EU plant Sanktionen gegen Russland
16. Juli 2014Beim letzten EU-Gipfel vor drei Wochen hatten die Staats- und Regierungschefs Russland ein Ultimatum gesetzt. Sollte Russland nicht binnen weniger Tage zur Stabilisierung der Ukraine beitragen, in der Kontaktgruppe mitwirken und auf die Separatisten in der Ostukraine einwirken, werde die EU ihre Sanktionen verschärfen, hieß es damals. Nach drei Wochen stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel nun in Brüssel fest, dass Russland die Bedingungen nicht erfüllt habe. "Deshalb werden wir hier über neue Sanktionen sprechen, weil wir glauben, dass der russische Beitrag zu einem Frieden in der Ukraine noch nicht ausreichend ist", sagte die Kanzlerin zum Auftakt des Gipfels. Nach einigen Stunden Beratungen kam dann am späten Abend der Beschluss: Die EU weitet die Sanktionen aus, allerdings nicht sofort.
Es wird eine Liste von Firmen, Banken und Personen erstellt, die in Russland oder der Ukraine die Aktivitäten der Separatisten ermöglichen. Deren Geschäftsbeziehungen mit Europa und deren Konten in der EU sollen dann eingefroren werden. Außerdem sollen Personen oder Firmen, die Entscheidungsträger in Russland oder der Ukraine finanzieren, ebenfalls mit Sanktionen belegt werden. Die Voraussetzung hier: Diese Entscheidungsträger, also durchaus auch hochrangige Politiker, trügen Veranwortung für die Besetzung der Krim oder die Aufstände von Separatisten in der Ostukraine. EU-Diplomaten werten diese weiter gefassten Kriterien als erhebliche Ausweitung der Sanktionen. Konkrete Namen von Firmen oder Personen werden aber erst Ende Juli im Amtsblatt der EU veröffentlicht.
Sanktionen werden ausgeweitet, kein generelles Handelsembargo
EU-Diplomaten wiesen darauf hin, dass es sich nicht um generelle Wirtschaftssanktionen, ein Embargo von Importen und Exporten für ganze Wirtschaftszweige handele. Von diesen Sanktionen der sogenannten Stufe 3 sahen die Staats- und Regierungschefs noch einmal ab, vor allem weil eigene wirtschaftliche Interessen berührt würden. Auch ein generelles Waffenembargo wurde nicht verhängt. Frankreich kann also weiter die Auslieferung von Kriegsschiffen an die russische Marine vorbereiten. Außerdem soll die Europäische Investitionsbank sämtliche Kreditvergaben und Projekte mit Russland aussetzen. Die EU-Kommission soll ihre Zusammenarbeit mit russischen Stellen ebenfalls auf das allernötigste Mindestmaß reduzieren. Nur nichtstaatliche Organisationen, die sogenannte Zivilgesellschaft, sollen weiter gefördert werden.
Die baltischen und osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU drängen auf ein härteres Vorgehen gegen Russland, das sie für die Eskalation der Kampfhandlungen zwischen pro-russischen Separatisten und ukranischen Regierungskräften verantwortlich machen. Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite hätte bereits jetzt gerne Sanktionen der Stufe 3 verhängt. Andere Mitgliedsstaaten fürchten bei allzu harten Sanktionen wirtschaftliche Verluste für die eigene Volkswirtschaft und bremsen daher. Der britische Premier David Cameron sprach sich für klare und harte Signale aus, die von dem Gipfel in Brüssel nach Russland ausgehen müssten.
Streit um Personalfragen
Mit einer Entscheidung über die offenen Personalfragen in der Europäischen Union hat es Bundeskanzlerin Angela Merkel überhaupt nicht eilig. In Brüssel sagte sie zu Beginn der Beratungen, sie glaube "eher nicht", dass man heute schon zu einer umfassenden Eingung kommen könne. "Schauen wir mal", sagte die Kanzlerin mit einem Lächeln.
Die Ukraine- und Russlandpolitik spielt auch in die anstehenden Personalentscheidungen hinein. Einige osteuropäische Staatschefs denken, dass die von Italien als neue EU-Außenbeauftragte vorgeschlagene Federica Mogherini zu freundlich gegenüber Russland auftritt. Viele konservative Politiker kritisieren, dass die 41-jährige Sozialistin Mogherini zu wenig Erfahrung besitzt. Sie ist erst seit Ende Februar Außenministerin im neuen Kabinett von Premier Matteo Renzi. "Der Maßstab ist für uns Erfahrung. Wir erbitten einen Personalvorschlag, der wirklich vom ersten Tag an voll einsatzfähig ist und voll arbeiten kann", mahnte der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, an.
Der sozialdemokratische Parlamentspräsident Martin Schulz nimmt seine Parteifreundin Federica Mogherini dagegen in Schutz. Sie sei sehr kompetent. "Ich bin oft erstaunt über diese Kritik. Gestern habe ich von vielen Leuten gehört, Präsident Juncker sei zu alt. Heute höre ich, die Mogherini ist zu jung. Vielleicht können diese Leute uns mal sagen, was sie eigentlich wollen", sagte Schulz kurz vor Beginn des Gipfels nach einem Treffen mit den sozialistischen Regierungschefs der EU.
Östliche Mitgliedsstaaten wollen eine Russland-Kennerin
Die osteuropäischen Mitgliedsländer favourisieren die bulgarische EU-Kommissarin Kristalina Georgieva als neue Außenbeauftragte der EU. Die 61-jährige Ökonomin ist derzeit für Kastrophenschutz und Flüchtlingshilfe zuständig. Zuvor war sie Vizepräsidentin der Weltbank in Washington. Neben dem Außenamt ist auch der permanente Vorsitz des Europäischen Rates zu besetzen. Häufig genannt für den Präsidentenstuhl im Rat wird die sozialistische dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Sie hat die Rückendeckung von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Frankreich will die Eurogruppe erobern
Der französische Präsident Francois Hollande soll seine Zustimmung mit der Bedingung verknüpft haben, dass der ehemalige französische Finanzminister Pierre Moscovici neuer permanenter Chef der 18 Staaten wird, die den Euro als Gemeinschaftswährung haben. "Frankreich kommt es nicht so sehr auf die Person an, sondern vielmehr auf die Richtung der Politik. Der neue EU-Kommissionspräsident Juncker hat Investionen von 300 Milliarden Euro und eine Wirtschaftsregierung angekündigt. Das ist genau die Richtung, die Frankreich will", sagte Hollande vor Reportern in Brüssel. Viele Euro-Staaten fürchten aber, dass Frankreich die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes für die Haushaltsdefizite über den Eurogruppen-Chef Moscovici aushebeln will. Moscovici hat sich mehrfach öffentlich gegen dieses "Austeritäts-Dogma" der Eurogruppe ausgesprochen.
Suche nach Balance
Der neue finnische Ministerpräsident Alexander Stubb glaubt, dass es schwer wird, schon an diesem Mittwoch das gewünschte Personalpaket mit Außenbeauftragter, EU-Ratspräsident, Eurogruppen-Chef und wichtigen EU-Kommissaren zu schnüren. Beim letzten Mal habe es auch zwei Wochen gedauert, bis man auf den heutigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy gekommen sei, dämpfte Stubb die Erwartungen. "Wir müssen das richtige Gleichgewicht zwischen den politischen Parteien finden, die Balance zwischen Nord und Süd, kleinen und großen Ländern, Männern und Frauen. Es gibt viele Faktoren, aber der wichtigste ist Kompetenz. Ich glaube, es gibt kompetente Männer und Frauen für die Jobs."