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Politik

Von der Leyen klöppelt am Team Ursula

30. August 2019

Brüsseler Spitzen sind weltberühmt - aber auch in der Politik? Die neue Präsidentin der EU-Kommission hat eine schwere Aufgabe. Sie stellt ihr Team zusammen, ohne frei entscheiden zu können. Wie kann das klappen?

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Bild: picture-alliance/dpa/B. Jaubert

Was Ursula von der Leyen, die neue Präsidentin der EU-Kommission, gerade versucht, kann man durchaus mit einem alten filigranen Handwerk vergleichen, dem Klöppeln. Das Verknoten und Verflechten von dünnen weißen Fäden zu einem schicken und haltbaren Muster hatte in Brüssel lange Tradition. Noch heute kann man Brüsseler Spitze in jedem Andenkenladen kaufen.

Auf die Politik übertragen klöppelt von der Leyen gerade die nächste EU-Kommission zusammen, die am 1. November antreten soll. Sie hat viele lose Fäden in der Hand, die sie zu einem funktionsfähigen und haltbaren Ganzen zusammenfügen muss. Die 26 Mitgliedsstaaten, die einen Kommissar besetzen dürfen, hatten bis Montag Zeit, ihre Kandidaten oder Kandidatinnen zu benennen. Großbritannien schickt wegen des Brexits niemanden mehr nach Brüssel. Deutschland ist durch die Kommissionspräsidentin selbst vertreten.

Frauen an die Spitze

Ursula von der Leyen hatte die Staaten gebeten, ihr mindestens 13 Kandidatinnen vorzuschlagen. Sie will die erste nach Geschlechtern paritätisch besetzte EU-Kommission überhaupt bilden. Nachdem Frankreich die ehemalige Verteidigungsministerin Sylvie Goulard nominiert hat, steht die Anzahl der weiblichen Klöppel bei 12. Wenn Italien nach dem absehbaren Ende der Regierungskrise auch noch eine Frau ins Rennen schickt, könnte von der Leyen ihr Versprechen erfüllen, das sie nach ihrer turbulenten Wahl im Juli im Europäischen Parlament abgeben hatte.

Allerdings müsste sie dafür alle weiblichen Bewerber ungesehen akzeptieren, denn nur zwei Staaten, Rumänien und Portugal, haben, wie von von der Leyen gewünscht, zwei Kandidaten, einen männlichen und einen weiblichen, zur Auswahl benannt. Während die Mitgliedsstaaten das Rohmaterial, die Klöppel, schicken dürfen, hat die Handwerkerin von der Leyen die Freiheit, das Muster auszusuchen. Sie kann die Ressorts in der neuen Kommission frei zuschneiden und theoretisch nach Gutdünken auf die Bewerberinnen und Bewerber verteilten, mit denen sie zurzeit Bewerbungsgespräche in Brüssel führt.

Alle wollen mitklöppeln

Die Mitgliedsstaaten und auch die politischen Parteien im Europäischen Parlament haben aber eigene Wünsche angemeldet und wollen bei der Klöppelarbeit an der ein oder anderen Strippe ziehen. Fast alle Staaten wünschen sich ein "wichtiges Ressort" für ihre Kandidaten, also irgendwas mit Wirtschaft, Handel oder Geld. Die Fraktionen im Europäischen Parlament, in dem es keine klaren Mehrheiten mehr gibt, müssen nach Anhörung jedes einzelnen Kommissar-Anwärters Ende Oktober der gesamten Spitzen-Mannschaft zustimmen. Sie können einzelne Kommissare ablehnen und einen Austausch fordern, was bei früheren Kommissionen schon mehrfach vorgekommen ist.

Jean-Claude Juncker war mit der Frauenquote gescheitert. Er kam nur auf ein Drittel KommissarinnenBild: Reuters/F. Lenoir

Derzeit ist Ursula von der Leyens buntes Muster aus neun Konservativen, neun Sozialdemokraten, fünf Liberalen, einem Grünen und einem Nationalisten zusammengesetzt. Gesetzt sind ein sozialdemokratischer Vizepräsident, Frans Timmermans, und eine liberale Vizepräsidentin, Margrethe Vestager. Beide wollten selbst den Posten haben, den von der Leyen überraschend erhielt. Um die politischen Wunden zu heilen, werden die beiden herausgehoben im Team mitarbeiten.

Der Osten will mehr Einfluss

Die osteuropäischen Mitgliedsstaaten wollen möglichst hochrangige Vizepräsidenten stellen, weil sie sich beim bisherigen Postengeschiebe in der EU nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Ratspräsident wird schließlich ein Belgier, Außenminister ein Spanier und Präsidentin der Europäischen Zentralbank eine Französin. Die nationalistische PiS-Regierung in Polen ist sich mit von der Leyen bereits handelseinig. Sie bekommt das bedeutende Agrar-Ressort, aus dem Polen hohe Zuschüsse erhält. Dafür hat sie sogar kurzfristig noch am Montag ihren Kandidaten für das Kommissionsamt ausgetauscht. Von der Leyen ist sichtlich um ein besseres Verhältnis zu Polen bemüht als ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker. Sie will den Streit um die Rechtsstaatlichkeit Polens, das zu einem Strafverfahren geführt hat, möglichst beilegen. Dabei werde sie aber inhaltlich keine Abstriche machen, hatte von der Leyen ihren Kritikern im Europäischen Parlament versprochen.

Fehler im Gewebe?

Bis Ende September will Ursula von der Leyen noch an ihrem Team klöppeln, das in Brüssel wegen der Unaussprechlichkeit ihres Nachnamens in fremden Sprachen kurz "Team Ursula" genannt wird. Im Parlament dürften es bei den fälligen Anhörungen die nationalistischen Kandidaten aus Polen und Ungarn schwer haben. Auch einigen politischen Leichtgewichten könnte es an den Kragen gehen. Kroatiens Bewerberin Dubravka Suica ist Lehrerin, war Bürgermeisterin und dann EU-Abgeordnete. Regierungserfahrung auf nationaler Ebene hat sie nicht vorzuweisen. Genauso mager sieht es bei der zyprischen Kandidatin Stella Kyriadkides aus. Sie ist Psychologin und Europaabgeordnete. Einer Regierung hat sie nie angehört. Eine der rumänischen Kandidatinnen, Rovana Plumb, musste zuhause wegen einer Korruptionsaffäre als Ministerin zurücktreten - nicht gerade eine Empfehlung für Brüssel.

Als Verteidigungsministerin konnte von der Leyen auf Befehl und Gehorsam zählen. In der EU ist alles verhandelbar.Bild: imago/E. Contini

Bei den Männern sticht vor allem der erst 28 Jahre alte Litauer Virginijus Sinkeviscius hervor. Er kommt von der grünen Bauernpartei und ist bereits Wirtschaftsminister des baltischen Landes. Grüne Abgeordnete sehen den jugendlichen Parteifreund allerdings skeptisch, weil sie ihm zu große geistige Nähe zum populistischen US-Präsidenten Donald Trump nachsagen. Sinkeviscius wird sich darauf einstellen müssen, vom zuständigen Parlamentsausschuss heftig gegrillt zu werden.

Das Muster von Team Ursula ist noch nicht ganz schlüssig. Ursula von der Leyen wird noch eine Weile weiterwerkeln müssen, um die selbst gesetzten politischen Schwerpunkte wie Handel, Klimaschutz und digitale Zukunft abbilden zu können. Fehler im Muster kann man bei echten Köppelarbeiten hinterher schwer ausbügeln. Gilt das auch in der Politik?

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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