1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAfrika

Warum die Piraterie vor Westafrika zunimmt

Daniel Pelz
19. Februar 2021

Nirgendwo schlagen Piraten so oft zu wie im Golf von Guinea: Über 130 Seeleute wurden dort letztes Jahr entführt. Das Seegebiet ist sogar gefährlicher als die Küste Somalias. Nun will die EU sich stärker engagieren.

Spezialeinheit der nigerianischen Marine bei einer internationalen Übung
Nigerias Marine übt den Anti-Piraten-KampfBild: Getty Images/P.U. Ekpei

Der Angriff kam aus dem Nichts: Über 200 Seemeilen war die "Mozart" noch von der Küste Nigerias entfernt, als die Piraten zuschlugen. Medien berichteten von dramatischen Szenen an Bord: Während die Crew des Containerschiffs in Todesangst im Schutzraum ausharrte, machten sich die Seeräuber seelenruhig ans Werk. Sechs Stunden versuchten sie, die sogenannte "Zitadelle" aufzubrechen - was am Ende auch gelang. Ein Seemann wurde erschossen, 15 als Geiseln genommen. Sie sind heute wieder frei. Ob nach dem Angriff im Januar Lösegeld gezahlt wurde, blieb unklar. 

130 Entführungen von Seeleuten im Golf von Guinea zählte das Internationale Schifffahrtsbüro (IMB) im vergangenen Jahr - bei 135 weltweit. Die Angriffe werden, wie im Fall der "Mozart", immer gefährlicher:  "Die Piraten handeln völliger ungestraft", klagt IMB-Direktor Michael Howlett im DW-Interview. "Sie bleiben immer länger an Bord der Schiffe, in einem Fall sogar über 24 Stunden, ohne das ihnen irgendetwas geschieht." 

Strategische Seewege

Das sorgt für Angst weltweit. Denn die Seewege im Golf von Guinea haben eine hohe strategische Bedeutung. Hier verlaufen wichtige Transportwege - für den Handel zwischen dem südlichen und dem westlichen Afrika, aber auch für Rohöl, das per Schiff von Angola und Nigeria in die ganze Welt transportiert wird.  

"In den letzten zwei oder drei Jahren war der Golf von Guinea - eine strategische Region, durch die ein Großteil des Handels nach Europa geht - der Hauptschauplatz der internationalen Piraterie", sagt Portugals Verteidigungsminister João Gomes Cravinho zur DW. Sein Land hat im Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. 

Seit 2014 unterstützt die EU den Kampf gegen Piraten mit bisher über 55 Millionen Euro. Unter anderem finanziert Brüssel den besseren Schutz von Häfen und Programme zur besseren Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte in der Region. 

Mehr europäische Zusammenarbeit im Golf

Im Januar beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine weitere Komponente. Schon jetzt kreuzen häufig Marineschiffe verschiedener europäischer Länder in der Region. Sie bilden künftig eine Art Netzwerk, stimmen sich etwa über Patrouillen ab oder tauschen Informationen über Piraten aus. Ob die Kriegsschiffe anderen Schiffen bei Angriffen zur Hilfe eilen, entscheidet das jeweilige Herkunftsland im Einzelfall. Im November hatte etwa eine italienische Fregatte mithilfe des Bordhubschraubers Piraten von einem dänischen Schiff vertrieben. 

Die "Mozart" wurde im Januar entführtBild: Barend J V Rensburg/Isle Of Capri Cruises/REUTERS

"Das ist kurzfristig sicher eine Hilfe, löst das Problem aber nicht langfristig", sagt Kamal-Deen Ali, Direktor des Zentrums für internationales Seerecht und Sicherheit (CEMLAW) in Ghanas Hauptstadt Accra. Er fordert mehr Hilfe für die Anrainerstaaten. Denen fehlt es nicht an gut ausbildeten Marine-Soldaten, aber dafür sonst an fast allem. Viele Länder haben laut Ali keine funktionierenden Radarsysteme, um ihr Seegebiet zu überwachen. 

Bei Marineschiffen sieht es nicht besser aus: "Viele Länder verfügen über Einsatzmittel, aber sie auch einzusetzen, ist eine Herausforderung: Oft fehlt es an den nötigen Finanzen für Treibstoffe oder Ersatzteile", sagt Ali, der lange als Offizier in Ghanas Marine gedient hat. 

Kleine Hoffnungsschimmer

"Die Piraterie am Golf von Guinea ist ein regionales Problem, das eine effektive regionale Antwort braucht", sagt auch IMB-Chef Howlett. Es gibt vorsichtige Hoffnungszeichen: Nigeria etwa investiert umgerechnet über 165 Millionen Euro in bessere Aufklärungssysteme, Schiffe und Flugzeuge. Der neue Marinechef Awwal Zubairu Gambo hat seine Offiziere aufgefordert, härter gegen Piraten vorzugehen. Im Januar eilte die Marine einem Containerschiff zur Hilfe, das direkt vor der Küste angegriffen wurde. 

Experten halten den europäischen Einsatz nur für eine kurzfristige LösungBild: Marinha Portuguesa

Doch mehr Präsenz auf See reicht nicht aus: "Piraterie ist ein Akt, der an Land geplant wird und auch an Land endet", sagt IMB-Experte Howlett. Hier haben die Gangs  ihren Sitz und investieren ihre Beute. Daher fordern Experten von Polizei und Justiz, Seeräuber härter zu verfolgen. Nigeria hat die entsprechenden Gesetze verstärkt. Im Juli 2020 begann vor dem Obersten Gerichtshof ein Verfahren gegen 10 mutmaßliche Seeräuber, die einen Fischtrawler geentert haben sollen.  

Langfristig lässt sich das Problem aber nicht nur durch Aufrüstung der Sicherheitsbehörden lösen. Die Wurzeln gehen tiefer: "Ein Großteil der Piraten kommt aus dem Nigerdelta" sagt Experte Ali. Die Region im Süden Nigerias verfügt über reiche Ölvorkommen. Durch die Förderung sind jedoch Böden und Gewässer verschmutzt. Die meisten Bewohner der Region leben in bitterer Armut. Da die beiden wichtigsten Wirtschaftszweige Fischerei und Landwirtschaft zerstört sind, suchen viele nach anderen Einkommensquellen. Kriminelle Banden könne so einfach neue Piraten anwerben. 

Ex-Marineoffizier Ali fordert von den Regierungen daher, die Küstenregionen nicht zu vernachlässigen: "Viele Menschen leben von der Fischerei. Doch die Fischvorkommen nehmen ab. Das macht Menschen viel anfälliger für kriminelle Banden." Wenn das nicht passiert, dann könnten die Angriffe in Zukunft eher zunehmen - allem EU-Engagements zum Trotz. 

Mitarbeit: João Carlos (Lissabon)