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Politik

Angela und die Zahl 13

1. Juli 2020

Es wird viel berichtet über die EU-Ratspräsidentschaft, weil Deutschland jetzt am Zug ist. Meist geht es nicht um die Krawattenfrage, Rekordhalter und die Zahl 13. Diesmal schon. Bernd Riegert aus Brüssel.

Freitag der 13. auf einem Kalender
Bild: picture-alliance/K. Ohlenschläger

Hoffentlich ist die neue Ratspräsidentin Angela Merkel nicht abergläubisch. Sie wird die 13. Präsidentschaft Deutschlands in der EU seit deren Gründung im Jahr 1957 führen. Wird es eine Wilde 13 wie Kinderbuchautor Michael Ende sie beschreibt? Wahrscheinlich schon, denn eine Ratspräsidentschaft in Pandemie-Zeiten hat es noch nie gegeben.

Und wieso überhaupt 13?  Die Geschwindigkeit der Rotation durch die sechs Monate dauernden Präsidentschaften hat seit der Gründung der EU natürlich mit jeder Erweiterung abgenommen. Je mehr Mitglieder, desto größer der Abstand zwischen den Präsidentschaften eines Landes. Die sechs Gründungsmitglieder, zu denen Deutschland gehört, waren in 1950er- und 1960er-Jahren alle drei Jahre dran. Im Moment hat die EU 27 Mitglieder, rechnerisch wiederholt sich eine Präsidentschaft grob also alle 13 Jahre.  

Das waren noch galante Zeiten, lange vor Corona: Angela Merkel wird als Ratspräsidentin 2007 vom französischen Präsidenten Chirac begrüsst. Damals feierte man 50 Jahre EU in der Philharmonie in BerlinBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Rekordhalter Kohl und Merkel

Deutschland hat, die aktuelle eingerechnet, die meisten Präsidentschaften absolviert, dicht gefolgt von Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Frankreich und Italien. Der Regierungschef mit den meisten Präsidentschaften war ein Deutscher: Helmut Kohl (1983, 1988, 1994). Auf Platz zwei liegt der französische Staatspräsident François Mitterand mit zweieinhalb Präsidentschaften. Der Sozialist Mitterand wurde mitten in der seiner dritten Präsidentschaft im Mai 1995 nach Wahlen durch den konservativen Jacques Chirac ersetzt.

Angela Merkel ist die einzige amtierende Regierungschefin, die zwei Ratspräsidentschaften vorweisen kann. 2007 führte sie im ersten Halbjahr die Geschäfte und half mit, den Vertrag von Lissabon, den Grundlagenvertrag der EU, auszuhandeln. Auch damals schon war viel von Krisen in der EU die Rede und die Schlagzeilen lauteten damals wie heute: "Hohe Erwartungen an deutsche Ratspräsidentschaft".

Die Kanzlerin ist übrigens erst die zweite Frau auf dieser Position. Die erste weibliche Ratspräsidentin war 1981 Margaret Thatcher, Premierministerin des Vereinigten Königreiches. Die Briten sind inzwischen ausgetreten aus der EU. Ihr Land ist das einzige, das jemals eine EU-Ratspräsidentschaft zurückgegeben hat. Das Vereinigte Königreich wäre im zweiten Halbjahr 2017 dran gewesen. Aber schon kurz nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 erklärte die Regierung in London ihren Verzicht. Für die nachfolgenden Präsidentschaften bedeutete das Stress, denn sie mussten ihre Vorbereitungen beschleunigen.

Dauerkanzler Helmut Kohl übernahm 1983 seine erste Präsidentschaft. Premierministerin Margaret Thachter war 1981 die erste Frau auf dem EU-Thron. Bild: Keystone/Getty Images

Gipfelzirkus seit 1975

Den Ratsvorsitz in der heutigen Form gibt es erst seit 1975. Denn erst 18 Jahre nach ihrer Gründung führte die Europäische Gemeinschaft regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ein, die entsprechend vorbereitet wurden. Über die Jahre entwickelten sich die Präsidentschaften auch zu einer Schau- und Werbebühne für die Gastgeber, denn die Gipfeltreffen fanden nicht in Brüssel, sondern im jeweiligen Präsidentschaftsland an attraktiven Orten statt. Der letzte Gipfel dieser Art war der opulente Gipfel von Thessaloniki im Juni 2003 in Griechenland. Seit 2004 finden vier Arbeitsgipfel jährlich statt, und zwar immer im gleichen Konferenzgebäude in Brüssel.

Um die Arbeit besser zu koordinieren und zu verstetigen, führte die EU ab 2010 einen ständigen "Präsidenten des Europäischen Rates" ein. Herman van Rompuy, Donald Tusk und Charles Michel sind die bisherigen ständigen Präsidenten. Seither ist die Bedeutung der "Ratspräsidentschaft der EU" etwas gesunken. Um Kosten zu sparen verzichten viele Mitgliedsländer auf den früher üblichen Reisezirkus. Tagungen finden jetzt meist nur noch an einem Ort im Gastgeberland an, so dass nur ein Konferenzzentrum, meist in der Hauptstadt, hergerichtet werden muss. Deutschland als reiches, großes Mitgliedsland wollte Ministerräte in vielen verschiedenen Orten stattfinden lassen. Die Corona-Pandemie machte diesen Ambitionen einen Strich durch die Rechnung.

Hauptarbeitsplatz der Ratspräsidenten: "Space Egg", das Tagungszentrum des Rates in Brüssel Bild: DW/B. Riegert

Die Krawattenfrage

Konsequent verzichtet hat Deutschland diesmal auf die "Präsidentschaftskrawatte". Traditionell wurden früher Krawatten und Halstücher mit dem Logo der Präsident als Gastgeschenke verteilt. Da die deutsche himmelblaue Krawatte 2007 aber die denkbar schlechtesten Noten in der EU-Modeszene erhielt, hat man diesmal Abstand genommen. Luxemburgs damaliger Premierminister Jean-Claude Juncker schaffte Gipfelgeschenke 2005 als Ratspräsident weitgehend ab. Juncker versuchte eine sparsame Version. Er lieh sich auch Polizeimotorräder samt Personal in Deutschland und Belgien, um die Fahrzeugkolonnen der europäischen Spitzenpolitiker in Luxemburg begleiten zu können. Juncker führte Bus-Shuttle für Staatsgäste vom Flughafen in die Innenstadt ein, um Verkehr und Kosten zu reduzieren. Auf die luxemburgische "Präsidentschaftskrawatte" verzichtetet er aber nicht. Das knall-orange Modell trug er auch Jahre später als Euro-Gruppenchef noch gerne.

Strippenzieher hinter den Kulissen: Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauss hat manche schlaflose NachtBild: picture alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Dreiklang und ein bisschen Glück

Um die Arbeit der Präsidentschaften besser zu verzahnen, führte die EU 2009 die Trio-Präsidentschaft ein. Immer drei Länder sind gefordert, ihre Aktivitäten aufeinander abzustimmen. Das Trio bilden im Moment Deutschland, Portugal und Slowenien. Der Vorlauf für eine Präsidentschaft beträgt mehrere Jahre. Bis 2030 ist festgelegt, welches Land in welchem Halbjahr übernimmt. Die Erfolge oder Misserfolge der kleinen und großen Präsidentschaftsländer werden sehr unterschiedlich bewertet. Schon 2007 sagte der damalige deutsche EU-Botschafter Wilhelm Schönfelder der DW: "Jede Präsidentschaft ist die beste, die es jemals gegeben hat. Aber ernsthaft: Es gibt große Unterschiede zwischen den Präsidentschaften. Es kommt, glaube ich, darauf an, wie man sich vorbereitet, wie sich alle Beteiligten einsetzen. Ein bisschen Glück muss man auch haben, sonst kriegt man Probleme auf den Tisch, die man schlichtweg nicht lösen kann."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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