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Fall Nemzow: EU will Klarheit

Bernd Riegert11. März 2015

Wer hat den russischen Regimekritiker Nemzow wirklich ermordet, fragen die Europa-Abgeordneten. Ob sie Antworten aus Moskau bekommen, bezweifeln sie. Aber es gibt auch Unterstützung für Putin.

Europaparlament Debatte zur Lage der Union EP 11.09.2013 Straßburg
Außenpolitik vor leeren Rängen: EU-Parlament kritisiert RusslandBild: Reuters

Die gemeinsame Erklärung der großen Mehrheit im Europäischen Parlament ist deutlich: Der Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow wird verurteilt. Die russischen Behörden werden aufgefordert, alles zur Aufklärung des Verbrechens zu tun und den Druck auf Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft zu beenden. "Die russischen Behörden haben nicht nur die Pflicht, den Mord an Boris vollständig und transparant aufzuklären, sondern auch die Pflicht, das Klima von Misstrauen, Hass und Intoleranz zu beenden", verlangte die EU-Beauftragte für Außenpolitik, Federica Mogherini.

Die Abgeordneten fordern eine internationale unabhängige Untersuchung des Mordes, der nur einer in einer langen Reihe von Attentaten auf Oppositionelle oder Kritiker von Präsident Wladimir Putin gewesen sei. Nemzow war Ende Februar nahe des Kremls auf einer Brücke in Moskau erschossen worden. Als mutmaßliche Täter präsentierten die russischen Behörden mehrere Tschetschenen.

"Opposition muss möglich sein"

"Wir haben Russland immer wieder aufgefordert, allen politischen Parteien die gleichen Möglichkeiten einzuräumen. Opposition muss möglich sein, und die Medien müssen vielfältig sein. Im heutigen Russland sehen wir aber, dass die Meinungsfreiheit unter schwerem Druck steht", beklagte Mogherini in der Debatte. Die Schuld an der Bluttat wies sie nicht direkt dem Kreml zu.

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Viele Abgeordnete wurden deutlicher. Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms warf Präsident Putin vor, er habe sein Land in die Vergangenheit zurückgeführt. Kritiker würden heute wieder als "Verräter" behandelt. Die Verbindung zwischen der kritischen Haltung von Boris Nemzow zum russischen Vorgehen in der Ukraine und dem Mord liege auf der Hand. "Ganz offensichtlich sind diejenigen, die in Russland versuchen, die Wahrheit nach vorne zu bringen, wieder ganz gefährdet. Auf der Trauerkundgebung gab es ein Poster, das sagte, 'Propaganda tötet, wer von uns ist der Nächste?'", so Rebecca Harms im Parlament in Straßburg.

"Russen verdienen ein demokratisches Land"

Angesichts der innenpolitischen Lage sprachen viele Abgeordnete Russland ab, noch ein demokratischer Staat zu sein. Vor allem die Meinungsfreiheit sei in großer Gefahr. Federica Mogherini erinnerte den Kreml an das immer noch gültige Partnerschaftsabkommen mit der EU: "Die russischen Bürger verdienen nichts weniger als ein demokratisches und offenes Russland. Die Stärkung der Freiheit und der Demokratie ist ein Ziel, das im ersten Artikel in unserem Partnerschaftsabkommen mit Russland festgelegt ist."

Außenbeauftragte Mogherini: Klima des Hasses beendenBild: picture-alliance/dpa/Valda Kalnina

Der liberale Abgeordnete Johannis Cornelis van Baalen war Nemzow mehrfach persönlich begegnet und zeigte sich erschüttert vom Mord an seinem Parteifreund. Man müsse aber bei aller Kritik zwischen der russischen Führung und den russischen Menschen unterscheiden, mahnte van Baalen: "Wir sollten mit den Russen, den Menschenrechts-Organisationen, sprechen. Auf der einen Seite haben wir die Sanktionen, die bleiben sollten, auf der anderen Seite reichen wir den normalen Russen die Hand."

Solidarität mit Kalniete

Das Parlament verurteilte das Einreiseverbot für die lettische Europa-Abgeordnete Sandra Kalniete, die nicht zur Trauerfeier für Nemzow nach Moskau fahren konnte. Kalniete, deren Familien in der Sowjetunion aus dem Baltikum nach Sibirien deportiert worden war, kritisierte das "System Putin" scharf, das Russland inzwischen beherrsche. "Einen Vorteil hat das Einreiseverbot gegen mich. Bis 2019 kann ich so wenigstens auch nicht nach Sibirien verschleppt werden", sagte Sandra Kalniete unter Anspielung auf das Schicksal ihrer Familie der DW in Straßburg. Der SPD-Abgeordnete Knut Fleckenstein forderte trotz aller Kritik an Russland auch zur Mäßigung und Dialogbereitschaft auf. Es nutze nichts, die Russen nur vor den Kopf zu stoßen, wenn man die Demokratie stärken wolle. "Wir hier im Europäischen Parlament, die eine solche Entwicklung unterstützen wollen, sollten uns dazu klar äußern, aber in Worten, die einen freien, offenen Dialog in Zukunft möglich machen, damit wir etwas bewirken können."

Abgeordnete Kalniete: Einreise zur Trauerfeier verweigert (Archivbild)Bild: AFP/Getty Images/F. Florin

Beifall von Rechtsaußen für Putin

Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin kam von den rechtspopulistischen Europa-Gegnern im Parlament. Matteo Salvini von der italienischen Lega Nord warf der EU vor, sie sei nicht besser als Russland. "Die Frage, die hier gestellt wird, ob Russland eine Demokratie oder eine Diktatur ist, die kann von uns nicht beantwortet werden. Europa ist ja selbst keine Demokratie, sondern eine Gefahr. Europa verursacht Kriege und Gewalt."

Der Abgeordnete Jean-Luc Schaffhauser vom rechtspopulistischen "Front National" aus Frankreich, warf den EU-Politikern vor, sie urteilten vorschnell. Es sei überhaupt nicht erwiesen, dass der russische Präsident Putin irgendetwas mit dem Mord an Boris Nemzow zu tun habe. Da platzte dem deutschen Europa-Abgeordneten Elmar Brok der Kragen. Er warf Schaffhauser vor, er müsse Putin wahrscheinlich im Plenum verteidigen, weil seine Partei von Putin einen Kredit bekommen habe, den er - Schaffhauser - vermittelt habe. Jean-Luc Schaffhauser schäumte vor Wut, wies die Darstellung Broks zurück und drohte ihm mit einer Verleumdungsklage.

So lebhaft war die Debatte nur selten, denn im Grunde war sich die übergroße Mehrheit des Parlaments in der Beurteilung Russlands einig. Die Aussprache fand allerdings auch weitgehend vor leeren Rängen im Straßburger Plenarsaal statt.

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