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Politik

"Klimanotstand" in Europa

28. November 2019

Das Europäische Parlament hat mit großer Mehrheit den Klimanotstand erklärt. Aber die Erklärung hat vor allem symbolische Bedeutung. Praktische Politik soll erst noch folgen. Bernd Riegert aus Brüssel.

Klima Treibhausgas Symbolbild
Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress

Europa ist der erste Kontinent, der einen "Klimanotstand" ausgerufen hat. So sieht es zumindest der liberale französische Abgeordnete Pascal Canfin, einer der Autoren der Resolution, die das EU-Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet hat. Der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europäischen Parlament räumt ein, dass es den Begriff "Notstand" in den EU-Verträgen eigentlich nicht gibt und der Beschluss deshalb auch keine unmittelbaren rechtlichen Folgen hat. "Es ist ein Signal, ein starkes politisches Signal", sagt Canfin im Gespräch mit der DW. "Es ist eine starke Botschaft an die europäischen Bürger, besonders die junge Generation und den Rest der Welt. Wir sagen: Nachdem US-Präsident Trump das Klima-Abkommen von Paris verlassen hat, bleibt Europa standhaft und mehr als jemals zuvor entschlossen, das Klimaproblem anzugehen."

Canfin: Signal an die junge Generation. Und nicht nur dieBild: DW/B. Riegert

Bislang hatten die Parlamente in Großbritannien und Irland sowie rund 1000 Städte weltweit einen "Klimanotstand" ausgerufen, um auf die immer stärker spürbaren Folgen der Erderwärmung aufmerksam zu machen. In Deutschland haben unter anderm Konstanz, Köln und Karlsruhe den Klimanotstand erklärt, der Bundestag allerdings noch nicht.

Praktische Politik soll folgen

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Begrenzung von klimaschädlichen Emissionen und eine klimafreundliche Veränderung von Gesellschaft und Wirtschaft zum Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen des Europäischen Parlaments an die neue Kommission und den erst 29 Jahren alten Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius, sagt Pascal Canfin. "In der Landwirtschaft, bei der Infrastruktur, bei der Fiskalpolitik wird die Kommission den umfangreichsten Maßnahmenkatalog vorlegen, den es je gab. Wir erwarten ein Klimagesetz, das für das Jahr 2050 verbindlich Klimaneutralität vorschreibt. Die Verpflichtungen müssen verschärft werden", so der Vorsitzende des Umweltausschusses gegenüber der DW.

429 von 673 Abgeordenten stimmten für den Notstand - eine fraktionsübergreifende Mehrheit in StraßburgBild: Reuters/V. Kessler

Hilfen für den Strukturwandel

Rechtzeitig vor einem weiteren Protesttag gegen den Klimawandel an diesem Freitag und dem Beginn der UN-Klimakonferenz in Madrid in der kommenden Woche hat das Europäische Parlament in einer weiteren Resolution verlangt, die klimaschädlichen Emissionen in Europa im Jahr 2030 auf 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 zu reduzieren. Die EU-Mitgliedsstaaten, die diese Ziele in praktische Politik umsetzen müssen, ziehen allerdings noch nicht mit. Sie erreichen nach heutigem Stand die bislang gesetzten Ziele nicht. Das geht aus einer Studie der Umweltorganisation '"Climate Action Network" hervor, die heute veröffentlicht wurde. Dabei sind die Ansätze sehr unterschiedlich. Während Dänemark die Emissionen um 70 Prozent bis 2030 verringern will, ist Polen sehr zurückhaltend. Polnische Abgeordnete im Europäischen Parlament weisen darauf hin, dass ihr Land Energie hauptsächlich mit dem Verbrennen von Kohle erzeugt und eine Energiewende nicht in Sicht ist.

Pascal Canfin hat durchaus Verständnis für die Argumente aus Polen und anderen östlichen Mitgliedsstaaten. Er fordert deshalb Ausgleichszahlungen für den anstehenden Strukturwandel. Fördergelder der EU, die künftig verstärkt nach Umweltschutz-Kriterien vergeben werden sollen, dürften nicht nur in den Westen, sondern müssten auch nach Polen, Tschechien und andere Staaten fließen.

"Öko-Hysterie" in der Kritik

Kritik am Ausrufen des "Klima-Notstandes" kommt vor allem aus dem rechtspopulistischen Lager. Da wird vor Klima-Hysterie und angeblich falschen wissenschaftlichen Erkenntnissen gewarnt. Die italienische Abgeordnete Silvia Sardone warf der neuen EU-Kommissionschefin vor, sie sei eine "Umwelt-Fundamentalistin". Es gäbe andere, viel dringendere Notfälle in der Europäischen Union bei den Themen Arbeitslosigkeit und Migration, sagte die Vertreterin der rechtsradikalen Lega.

Der christdemokratische Abgeordnete Peter Liese unterstützt zwar den Kampf gegen die Erderwärmung, stößt sich aber an dem Begriff "Notstand". Der sei in Deutschland negativ besetzt, weil Adolf Hitler mit "Notstandsgesetzen" regiert habe. "Der Begriff löst in erster Linie Angst aus und weckt zudem Erwartungen an Sofortmaßnahmen, die Europa nicht liefern kann", kritisierte Peter Liese nach der Abstimmung in Straßburg. "Mit effektheischender Symbolpolitik werden wir der Hausforderung des Klimaschutzes nicht gerecht. Wir müssen kühlen Kopf bewahren, Panikmache bringt uns nicht weiter."

In zwei Wochen will die neue EU-Kommission ihre Vorschläge zum grünen "Deal", ein umfassendes Gesetzespaket zur Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen vorlegen. "Europa muss die Vorreiterrolle in der Welt übernehmen", hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch nach der Bestätigung ihrer Mannschaft gefordert - auch wenn die EU nur neun Prozent der klimaschädlichen Gase weltweit produziere.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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