unter dem Strich könnten Chemikalien, für die keine Risikostudien vorliegen, weiterhin in Alltagsprodukten zu finden sein.

"In Zukunft werden gefährliche Chemikalien, auch wenn es sichere Alternativen gibt, in Verbraucherprodukten erlaubt sein", sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzvb) Edda Müller. Der vzvb kritisiert insbesondere, dass der Verbraucher den Produkten auch künftig nicht ansehen werde, ob sie gefährliche Chemikalien enthalten oder nicht. "Ein Ansporn für sichere Produkte und die Entwicklung sicherer Ersatzstoffe sieht anders aus", sagte Müller.

Mehrere tausend Seiten Bürokratie

Ein Viertel der 1,2 Millionen Arbeitsplätze in europäischen Chemiefabriken befinden sich in Deutschland, die deutschen Unternehmen sind also vom neuen Gesetzeswerk am stärksten betroffen. Der Verband der Chemischen Industrie in Deutschland (VCI) erklärte, REACH bürde besonders mittelständischen Unternehmen zusätzliche Kosten für Testreihen und Bürokratie auf.

Der Verband erwartet mehrere tausend Seiten an Ausführungsbestimmungen, die jetzt von der EU-Kommission erlassen werden. Die Umsetzung der neuen Verordnung dürfte die europäische Chemieindustrie nach Schätzungen des VCI in den nächsten zehn Jahren mindestens 4 Milliarden Euro kosten.

Forderungen an die Wirtschaft

Immerhin sehe REACH eine Auskunftspflicht für Hersteller und Händler über den Einsatz besonders gefährlicher Substanzen vor. Müller von der vzvb rief die Verbraucher auf, von diesem Recht Gebrauch zu machen: "Wer nachfragt, welche Substanzen in den Produkten stecken, fördert Unternehmen, die sich um ungefährliche Alternativen bemühen."

Auch anderen Organisationen geht die Richtlinie nicht weit genug: So dürften Krebs erregende, die Fruchtbarkeit schädigende und hormonell wirksame Chemikalien weiter vermarktet werden, selbst wenn sichere Ersatzstoffe vorhanden seien. Allerdings sei es positiv, dass Stoffe, die im menschlichen Körper nicht abbaubar seien, ersetzt werden müssten, teilten Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Frauenverband Women in Europe for a Common Future (WECF) mit.

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