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Politik

Ratschef Tusk haut auf den Putz

16. Mai 2018

Europa solle Stärke zeigen, meint EU-Ratspräsident Donald Tusk beim informellen Gipfel der EU in Sofia. Wird das die USA beeindrucken? Der Streit um Iran, Sanktionen, Zölle geht an die Substanz. Bernd Riegert aus Sofia.

Bulgarien EU-Balkan-Gipfel in Sofia | Donald Tusk NEU für Karussel
Bild: picture alliance/AP Photo/V. Mayo

Die Gretchenfrage beim Abendessen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs lautet: "Wie halten wir es mit Herrn Trump?" Der amerikanische Präsident gefährde mit seiner einseitigen Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran die transatlantische Solidarität und Partnerschaft, so ihr Vorwurf. Ratspräsident Donald Tusk sagte vor dem Treffen zum Verhalten der USA: "Mit solchen Freunden kann man sich fragen, ob man da noch Feinde braucht." Im Vorfeld des informellen Gipfeltreffens in der bulgarischen Hauptstadt Sofia hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei öffentlichen Auftritten ihre These wiederholt, dass man sich auf die Amerikaner "nicht mehr völlig verlassen könne." Nach fast siebzig Jahren transatlantischer Bindung zumindest mit dem Westen Europas bröckelt das Vertrauen. Das Iran-Deal-Fiasko sei ja nicht das erste Mal gewesen, dass US-Präsident Trump die Europäer brüskierte, sagen EU-Diplomaten zur Stimmung vor dem Abendessen. Dieses hatte die bulgarische Ratspräsidentschaft in einen Industriepark gelegt.  Denn eigentlich sollte es beim informellen Gipfeltreffen um Innovation, digitale Wirtschaft und Bildung gehen. Eigentlich.

EU-3 sollen Auswege aufzeigen

US-Präsident Trump hat mit seiner "Amerika zuerst"-Doktrin bereits das UN-Klimaschutzabkommen torpediert, nach Ansicht der EU illegale Strafzölle angedroht und mit dem Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem den Gewaltausbrüchen im Nahen Osten neue Nahrung gegeben. Jetzt, so fürchten Sicherheitsexperten wie der ehemalige deutschen Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger, könne der Iran versucht sein, die Herstellung von Atomwaffen wieder aufzunehmen. Ein Wettrüsten in der Region könnte die Folge sein. Die Gefahr von präventiven Schlägen durch Israel wächst. Die Lunte am Pulverfass Mittlerer Osten könnte entzündet sein. Auf die Frage, wie die EU auf den als unberechenbar empfundenen Einzelkämpfer im Weißen Haus reagieren sollte, wollen am Abend in einem Vortrag Bundeskanzlerin Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und die britische Premierministerin Theresa May eine Antwort vorschlagen. Die EU-3 aus den Iran-Verhandlungen sollen berichten, wie das Abkommen mit der islamischen Mullah-Diktatur gerettet werden könnte. Dazu hatten am Dienstag schon die Außenminister der EU-3 mit dem iranischen Außenminister beraten. Außer einer Bekräftigung, dass der Willen herrsche, den Deal leben zu lassen, ist dabei aber wenig Konkretes herausgekommen. In Sofia herrschte eher eine gewisse Ratlosigkeit. "Es mangelt an Handlungsoptionen", beschreibt ein EU-Diplomat die Lage.

Bundeskanzlerin betont Wichtigkeit des Atomabkommens mit dem Iran

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Geschäfte mit dem Iran sollen weiterlaufen

Die EU könnte, wenn sie geschlossen agiert, als große Wirtschaftsmacht Druck ausüben, glaubt die Europäische Kommission. Ihr Präsident Jean-Claude Juncker soll den Staats- und Regierungschefs darlegen, wie eventuelle amerikanische Sanktionen gegen europäische Unternehmen im Iran-Streit umgangen werden könnten. Junckers Experten in der EU-Kommission schlagen die Gründung einer eigenen Bank vor, die den dafür benötigten Zahlungsverkehr unabhängig von den USA organisieren könnte. Frankreich hat bereits angekündigt, auch weiter Öl in Iran kaufen zu wollen. Die EU könnte mit eigenen Zöllen und Einfuhrbeschränkungen Trumps Strafzölle und mögliche Sanktionen für Irangeschäfte kontern. Doch das würde die Lage nur noch verschlimmern und den Riss zwischen dem multilateral orientieren Europa und dem selbstbezogenen neuen Amerika nur noch tiefer machen. EU-Ratspräsident Tusk forderte die EU-Staats- und Regierungschefs auf, der EU-Kommission "grünes Licht" für Gegenmaßnahmen zu geben, "damit sie handeln kann, wenn europäische Interessen gefährdet sind."

Die drei Iran-Unterhändler: Macron, May, Merkel. Was schlagen sie vor?Bild: picture alliance/AP Photo/F. Lenoir

Tiefer Graben im Atlantik

Ein Wirtschaftskrieg mit dem führenden Verbündeten in der NATO? Kaum vorstellbar. Wolfgang Ischinger, ehemaliger Diplomat, Transatlantiker und ehemaliger Botschafter in Washington, rät zum stillen Erdulden. "Jetzt hilft nur überwintern", sagte Ischinger dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Am Ende reduziere sich alles darauf, dass Europa militärisch nicht auf den Schutz durch die USA verzichten kann. Europa könne keine atomare Abschreckung gewährleisten und das als bedrohlich empfundene Russland nicht alleine in Schach halten. Diese Analyse könnte die Staats- und Regierungschefs aufschrecken. Geht es wirklich schon um den Kern der europäisch-amerikanischen Partnerschaft? Was passiert, wenn Donald Trump beim nächsten NATO-Gipfel im Juli in Brüssel auf die Bundeskanzlerin trifft, die ihm klipp und klar erklären muss, dass sie von seinen Forderungen nach mehr Militärausgaben wenig hält. Sie will nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufwenden, statt der bereits 2014 zugesagten 2 Prozent. NATO-Diplomaten sagen voraus, man müsse kein Hellseher sein, um zu wissen, dass diese Haltung Donald Trump zur Weißglut bringen dürfte. Und was dann? Verhängt er dann Strafzölle gegen säumige Zahler in Europa, die nicht genug Panzer und Soldaten unterhalten wollen? Stellt er die NATO, das Verteidigungsbündnis an sich in Frage? Wird der NATO-Vertrag neu ausverhandelt? Das Problem ist für die EU, dass sich Donald Trump und sein Beraterzirkel nicht darum scheren, was die EU oder die NATO wollen. Europäische Interessen zählen nicht.

Dass die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag im Kulturpalast von Sofia auch mit den Balkan-Staaten über eine mögliche EU-Erweiterung sprechen wollen, gerät in der derzeitigen politischen Gemengelage fast zur NebensacheBild: BGNES

Beim informellen Abendessen sollen keine Entscheidungen gefällt werden, allerdings läuft Ende Mai die Aussetzung der Strafzölle aus den USA aus, die der amerikanische Präsident noch einmal gewährt hatte. Die EU-Kommission hat an diesem Mittwoch vorsorglich bei der Welthandelsorganisation ihre Vergeltungszölle gegen Whiskey, Jeans und Motorräder aus den USA angemeldet. Sie könnten von Juni an aktiviert werden

Nach Beendigung des Gipfels in Sofia reist die Bundeskanzlerin am Freitag weiter nach Moskau, um dort mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unter anderem auch über den Iran-Deal und das Verhalten der USA zu sprechen. Immerhin ist Russland neben China ebenfalls Unterzeichner des Atomabkommens und tritt für eine Beibehaltung der Vereinbarung ein.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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