EU-Politik: 25 Prozent fürs Klima?
9. Juli 2018Arne Lietz erinnert sich in diesen Tagen an eine Aktion während seines Studiums: "Ich war 2009 in der Umweltbewegung engagiert, und wir haben vor dem Brandenburger Tor in einem Aquarium mit Masken von Obama, Merkel und anderen Politikern debattiert, während Wasser eingelassen wurde, bis es uns zum Hals stand." Die Aktivisten wollten zeigen, dass internationale Verhandlungen nie zu großen Durchbrüchen in der Klimaschutzpolitik geführt hatten und der Klimawandel fortschreitet.
Inzwischen sitzt Lietz als SPD-Politiker im Europaparlament (EP) und will durchsetzen, dass nicht mehr nur debattiert wird. Er hat die Initiative für eine Strategie ergriffen, mit der das Vakuum in der Klimapolitik beendet werden soll. Sein Vorschlag: "Wir brauchen mehr Geld für mehr sachkundige Diplomaten, um diese in den Ländern Europas und der Welt einzusetzen, damit wir gemeinsam die Klimaziele des Pariser Vertrags von 2015 schnellstmöglich umsetzen. Derzeit beschäftigen sich eine Handvoll Diplomaten im Auswärtigen Dienst [der Europäischen Union] mit Klimaschutz."
Wenn es nach den Fachausschüssen des EU-Parlaments ginge, sollte ein Viertel des Etats ab 2021 für Belange rund um Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel bereitgestellt werden.
Der Abgeordnete des Auswärtigen Ausschusses im EP und der SPD-Klimaexperte Jo Leinen sind Berichterstatter eines entsprechenden Initiativberichts des Auswärtigen und des Umweltausschusses als Basis für eine einheitliche EU-Klimadiplomatie. Der Bericht soll diesen Sommer vom Europäischen Parlament verabschiedet werden und gilt für die Finanzierungsperiode von 2021 bis 2024.
Die Strategie sieht vor, dass in Handelsverträgen künftig Bezug genommen werden soll auf die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens. Mit Kanada sei dies bereits gelungen. Mit Japan laufen derzeit entsprechende Verhandlungen, so Lietz. "Die EU strahlt dadurch Glaubwürdigkeit aus, um mit klaren Exportstrategien für Klimatechnologien ihre wirtschaftlichen Chancen zu nutzen", erklärt Jo Leinen.
Mehr dazu: Umweltministerium: Deutschland verfehlt Klimaziele
Klimawandel als Menschheitsbedrohung
Und die EU kann diplomatisch noch mehr ausrichten: Ihre Vertretungen arbeiten nicht nur mit den Regierungen der jeweiligen Staaten. In Washington gibt es etwa ein Büro, das nach der Abkehr des US-Präsidenten Donald Trump vom Klimaschutz gemeinsam mit Gouverneuren, Bürgermeistern und der Zivilgesellschaft Lösungen für den Kohleausstieg, die Verbreitung der Erneuerbaren Energien und die Anpassung der Städte an den Klimawandel sucht.
Ähnliche Aktivitäten und eine bessere Vernetzung wünscht sich Lietz mit Indien, China und den Staaten Afrikas. Der Klimawandel soll international als Menschheitsbedrohung verstanden werden. Mit einer global abgestimmten Klimapolitik sollen die Weichen gestellt werden, um den Klimawandel abzumildern.
Klimawandel als Sicherheitsrisiko
Die Umsetzung der Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel erfordert Zeit. Sollten die Gesellschaften damit überfordert sein, könnte dies Gewalt und Destabilisierung wie Migration und Nahrungsmittelknappheit nach sich ziehen, die die nationalen und internationalen Sicherheiten bedrohen. Lietz will, dass die Klimapolitik als sicherheitsrelevantes Thema auf die Agenda gehoben wird.
"In den USA gibt es die Order des Präsidenten, das Klima nicht anzusprechen. Das gilt nicht für den Militär- und Sicherheitsbereich." Die Armee habe aber einen hohen Energieverbrauch und sei weltweit auf Militärbasen im Einsatz. Außerdem müsse die Technik an das sich ändernde Klima wie beispielsweise zunehmende Sandstürme angepasst werden. Das Militär könnte, so Lietz, möglicherweise sogar Impulsgeber für den Forschungsbereich der Regenerativen Energien sein. Ein weiterer Knackpunkt ist die Energiegewinnung in Krisengebieten.
Bei den künftige Weltklimakonferenzen, wie im Herbst im polnischen Kattowitz, sollten Experten des Europaparmalents aus den Ressorts Finanzen, Industrie, Verkehr und Agrar mitverhandeln, fordert Lietz. Das Parlament müsse sich neu aufstellen.
Klimapolitik könnte sogar ein Türöffner sein, um mit Staaten ins Gespräch zu kommen, die den Multilateralismus nicht pflegen. "Der Iran, beispielsweise, steht vor großen Herausforderungen in Umweltbelangen, weil Seen austrocknen, Sandstürme über das Land fegen und eine hohe Luftverschmutzung die Menschen belastet."
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe der Vertreter des Iran diesbezüglich eine Zusammenarbeit angefragt. Projekte zur Beforstung und Luftreinhaltung und Interessen hinsichtlich Naturschutzparks gebe es. "Die Klimadiplomatie eignet sich, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, auch in Bezug auf die internationalen Nuklearverhandlungen mit dem Iran, von dem die USA die Abwicklung fordern."
Lietz: "Eine Katastrophe, dass Deutschland seine Klimaziele nicht erreicht"
Europa müsse seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen, mahnt Arne Lietz. "Wir müssen den Kohleausstieg voranbringen und gestalten. 44 Regionen innerhalb der Europäischen Union werden dahingehend unterstützt, den Strukturwandel zu bewerkstelligen."
Der Plan ist, die Klimafinanzierung gegenüber anderen Ländern und die Entwicklungszusammenarbeit bei Erneuerbaren Energien und bei der Dekarbonisierung der Energieversorgung zu verstärken.
Deutschland habe große Aufgaben zu bewältigen. Als Beispiele nennt der SPD-Politiker den Kohleausstieg, klare Abgas-Regeln für die Autoindustrie und die Aufnahme der Klimaschutzziele bei Transport und Handel.
Dem Bericht der beiden EU Parlamentsausschüsse zufolge soll das Europaparlament seine Bereitschaft erklären, das EU-Klimaziel für 2030 deutlich anzuheben und somit kompatibler zu machen mit den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens. EU-Staaten sollten ihre Unterstützung für verwundbare Staaten, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, ausbauen. Es solle so mehr Solidarität bei der Behebung klimabedingter Schäden geben und weltweit sollten Staaten Partnerschaften für die Etablierung von CO2-Bepreisungssystemen entwickeln.
Die Umweltorganisation Germanwatch hat positiv auf den Vorstoß in der Klimadiplomatie reagiert. "Der Klimawandel als globaler Krisenverstärker sollte endlich zentrales Thema für die Diplomaten der EU und ihrer Mitgliedstaaten werden, insbesondere nachdem das US-Außenministerium als konstruktiver Akteur ausgeschieden ist", sagt Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation. Zentral für den Erfolg des Paris-Abkommens und die Glaubwürdigkeit der EU in den Klimaverhandlungen sei, dass die Abgeordneten die deutliche Anhebung des EU-Klimaziels für 2030 fordern.
Arne Lietz will sein Strategiepapier nun Papst Franziskus zukommen lassen, der in seiner Umweltenzyklika "Laudato si" den Zusammenhang zwischen der Ökologie der Natur und der des Menschen aufzeigt. Auch UN-Generalsekretär Guterres soll eine Kopie erhalten. Beide hatten bei Reden vor dem Europaparlament in Straßburg die Vertretung zur Umsetzung der Klimaziele aufgefordert.