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PolitikEuropa

Kreml-Kritiker Nawalny in Abwesenheit geehrt

15. Dezember 2021

Russlands inhaftierter Oppositionsführer Alexej Nawalny ist mit dem Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit geehrt worden. Weil er inhaftiert ist, sprach seine Tochter im Parlament in Straßburg. Bernd Riegert berichtet.

Europaparlament Daria Nawalnaja nimmt den Sacharow-Preis entgegen
Tochter Daria (li.) nimmt den Sacharow-Preis im Europäischen Parlament für ihren Vater entgegenBild: POOL/AFP via Getty Images

"Freiheit für Alexej Nawalny!" Mit diesem Aufruf beendete die Tochter des russischen Oppositionellen, Daria Nawalnaja, ihre Rede im Europäischen Parlament in Straßburg. Die Abgeordneten erhoben sich zu lange anhaltendem Applaus. Die 20 Jahre alte Tochter des diesjährigen Sacharow-Preisträgers nahm den renommierten Preis entgegen, weil ihr Vater in einem russischen Straflager zu Unrecht inhaftiert sei, sagte der Präsident des Europäischen Parlaments David Sassoli. "Der Stuhl ist leer", sagte Sassoli und deutete auf einen schwarzen Lederstuhl neben dem Rednerpult. "Das symbolisiert leider, dass ein Preisträger seiner Freiheit beraubt wurde."

Sassoli: Nawalny ist ein politischer Gefangener. Das russische Regime ist schuldig.Bild: POOL/AFP via Getty Images

Im Namen des Europäischen Parlaments, das den Sacharow-Preis für Menschenrechte und Meinungsfreiheit seit 1988 verleiht, forderte David Sassoli die sofortige und bedingungslose Freilassung Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. "Er ist misshandelt, bedroht, vergiftet und ins Gefängnis gesteckt worden, aber man hat es nicht geschafft, ihn zum Schweigen zu bringen", sagte der Parlamentspräsident. Der Kampf gegen Korruption, den Nawalny in über zehn Jahren Oppositionsarbeit zu seinem Hauptthema gemacht habe, müsse weitergehen als ein Kampf für die Menschenrechte. "Das russische Regime hat sich schuldig gemacht durch die Unterdrückung der Zivilgesellschaft", kritisierte Sassoli.

"Diktatoren nicht nachgeben"

Daria Nawalnaja brachte ein großes Foto ihres Vaters mit zum Rednerpult. Sichtlich bewegt sagte die Studentin: "Das ist wirklich unglaublich. Ich bin sehr dankbar hier zu sein." Gleichzeitig sei sie aber auch erfüllt mit Angst. Angst, um ihren Vater und die vielen anderen Aktivisten, die bedroht würden. Die Verleihung des Menschenrechts-Preises an ihren Vater sei "ein Signal für die Zehntausende Menschen in meinem Land, die weiter kämpfen für ein besseres Russland."

Der Vater war nur als Bild (li.) anwesend: Tochter Daria Nawalnaja hält eine bewegte RedeBild: AFP

Daria Nawalnaja sagte, dass sie anstelle ihres Vaters an Ehrungen und Konferenzen teilnimmt und ihr pragmatische Politiker immer wieder sagten, man könne nicht viel tun gegen Diktatoren und die Tyrannen. Man dürfe sie nicht wütend machen. "Diesem Pragmatismus möchte ich mich hier und heute entgegenstemmen", sagte die Tochter des Preisträgers unter großem Applaus des Parlaments. "Die Beschwichtigung von Diktatoren hat in der Geschichte noch nie funktioniert und sie wird nicht funktionieren", erklärte Daria Nawalnaja auch mit Blick auf Belarus, wo Machthaber Lukaschenko Flüchtlinge an die westlichen Grenzen schicke, um sie als politisches Druckmittel zu nutzen. "Diktatoren brauchen immer neue Feinde, um sich zu legitimieren."

Nawalnys Botschaft

Auch ihr Vater halte Pragmatismus für die falsche Antwort, sagte die Tochter des inhaftierten Anführers der russischen Opposition. Sie habe ihn per Brief ins Straflager gefragt, was sie in Straßburg sagen solle. "Seine Antwort: Sage ihnen, niemand sollte es wagen Russland mit dem Regime Putins gleichzusetzen." Außerdem solle sie kritisieren, wenn sich westliche Politiker mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemein machten und etwa in Aufsichtsgremien von russischen Staatsfirmen säßen. Gemeint ist hier wohl der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, der den Aufsichtsrat der staatlichen Energiefirma Rosneft leitet. Die Europäische Union sei ein "Wunder", in dem einst verfeindete Staaten Freunde geworden seien, sagte Daria Nawalnaja im Namen ihres Vaters. Eines Tages werde auch ihr Land der EU angehören.

Abgemagert, kahlgeschoren: Ein Bild Nawalnys bei einer Gerichtsanhörung im AprilBild: Babuskinsky District Court Press Service via AP/picture alliance

"Aufmerksamkeit schützt"

Bei der Preisverleihung in Straßburg dabei war auch der enge Mitarbeiter Nawalnys, Leonid Wolkow. Im DW-Gespräch sagte Wolkow, der in Lagerhaft gefolterte Nawalny, sei so lange geschützt, so lange er internationale Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit bekomme. "Er ist kein einsamer Mann in einem Ozean des Schweigens. Er ist ein Mann, der es geschafft hat, eine große politische Organisation zu schaffen, innovativ und kreativ, durch die politische Landschaft Russlands zu manövrieren." Leonid Wolkow forderte die EU auf, schärfer gegen Präsident Putin aufzutreten.

Nach der Inhaftierung 2021 und dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny 2020 hatte die EU Sanktionen gegen mutmaßlich Verantwortliche erlassen. Die Bundesregierung, die EU und viele internationale Institutionen machen Russland für die Gift-Attacke mit einem Nervengift verantwortlich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die EU fordern seine umgehende Freilassung aus der Lagerhaft. Nawalny selbst klagt bereits zum vierten Mal ohne Aussicht auf Erfolg gegen seine Haft vor russischen Gerichten. Russische Stellen haben jede Verantwortung für den Giftanschlag stets zurückgewiesen. Der Sprecher des Kremls, Dmitri Peskow, sagte zur Verleihung des Sacharow-Preises an Nawalny bereits im Oktober, man respektiere zwar das Europäische Parlament, aber diese Entscheidung könne man nicht respektieren.

Proteste in Novosibirsk, Russland, im April: "Einer für alle, alle für einen" steht auf dem SchildBild: Alexandr Kryazhev/Sputnik/dpa/picture alliance

Russland und Belarus drei Mal auf der Liste

Der Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments, benannt nach dem sowjetischen Dissidenten Andrej Sacharow, geht zum dritten Mal an einen russischen Preisträger. 2009 erhielt ihn die Menschenrechts-Organisation "Memorial", die der Kreml gerade von Gerichten auflösen lassen will. 1988 ging der erste Sacharow-Preis posthum unter anderem an den sowjetischen Regimekritiker Anatoli Martschenko. In der 33 Jahre währenden Geschichte des Preises ging die Auszeichnung nur in ein weiteres Land so oft wie nach Russland, und zwar nach Belarus, das von Putin-Freund Alexander Lukaschenko beherrscht wird. "Andrej Sacharow wäre traurig darüber, dass die Auszeichnung erneut nach Russland gehen muss", sagte EU-Parlamentspräsident David Sassoli in Straßburg, aber er wäre gleichzeitig stolz auf das Durchhaltevermögen von Alexej Nawalny.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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