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Politik

Brexit-Verlängerung nur mit Deal?

3. April 2019

In London will Theresa May jetzt mit Labour über den Brexit verhandeln, nachdem sie keine eigene Mehrheit zusammenbekommt. Die EU bereitet den harten Ausstieg vor - für den Fall der Fälle. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Jean-Claude Juncker
Bild: Reuters/V. Kessler

Parlamentarier, EU-Kommissare und Vertreter der Mitgliedsstaaten versuchen in Brüssel, den Sinn im jüngsten Schachzug der britischen Premierministerin Theresa May zu erkennen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bewertete das Brexit-Drama in einer Rede vor dem Europäischen Parlament. "Normalerweise rede ich hier frei", sagte Juncker, "aber diesmal lese ich die Rede ab, weil ich weiß, wie wichtig das Thema ist." In der Tat wird jedes Wort aus Brüssel in Großbritannien auf die Goldwaage gelegt. Sein Versprechen aus der Rede, "bis zur letzten Minute alles zu tun, um einen harten Brexit zu vermeiden", sorgte sofort für Eilmeldungen in britischen Medien. Vor zwei Tagen hatte Juncker noch gesagt, seine Geduld sei begrenzt. Auch damit hatte er Schlagzeilen gemacht. Die Nerven liegen auf beiden Seiten blank.

Austritt am 12. April "immer wahrscheinlicher"

Auf die Ankündigung der konservativen Premierministerin Theresa May, jetzt zusammen mit der sozialdemokratischen Opposition eine Mehrheit für das Brexit-Abkommen mit der EU zu suchen, ging Juncker nicht direkt ein. Er machte aber klar, dass aus seiner Sicht eine erneute Verschiebung des Austritts, der derzeit auf den 12. April festgelegt ist, nur möglich ist, wenn bis dahin der Deal wirklich ratifiziert sei. Das Scheidungsabkommen hatte das britische Unterhaus bislang dreimal abgelehnt. Die EU könne nach einer Zustimmung eine Verlängerung "um einige Tage" gewähren, um an der politischen Erklärung zur Zukunft der Beziehungen zu arbeiten. "Wir sind für viele Optionen offen - vom Freihandel über die Zollunion bis zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Das war immer schon so", sagte Juncker mit Blick auf die verschiedenen Modelle, die seit Tagen im Parlament diskutiert und immer wieder abgelehnt werden.

Neue beste Freunde? Labour-Chef Corbyn (li.) und Premierminsterin May wollen reden (Archivbild)Bild: Reuters/S. Wermuth

Juncker machte noch einmal deutlich, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai nicht gefährdet werden dürften. Wenn Großbritannien also eine mehrwöchige oder gar mehrmonatige Verlängerung der Austrittsverhandlungen erreichen möchte, ginge das nur, wenn die Briten auch ein Parlament mitwählen, in dem sie eigentlich nicht mehr vertreten sein wollen. Das skeptische Fazit des EU-Kommissionspräsidenten zu den jüngsten Volten in London: "Ein Austritt ohne Deal am 12. April wird immer wahrscheinlicher, auch wenn ich mir das nie gewünscht habe."

EU will Zölle erheben

Die EU habe sich, so gut es ging, auf einen harten Brexit vorbereitet, kündigte Juncker an. "Ein Schock wird so weit wie möglich abgefedert", sagte der Kommissionspräsident. Sein für Zölle zuständiger Finanzkommissar Pierre Moscovici hatte zuvor in einer Pressekonferenz bestätigt, dass die EU im Warenverkehr mit dem Vereinigten Königreich Zölle erheben werden. Unterbrechungen, lange Staus und Unbequemlichkeiten würden sich nicht vermeiden lassen, so Moscovici; schließlich würden täglich 11.000 Lieferwagen auf Fähren oder in Zügen Großbritannien erreichen oder verlassen. Zollkontrollen an der neu entstehenden Land-Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, würden "so weit wie möglich" ins Hinterland oder in die Betriebe verlegt, kündigte Moscovici an. Die Frage, ob es auch physische Kontrollen, zum Beispiel von Vieh oder Pferden an der Grenze geben werde, ließ er unbeantwortet.

Besser als Fußball

Die Frage ist nun, wie die 27 Staats- und Regierungschefs entscheiden werden, wenn in einer Woche die britische Premierministerin einen wie auch immer gearteten Antrag auf Verschiebung des Austrittdatums stellt. Der irische Premierminister Leo Varadkar, dessen Land durch die Grenze zu Nordirland besonders betroffen ist, gab sich flexibel. "Ich habe noch nicht mit allen gesprochen, aber mein Gefühl sagt mit, dass der Europäische Rat offen für eine Verlängerung wäre", sagte Varadkar in Dublin. Diesen Donnerstag empfängt er dort die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, um über einen Weg aus dem Brexit-Irrgarten zu sprechen.

Irland - Comeback der Schmuggler

02:52

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Die französische Europaministerin Amelie de Montchalin findet den Versuch von Regierung und Opposition in Großbritannien, miteinander zu reden, lobenswert. "Ein Erfolg ist aber keinesfalls garantiert." Was die Gespräche für den Sondergipfel der EU kommende Woche bedeuten, sei noch nicht klar.

"Tick tock", sagte die britische Europaabgeordnete Jacqueline Foster in Brüssel zur Lage in ihrer Heimat. "Die Uhr tickt. Um Gottes Willen! Unterstützen Sie den Deal", appellierte Foster an ihre konservativen Parteifreunde in London, die wie sie selbst die EU geregelt verlassen wollen. Vor Gesprächen mit dem Oppositionsführer warnte die Abgeordnete: "Jeremy Corbyn ist nicht unser Freund." Die Abgeordneten der britischen Unabhängigkeitspartei frohlockten im Europäischen Parlament. Wenn die Briten gezwungen wären, an der Europawahl im Mai teilzunehmen, werde seine Partei landauf, landab Kandidaten aufstellen, um den Kampf für den Brexit zu gewinnen, kündigte der Abgeordnete Gerard Batten von der Unabhängigkeitspartei an.

Der Chef der liberale Fraktion im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, konnte sich trotz des ernsten Themas einen Scherz nicht verkneifen. Er findet, dass die Debatten im Unterhaus inzwischen interessanter seien als die britische Fußball-Liga: "Auch wenn es im Unterhaus immer nur ein Unentschieden gibt."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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