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Politik

Polens umstrittene Justizreform

2. Juli 2018

Die PiS will manche Richter des Obersten Gerichts vorzeitig in die Rente schicken. Die Richter halten das für Rechtsbruch und wollen ihr Amt nicht niederlegen - und die EU steht an ihrer Seite.

Polen Malgorzata Gersdorf Präsidentin des Verfassungsgerichts in Waschau
Will nicht weichen: Malgorzata Gersdorf, Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichts Bild: Imago/ZUMA Press/M. Wlodarczyk

Der 3. Juli ist theoretisch der letzte Arbeitstag der Vorsitzenden des Obersten Gerichts in Warschau. Malgorzata Gersdorf und einige ihrer Mitarbeiter sollen laut neuer Vorschriften, die gerade in Kraft treten, in den Ruhestand versetzt werden. Die EU-Kommission will das verhindern und hat heute (2.7.) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die polnische Regierung eingeleitet. 

Gesetz versus Verfassung

Und auch die betroffenen Richter denken nicht daran, der Zwangspensionierung Folge zu leisten. Sie halten das schlicht für rechtswidrig. Dafür haben sie Argumente. Die polnische Verfassung sagt eindeutig, dass die Richter des Obersten Gerichts auf sechs Jahre gewählt werden und bis zum 70. Lebensjahr arbeiten dürfen. Außerdem können sie von ihren Posten nicht abberufen oder entlassen werden. Sogar Versetzungen sind demnach nicht möglich. Die Richter, die trotz der neuen Regelungen weiter arbeiten möchten, hatten Zeit bis Anfang Mai, dem Staatspräsidenten entsprechende Willenserklärungen abzugeben. Nur mit seiner Zustimmung wäre ein Verbleib im Amt möglich.

Für Malgorzata Gersdorf ein absurdes Verfahren, das sie und ihre nächsten Mitarbeiter von Anfang an abgelehnt hatten. Das sei eines von vielen Beispielen, wie die nationalkonservative Regierung die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive aufhebe. „Die Verfassung garantiert mir diesen ehrwürdigen Posten für sechs Jahre und ich sehe keinen Grund dafür, bei der Exekutive eine Bitte einzureichen, das kommt auf gar keinen Fall in Frage", sagt die 66-jährige Richterin und Vorsitzende des Obersten Gerichts.

Richter gehen eigene Wege

Die Juraprofessorin, die seit 2014 als erste Frau in der Geschichte Polens an der Spitze des Obersten Gerichts steht, ist den Regierenden ein Dorn im Auge, weil sie öffentlich die Justizreform kritisiert. Ihre Stimme zählt unter Kollegen, im Streit mit der Regierung hat sie eine starke Rückendeckung. "Die Richterin Malgorzata Gersdorf verbleibt im Sinne der polnischen Verfassung die erste Vorsitzende des Obersten Gerichts bis zum 30. April 2020”, schrieb die Richterversammlung in einer Stellungnahme vorige Woche. Die Erklärung wurde einstimmig angenommen. Wenn Malgorzata Gersdorf ihre Arbeit trotz des Verbots weiter machen will, steht sie also nicht alleine.

Der Widerstand wächst: In zahlreichen polnischen Städten wird seit 2017 gegen die Justizreform protestiertBild: picture-alliance/dpa/T.Gzell

Unbotmäßige Richter müssen weg

Derzeit gehören dem Obersten Gericht 76 Richter an. Von diesen sind 27 über 65 Jahre alt. Wenn sie ihre Posten verlassen würden, dann würde das Richtergremium um ein Drittel schrumpfen. Die PiS-Mehrheit kann die frei gewordenen Plätze mit regierungstreuen Richtern besetzen. Außerdem bekommt das Oberste Gericht zum ersten Mal auch Schöffen, die vom Senat (zweite Parlamentskammer) gewählt werden. Auch das eine Neuerung. Bislang hat es diese ehrenamtlichen Richter am Obersten Gerichtshof nicht gegeben. Sie sollen - nach den Worten des Justizministers - "die Teilnahme der Gesellschaft" an den Entscheidungsprozessen im Gericht gewährleisten.

Für die Regierung ist es wichtig, das Oberste Gericht möglichst bald unter Kontrolle zu bringen. Es soll nämlich auch über die Gültigkeit der Wahlen entscheiden können. Noch in diesem Herbst stehen Lokalwahlen bevor und im nächsten Jahr die Parlamentswahlen.

Keine Paralleljustiz

In Warschau wird nun mit Spannung darauf gewartet, ob die Richter, die ihre Arbeit trotz neuer Regelungen nicht niederlegen wollen, weiter arbeiten dürfen. Präsident Andrzej Duda will am Dienstag (3.07.) entscheiden, wie lange die Gerichtsvorsitzende Malgorzata Gersdorf noch im Amt bleiben darf. Und das, obwohl sie um die Genehmigung gar nicht gefragt hat, weil sie es für absurd hält. Justizminister Zbigniew Ziobro droht mit "Disziplinarschritten" gegen die Ungehorsamen. "Es gibt in Polen keine Paralleljustiz, es gibt nur das Justizsystem, das in dem geltenden Recht verankert ist", sagte er. Er warnt die Richter davor, "über dem Gesetz zu stehen". 

Weg mit den alten Eliten

Mit dem Gesetz über das Oberste Gericht wird die Justizreform der PiS fast komplett. Früher wurde dem Justizminister die Kompetenz zugeschoben, Gerichtsvorsitzende ein- und abzuberufen. Auch das Verfassungstribunal und der Landesjustizrat (Kontrollorgan der Richter) ist mit regierungstreuen Richtern besetzt. Die Justizreform war eines der wichtigsten Wahlversprechen der nationalkonservativen PiS. Sie richtet sich gegen eine alte „Richterkaste", die sich laut Justizminister Ziobro nur um eigene Interessen sorge und in der angeblich noch alte kommunistische Seilschaften am Werke seien. 

Kein öffentliches amt, aber mächtig: Der Vorsitzende der polnischen PiS-Partei Jaroslaw KaczynskiBild: picture alliance/dpa/AP Photo/C. Sokolowski

Polen unter Kritik aus Brüssel

Die Justizreform steht am Pranger der Kritik der Venedig-Kommission des Europarates und der Europäischen Kommission. Seit Dezember 2017 läuft, erstmalig in der EU, das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, das im Endeffekt die Einschränkung des Stimmrecht Polens in der EU als Folge haben kann. Der polnischen Regierung wird die Aufhebung der Gewaltenteilung und die Politisierung des Justizwesens vorgeworfen.

Proteste der Opposition

Die Opposition macht derweil mobil und kündigt Proteste gegen die politische Gleichschaltung der Gerichte an. Das soll auch ein Signal an Europa werden: den Druck auf Polens Regierung nicht abmildern und mit dem Rechtsstaatsverfahren weiter machen.

Auch der frühere Präsident Lech Walesa hat sich von Danzig aus in die aktuelle Politik eingemischt. "Wenn die Regierenden in irgendeiner Weise das Oberste Gericht angreifen, dann komme er nach Warschau. "Schluss mit der Zerstörung Polens!" Er will "den Hauptverursacher des ganzen Unglücks" beiseite schieben, und zwar "physisch". Dafür brauche er 100.000 Menschen, die auf ihn in Warschau warten sollten. "Und wenn mir die Polizei in den Weg läuft, werde ich mich verteidigen", schreibt der 75-jährige und vermeldet dabei, dass er Waffen besitze. Einige halten den 75-jährigen für verrückt, für viele ist er aber die Legende der antikommunistischen Opposition, eine Hoffnung. Für Warschau steht nun erneut eine heiße politische Phase bevor.

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