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EU: Schwierige Gespräche mit Erdogan

Barbara Wesel 5. Oktober 2015

Die EU sucht jetzt wegen der Flüchtlingskrise die Hilfe des türkischen Präsidenten. Der politische Preis dürfte hoch sein: Denn Erdogan nutzt die Gelegenheit für seine eigenen Ziele.

Tayyip Erdogan, Jean-Claude Juncker Foto: REUTERS/Francois Lenoir
Bild: Reuters/F. Lenoir

Die EU wünsche sich "einen Vertrag des gegenseitigen Vertrauens, das notwendig ist angesichts der zentralen Rolle, die die Türkei in der Flüchtlingskrise spielt", fasste vor dem Treffen ein Sprecher die Wünsche der Europäer zusammen. Konkret verbirgt sich dahinter die Hoffnung auf gemeinsame Grenzkontrollen der türkischen und griechischen Marine in der Ägäis, die Zusage für weitere Flüchtlingslager in der Türkei, die Rücknahme aufgegriffener Flüchtlinge. Und im Grunde die Hoffnung, dass die flüchtenden Syrer in diesem Nachbarland aufgehalten werden, statt ihre Flucht nach Europa fortzusetzen.

Um das zu erreichen, zieht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker alle Register: Er beschwört die jahrelange Freundschaft, die ihn mit Recep Tayyip Erdogan verbinde und lobt ihn gar als Beförderer des Reformprozesses in der Türkei. Dabei streckt Juncker den Kopf noch weit aus dem Fenster: "Ich bin sehr dafür, die Verhandlungen über den visafreien Reiseverkehr voran zubringen". Allerdings liegt die Entscheidung darüber bei den Mitgliedsländern, insbesondere in Berlin und Paris. Außerdem will der Kommissionspräsident die Türkei auf der Liste der sicheren Drittstaaten sehen: Keine Erwähnung dabei von Menschenrechtsverletzungen und dem wieder angefachten Kampf gegen die Kurden. Diese Einstufung käme der EU allerdings deshalb zupass, weil sie Flüchtlinge dann auch in die Türkei zurück schieben könnte.

Flüchtlingslager in der Türkei haben hunderttausende Syrer aufgenommenBild: picture-alliance/AA/I. Erikan

Vorwürfe gegen die Europäer

Wer allerdings in Brüssel von dem Schmusekurs schnelle Ergebnisse erhoffte, sah sich getäuscht. Recep Erdogan strich vor allem eigene Verdienste hervor: Obwohl bereits 2,5 Millionen Flüchtlinge Aufnahme gefunden hätten, würde die Türkei auch weiterhin nicht die Türen schließen. Außerdem sei nicht er es, der die Flüchtlinge in Richtung Europa geschickt hätte: Eine Anspielung wohl auf die "Willkommenskultur", etwa in Deutschland. Einmal mehr erwähnte Erdogan auch, dass der türkische Staat bereits fast acht Milliarden Dollar für Flüchtlinge ausgegeben habe: Er möchte erkennbar deutlich mehr Geld, als die Milliarden Euro, die ihm die EU bei ihrem letzten Gipfel zugesagt hatte. Und im Grunde mokierte sich der türkische Präsident geradezu über die europäischen Länder: Sie seien ja gerade erst in diesem Jahr mit der Flüchtlingskrise konfrontiert worden, hätten das Problem also viel zu spät erkannt.

Erdogan setzt kurdische PKK gleich mit IS

Was der türkische Präsident allerdings vor allem will, ist freie Hand bei seinem Kampf gegen die kurdische PKK und die syrische Kurdenpartei PYD: "Wir müssen diesen Terrororganisationen den Rücken brechen", und das gehe nur mit internationaler Zusammenarbeit und Unterstützung. Man dürfe nicht auf die "schwarze Propaganda" in europäischen Kreisen hören, die infrage stelle, dass sie Terrororganisationen seien: "Man darf ihnen nicht den Mantel der Legitimität verleihen", so der türkische Präsident. Die Frage ist, ob es auf dieser Basis beim Arbeitsessen am Abend Fortschritte hin zu einer konstruktiveren Zusammenarbeit geben kann. Jedenfalls soll eine Arbeitsgruppe in Ankara umgehend Detailverhandlungen aufnehmen, konkrete Ergebnisse sind kurzfristig wohl eher nicht zu erwarten.

Ein erschöpfter Flüchtling am Strand von BodrumBild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Die Türkei sitzt am längeren Hebel

"Jahrelang hat die EU sich nicht darum gekümmert, dass die meisten syrischen Flüchtlinge zunächst in der Türkei Schutz fanden", bestätigt Amanda Paul vom Forschungsinstitut European Center for Policy Studies in Brüssel. Erst als sich der Strom in Richtung Europa in Bewegung setzte, habe man sich in Brüssel daran erinnert. Das führe jetzt dazu, dass Präsident Erdogan gegenüber der EU in einer hervorragenden Verhandlungsposition sei: "Die Türkei sitzt am längeren Hebel", sagt Paul. Für Ankara stehe vor allem schneller Fortschritt beim visafreien Reiseverkehr auf der Wunschliste. Und zu einer nützlichen Kooperation werde es überhaupt nur kommen, wenn die Europäer der türkischen Regierung das Gefühl gäben, ein wichtiger Mitspieler und Partner in der Region zu sein.

Wahlkampfhilfe für Erdogan

Politisch ist das für die EU eine bittere Pille: "Erdogan wird die Bilder aus Brüssel, wie er hier lächelnd begrüßt wird, natürlich im Wahlkampf einsetzen", sagt Amanda Paul. Und in jedem Fall würden Zugeständnisse der Europäer an die Türkei seine Partei, die AKP, vor den Wahlen stärken. Dabei müsse man sich aber immer daran erinnern, dass Erdogan selbst die Demokratisierung seines Landes hintertreibe: "Er ist nur einen Schritt davon entfernt, ein regelrechter Diktator zu sein", gibt die Politikexpertin zu bedenken. Sie glaubt nicht, dass die Gespräche EU - Türkei erkennbare Auswirkungen auf die Beitrittsverhandlungen haben werden, die seit Jahren auf Eis liegen. Dennoch: Der politische Nutzen für den türkischen Präsidenten in dieser Situation sei deutlich, die EU brauche ihn mehr als er sie.

Amanda Paul vom Center für European Policy StudiesBild: Privat
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