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Politik

"EU-Skeptiker ändern ihre Strategie"

Jennifer Wagner
13. März 2019

Der Brexit ist kein Erfolgsmodell, sagt Europaexperte Nicolai von Ondarza im DW-Interview. Das Chaos rund um den Austritt Großbritanniens habe den populistischen EU-Parteien eine neue politische Richtung aufgezwungen.

Brexit Befürworter mit Parolen auf T-Shirt (Foto: Getty Images)
Brexit-Befürworter in London: "Kein Deal, keine Verzögerung, wir haben für den Austritt gestimmt"Bild: Getty Images/AFP/T. Akmen

Deutsche Welle: Es gibt immer noch keinen Plan, wie Großbritannien aus der Europäischen Union aussteigen wird. In dieser Lage zeigt Brüssel Härte und das britische Unterhaus hat sich erneut gegen den vorgeschlagenen Deal von Premierministerin Theresa May gestellt. Was bedeutet die Situation jetzt für die EU?

Nicolai von Ondarza: Aus Brüsseler Perspektive sagt man sich: Wir haben alles versucht, um noch eine Einigung mit den Briten zu finden. Diese Härte, die Brüssel zeigt, ist vor allen Dingen darin begründet, dass man die Interessen des Mitgliedsstaates Irland schützen und eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden möchte. Brüssel hat zwar schon sehr lange signalisiert, dass dieser Backstop aus EU-Perspektive notwendig ist, um einen geregelten Brexit hinzubekommen. Aber in London ist nie erwartet worden, dass Brüssel so lange hart bleibt. Die Europäer haben eine sehr hohe Einigkeit gezeigt - eigentlich eher untypisch für die Europäische Union.

Wäre eine Verschiebung der Brexit-Entscheidung für die anderen EU-Staaten besser?

Viele Experten sagen: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Politisch ist die Lage durchaus so verfahren, dass ein paar wenigen Wochen Verschiebung nicht die Lösung sind. Was man meiner Meinung nach nicht tun sollte, ist, die Entscheidung nur bis zum Tag der Europawahl zu verschieben. Der Brexit würde die Wahl absolut überschatten. Wenn es eine Verlängerung geben sollte, dann besser um mindestens neun Monate. Bis Ende des Jahres könnte es in Großbritannien eine substanzielle Veränderung der politischen Lage geben. Nach dem krachenden negativen Votum von Dienstag ist klar, dass es mit einem weiteren Feinschliff an diesem Abkommen nicht möglich sein wird, eine Mehrheit in Großbritannien herzustellen.

Kann sich im britischen Parlament nicht durchsetzen: Premierministerin Theresa MayBild: picture-alliance/dpa/empics/PA Wire/House of Commons

Könnte das Brexit-Chaos die anti-europäischen Stimmen in anderen EU-Staaten denn ausbremsen?

Nein, nicht bremsen, aber das Chaos hat ihnen eine andere politische Richtung aufgezwungen. Wir sehen im Moment, dass EU-skeptische und populistische Parteien in vielen Mitgliedsstaaten weiter an Zuspruch gewinnen. Gleichzeitig steigt aber auch die Zustimmung zur Mitgliedschaft in der EU, auch wenn die Ablehnung von weiterer EU-Integration, der EU-Migrationspolitik, der Euro-Politik ebenfalls gestiegen ist. Deshalb glaube ich, dass der Brexit nicht dazu geführt hat, dass EU-Skeptiker massiv an Zustimmung verloren haben. Aber sie haben ihre politische Strategie geändert. Sie setzen jetzt zum Beispiel eher auf den Punkt Migration oder sprechen davon, die EU verändern zu wollen, anstatt zu sagen: Wir wollen nach dem britischen Modell austreten. Deswegen erwarte ich nicht, dass es bei der EU-Wahl zu Verlusten bei den EU-Skeptikern kommt.

Wäre ein harter Brexit eigentlich wirklich so schlimm? Hat sich die Wirtschaft nicht längst schon darauf vorbereitet?

Ich glaube, es ist falsch, davor zu warnen, dass ein harter No-Deal-Brexit Großbritannien in die absolute ökonomische Apokalypse werfen wird. Alle Berechnungen sagen, dass jede Form des Brexits für Großbritannien ökonomisch schlechter ist als die EU-Mitgliedschaft - und dass ein harter No-Deal-Brexit die größten Konsequenzen hat. Immerhin ist die EU mit knapp 50 Prozent des Exports der mit Abstand wichtigste Markt für Großbritannien. Wir erwarten bei einem harten Brexit durchaus, dass Unternehmen aus Großbritannien abwandern. Dadurch erwarten wir einen wirtschaftlichen Abschwung in Großbritannien, aber keinen totalen Kollaps. Großbritannien wird eine Rezession haben und dann langsamer wachsen als mit der EU-Mitgliedschaft. Aber es wird keine absolute ökonomische Apokalypse.

Verschwindet einfach: Ein Brexit-Befürworter in London mit einem Schild der EU-skeptischen UKIP-ParteiBild: Getty Images/J. McPhersen

Wie ernst nehmen die anderen EU-Staaten das Chaos eigentlich noch? Die Bürger wirken ja oft eher genervt.

Ich glaube, das wird schon sehr ernst genommen. Einige EU-Staaten, so auch Deutschland, bereiten sich vor, haben zum Beispiel zusätzliche Zollbeamte eingestellt. Eigentlich alle EU-Staaten haben sich sehr eng koordiniert. Das nimmt dem "No Deal" auch in gewisser Weise den ganz großen Schrecken. Auch in Deutschland wurden ja schon die entsprechenden Gesetze in den Bundestag eingebracht.

Inwiefern diskreditiert das Chaos eigentlich das demokratische Verfahren, das das Referendum war?

Nicolai von Ondarza arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: SWP

Das Chaos diskreditiert vor allem die britische politische Klasse, sowohl in den Augen der Briten als auch der Weltöffentlichkeit. Die Politiker sind nicht in der Lage, das Ergebnis des Referendums umzusetzen, finden aber auch keinen anderen Weg. Das britische Parlament und die Regierung sind tief zerstritten und viele Versprechungen sind nicht eingelöst worden. Ein Problem ist auch, dass diejenigen, die die Brexit-Kampagne am Anfang geführt haben, am Ende keine Verantwortung übernommen haben. Stattdessen haben sie unrealistische Versprechungen gemacht und diese nicht eingelösten Versprechen erhöhen auch die Politikverdrossenheit in Großbritannien.

Beeinflusst das möglicherweise auch die Politikverdrossenheit in anderen EU-Staaten?

Aus meiner Sicht ist es vor allen Dingen ein britisches Problem. Ich sehe nicht, dass in anderen EU-Staaten so darüber diskutiert wird. Im Gegenteil: Ich glaube, der Brexit ist ein Paradebeispiel dafür, dass populistische Versprechungen oft nicht der Realität entsprechen. Vor dem Referendum gab es britische Minister, die gesagt haben: "Ich glaube den Experten nicht mehr." Und jetzt zeigt sich, dass viele der Experten Recht hatten. Der Brexit ist eben kein Erfolgsmodell.

Nicolai von Ondarza forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu den Themen Großbritannien, Europa und europäische Integration. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

Das Gespräch führte Jennifer Wagner.

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