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Politik

EU-Gipfel billigt neuen Brexit-Vertrag

17. Oktober 2019

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sind erleichtert, dass es doch noch einen Deal mit dem britischen Kollegen Johnson gibt. Die nächste Hürde steht in London. Bernd Riegert aus Brüssel.

Belgien Brüssel EU Gipfel | Boris Johnson und Jean-Claude Juncker
Fröhliche Stimmung nach zähem Ringen: Boris Johnson (li.) und Jean-Claude JunckerBild: Reuters/F. Lenoir

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem Gipfeltreffen die Brexit-Vereinbarung angenommen. Die Gipfelteilnehmer hätten damit ihre Brexit-Beratungen beendet, teilte ein EU-Sprecher am Abend in Brüssel mit. EU-Ratspräsident Donald Tusk wusste kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz zu berichten, es sei erst zum Durchbruch gekommen, nachdem der britische Premierminister Boris Johnson Zollkontrollen an den Eingangpunkten nach Nordirland akzeptiert habe. Tusk versicherte zugleich, dass die Einheit des Binnenmarktes gewährleistet sei. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ergänzte, der Brexit-Vertrag sichere eine Übergangsperiode bis Ende 2020. Die für Irland gefundene Lösung garantiere die Stabilität auf der Insel sowie im EU-Binnenmarkt.

Der EU-Gipfel starte mit der positiven Nachricht vom Brexit-Abkommen, hatte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel schon zu Beginn des Treffens in der belgischen Hauptstadt verkündet. "Das ist ja nicht unbedingt bei jedem Gipfel so", sagt Bettel ziemlich aufgekratzt am Eingang des Ratsgebäudes in Brüssel. Auch alle andere Staats- und Regierungschefs, die heute und morgen beraten, werten die Einigung auf ein Austrittsabkommen für das Vereinigte Königreich, die den Unterhändlern in letzter Minute gelang, als gutes Zeichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt aber vorsichtig. "Wir prüfen das jetzt im Augenblick gerade und werden uns dann unsere Meinung bilden. Aber natürlich kennen wir auch weite Teile dieses Abkommens schon. Insofern sage ich, das ist eine gute Nachricht", meinte Merkel.

"Insofern eine gute Nachricht": Angela Merkel auf dem Weg zum Pressestatement im RatsgebäudeBild: Getty Images/AFP/J. Thys

Chef-Unterhändler Michel Barnier hatte am Mittag nach tage- und nächtelangen Verhandlungen vor der Presse in Brüssel erklärt, es gebe jetzt eine faire und vernünftige Basis: "Wir haben uns mit der britischen Regierung auf ein Abkommen geeinigt, das einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU möglich macht, und es schließt einen Rahmen für die zukünftigen Beziehungen ein."

Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien

Der 64 Seiten lange Text garantiere, so Barnier, dass Nordirland Teil des EU-Binnenmarktes bleiben könne und gleichzeitig zolltechnisch zum Vereinigten Königreich mit Großbritannien gehören könne. Im Prinzip. Denn sollte die Gefahr bestehen, dass Güter aus Nordirland in das EU-Mitgliedsland Irland geschafft werden, müssten EU-Zölle erhoben werden. "Nordirland wird einer begrenzten Zahl von EU-Regeln unterworfen bleiben, vor allem beim Warenverkehr. Das bedeutet, dass alle nötigen Kontrollen an den Zugangspunkten nach Nordirland erfolgen, aber nicht an der Grenze auf der irischen Insel", sagte Michel Barnier.

Die Kontrollen sollen ausschließlich zwischen Nordirland und Großbritannien stattfinden. Eine Grenze auf der irischen Insel wird vermieden. Über diese Regelung kann das nordirische Regionalparlament 2024 einmal abstimmen. Danach ist sie unbefristet gültig, anders als der ursprüngliche "Backstop", der das gesamte Vereinigte Königreich bis zum Abschluss eines Handelsabkommens in einer Zollunion mit der EU gehalten hätte. Jetzt bleibt nur Nordirland faktisch in der Zollunion. Eine fast gleiche Regelung hatte die damalige britische Premierminister Theresa May 2017 abgelehnt. Kein britischer Premier könne je akzeptieren, dass es eine Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland geben sollte, sagte sie damals.

Johnson fordert Parlament zur Zustimmung auf

Der britische Premierminister, der ziemlich abgekämpft aussah, traf noch vor Beginn des eigentlichen EU-Gipfels Kommissionschef Juncker. Johnson nannte das Brexit-Abkommen gut für beide Seiten und appellierte an das Unterhaus in London: "Ich hoffe jetzt sehr, dass meine Kollegen Abgeordneten in Westminster sich zusammenraufen, um den Brexit zu erledigen, dieses exzellente Abkommen über die Ziellinie zu bringen und ohne weitere Verzögerung zu liefern." Die nordirische DUP-Partei hat das neue Abkommen jedoch schon abgelehnt. Die Abgeordneten des Unterhauses sollen in einer Sondersitzung am Samstag abstimmen. Nach dem Willen der konservativen Fraktion sollen sie nur die Wahl haben zwischen dem Deal, der von Premierminister Johnson angepriesen wird, und einem Austritt ohne Vertrag. Austrittsdatum soll der 31. Oktober bleiben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, er sehe jetzt keinen Grund mehr für eine Verlängerung der Austrittsverhandlungen. "Das Parlament sollte zustimmen", empfahl Junker, schränkte aber ein: "Ich muss sagen, dass ich froh bin über das Abkommen, aber traurig über den Brexit."

Zunächst ein Übergang

Sollte das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland die EU tatsächlich am 31. Oktober verlassen, würde zunächst bis mindestens Ende 2020 eine Übergangsphase gelten. In dieser Phase würde sich für die Menschen in Großbritannien faktisch wenig ändern. EU-Regeln würden zunächst weiter gelten. Die Übergangszeit soll genutzt werden, um ein Freihandelsabkommen für die Zeit danach auszuhandeln. Die Bedingungen und Regulierungen, die diesseits und jenseits des Ärmelkanals gelten, sollen ein "Spiel nach gleichen Regeln" ermöglichen.

Johnson hatte darauf bestanden, dass es keine enge politische und wirtschaftliche Partnerschaft mit der EU mehr geben soll. Sein Versprechen ist, dass Großbritannien wieder die Kontrolle über seine Angelegenheiten übernimmt. Allerdings werden die Zoll- und Handelsregeln, die nun in Nordirland gelten sollen, weiter vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einklagbar sein. Boris Johnson gibt sich trotz allem zuversichtlich: "Alle Teile Großbritanniens verlassen die EU ganz und völlig."

 Einer geht, zwei kommen? Erweiterung umstritten

Nach dem Brexit wollen die Staats- und Regierungschefs über den Start von Beitrittsverhandlungen mit Nord-Mazedonien und Albanien beraten. Die große Mehrheit der Staaten ist dafür, mit den Balkanländer nach jahrelangen Versprechen und Reformbemühungen Verhandlungen zu beginnen. Frankreich ist jedoch dagegen.

Keine neuen Mitglieder: Emmanuel Macron will erst die EU reformierenBild: Getty Images/AFP/A. Oikonomou

Der französische Präsident Emmanuel Macron verlangt zuvor eine Reform des gesamten Beitrittsverfahrens. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dafür wenig Verständnis. Das Argument aus Berlin lautet, Verhandlungen mit den Balkanstaaten würden Jahre oder Jahrzehnte dauern. Die Veränderungen im Prozess könne man im laufenden Verfahren vornehmen. Eine Lösung des Streits wird es kaum geben. Eine Verschiebung auf den nächsten Gipfel im Dezember ist wahrscheinlich. Die Regierungschefs von Nord-Mazedonien und Albanien, Zoran Zaev und Edi Rama, halten sich in Brüssel auf und haben bei den EU-Institutionen und in bilateralen Gesprächen noch einmal für ihre Bewerbungen getrommelt.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union