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PolitikEuropa

EU: Schneller Ausstieg aus russischem Gas

31. März 2022

Ist die EU auf einen plötzlichen Gas-Lieferstopp aus Russland vorbereitet, sollte Präsident Wladimir Putin seine Drohung wahr machen? Es gibt Notfallpläne - und viel Unsicherheit. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Deutschland | Verdichterstation für russisches Erdgas in Mallnow
Pipeline-Verdichterstation in Mallnow: Gas aus Russland erreicht über Polen das deutsche Netz (Archiv)Bild: Patrick Pleul/dpa ZB/picture alliance

Der russische Präsident Wladimir Putin verlangt nach wie vor eine Bezahlung der europäischen Gasrechnung in Rubel statt in Euro oder Dollar, wie vertraglich es vereinbart ist. Putin hat ein entsprechendes Dekret unterzeichnet. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi, der am Donnerstag als bisher letzter westlicher Regierungschef mit Putin telefoniert hat, ist jedoch zuversichtlich, dass Russland seinen Gasexport in die EU nicht verringern wird, selbst wenn weiter nur Euro oder Dollar überwiesen werden.

Draghi sagte nach dem Telefonat in Rom, der Umtausch in Rubel sei nicht einfach, aber er habe mit Putin vereinbart, dass die russische Seite diesen Schritt bewerkstelligen müsse: "Europäische Unternehmen können zahlen wie bisher, damit sie nicht gegen die Sanktionen verstoßen müssen, die die EU gegen den russischen Bankensektor verhängt hat."

Sollte es zu einem plötzlichen Lieferstopp bei russischem Gas kommen, ist die Europäische Union vorbereitet. Diesen Eindruck versucht zumindest die EU-Kommission in Brüssel zu vermitteln und verweist auf das EU-Gesetz zur Versorgungssicherheit bei Gas, das seit 2017 in Kraft ist. Alle 27 Mitgliedsstaaten haben auf dessen Grundlage eigene Gesetze und Pläne verabschiedet, die im Notfall greifen sollen. Deutschland und Österreich haben die erste Stufe dieses Notfallplanes ausgelöst, die vor allem die Einrichtung eines Krisenstabes und die ständige Beurteilung der Versorgungslage vorsieht.

Koordinierungsgruppe soll helfen

Die EU-Kommission könnte nach dem Gesetz zur Versorgungssicherheit einen EU-weiten oder regionalen Notfall ausrufen. Dann würde eine verstärkte Koordinierung der Gaseinkäufe, der Verteilung und der Suche nach Ersatz-Lieferungen angestrebt. Dann soll eine Gas Coordination Group zusammentreten, in der die Mitgliedsstaaten, die Gas liefernden Firmen und die Branchenverbände vertreten sind. Eine Art Weisungsrecht hat diese Koordinierungsgruppe allerdings nicht. Gas wird auf der Grundlage von privatrechtlichen und bilateralen Verträgen aus Russland und aus anderen Quellen bezogen.

Im Fall von Versorgungsausfällen würden in allen EU-Staaten Notfallpläne greifen und die Versorgung von sogenannten "nicht geschützten" Verbrauchern, wie Industrieunternehmen, würde heruntergefahren. Krankenhäuser und private Haushalte wären die letzten Verbraucher, die vom Netz getrennt würden. Das EU-Gesetz sieht "solidarischen Gasaustausch" vor. Bislang haben aber nur Deutschland, Dänemark, Österreich und Italien entsprechende Vereinbarungen geschlossen.

EU-Kommissionspräsident Ursula von Leyen: Verzicht auf russisches Gas ist möglichBild: Alexandru Dobre/dpa/picture alliance

Die Fachleute in der EU-Kommission sind sich einig, dass ein totaler Ausfall von russischen Gaslieferungen in der EU nicht von heute auf morgen durch alternative Lieferanten ersetzt werden könnten. Zwar würde man vielleicht noch ohne Abschaltungen auskommen, dafür müssten allerdings die zu einem Viertel gefüllten Vorratsspeicher geleert werden. Diese Speicher müssten in den nächsten Monaten aber eigentlich aufgefüllt statt geleert werden, um die Heizperiode des nächsten Winters zu überstehen.

Zentraler Einkauf?

Der Gaspreis auf dem Weltmarkt stiege nach Einschätzung der wirtschaftspolitischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel erneut rasant an, weil Gas aus Norwegen, den USA, Katar oder Algerien natürlich enorm stark nachgefragt würde. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi schlägt vor, den Gaspreis, den man bereit ist zu zahlen, schon jetzt zu deckeln, während das Gas aus Russland noch fließt. Es sei nicht einzusehen, dass die EU-Mitglieder überhöhte Preise zahlten, die Putins Krieg finanzierten, so Draghi gegenüber ausländischen Korrespondenten in Rom. Um seine Marktmacht als größter Kunde Russlands auszuspielen, müsse die EU allerdings einheitlich als eine Art Einkaufsgemeinschaft auftreten.

Georg Zachmann, Energieexperte bei der Denkfabrik Bruegel, fordert einen gemeinsamen zentralen Gaseinkauf der Europäer. Eine einfache Koordination der Einkaufsaktivitäten, auf die sich die Mitgliedsstaaten bislang nur einigen konnten, reiche nicht aus. "Wir sehen, dass die Mitgliedsstaaten bei den Lieferanten als Konkurrenten auftreten und sich gegenseitig überbieten", kritisierte Zachmann bei einer Diskussionsveranstaltung der Denkfabrik.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben außerdem beschlossen, gemeinsam für volle Gasspeicher zu sorgen. Nach einem Gesetzentwurf der EU-Kommission sollen die Gaskavernen im Herbst 2022 zu 80 Prozent gefüllt sein. Im Jahr darauf soll der Füllstand zu Beginn der Heizperiode bei 90 Prozent liegen. Dieses Gesetz würde dann auch für den halbstaatlichen russischen Konzern Gazprom gelten, der in der EU Gasspeicher betreibt und an vielen Energieversorgern in der EU beteiligt ist.

Ausstieg bis 2026?

Die EU sollte bis zum Jahresende auf zwei Drittel ihrer Gasimporte aus Russland verzichten können, rechnet Diederik Samsom vor, ein enger Mitarbeiter des Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans. Zur Zeit bezieht die EU jährlich 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland. 50 Milliarden davon ließen sich durch zusätzliches Flüssiggas aus den USA und Katar ersetzen. Weitere 50 Milliarden Kubikmeter müssten durch zusätzliche Importe aus Algerien, Norwegen, Biogas und Energieeinsparungen zusammenkommen. Bis Ende 2026 oder Anfang 2027 sollte dann die völlige Unabhängigkeit von russischem Gas erreichbar sein, meint Diederik Samsom. "Energie wird wesentlich teurer werden als heute. Sie war in den vergangenen Jahrzehnten zu billig. Unser ganzes Wirtschaftsmodell muss sich ändern", so Samsom.

Praktische Schritte: 2020 vereinbarten Griechenland und Bulgarien ein Flüssiggas-Terminal in AlexandroupolisBild: ANE/picture alliance

Georg Zachmann kritisiert, dass die EU noch nicht im Krisenmodus operiert. Die EU habe ein Szenario für einen schnellen, geordneten Ausstieg entwickelt, aber "dieses Szenario wird der immanenten Krise nicht gerecht". Der Lieferstopp könnte jetzt jederzeit erfolgen. "Das ist supergefährlich."

In den Mitgliedsstaaten sieht man das etwas entspannter. Frankreich bezieht 20 Prozent seines Gasverbrauchs aus Russland und sieht im Moment nicht die Gefahr von Versorgungsengpässen. Bulgarien bezieht 90 Prozent seines Gases aus russischen Quellen. Im kommenden Jahr will Bulgarien nur noch Gas aus Aserbaidschan und Flüssiggas aus Griechenland kaufen, kündigte der Chef der bulgarischen Gasfirma Bulgargaz, Ivan Topchiiski, in einem Interview an. Allerdings, so Topchiiski, werde das viel teurer als das Gas aus Russland werden.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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