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PolitikEuropa

EU: Deckel und Bremsen gegen Energiepreise

30. September 2022

Nach dem "Doppel-Wumms" aus dem Kanzleramt zur Subventionierung von Energiepreisen legt die EU nach. Die Energieminister wollen Übergewinne kassieren. Wird das auch ein "Wumms"? Bernd Riegert aus Brüssel.

Symbolbild Krisenherd
Bild: imago/Paul von Stroheim

Die Energieministerinnen und -minister der 27 Mitgliedsstaaten der EU haben sich bei ihrer Sondersitzung in Brüssel auf Notfallmaßnahmen gegen galoppierende Gas- und Strompreise geeinigt, die die EU-Kommission Anfang des Monats vorgeschlagen hatte. Energiesparen, Abgaben für Energieunternehmen und Mineralölkonzerne, nationale Preisbremsen beim Erdgas, Unterstützung von klammen Haushalten und Unternehmen - das sind die Rezepte der Union im Kampf gegen die als unzumutbar empfundenen Energiepreise auf den Weltmärkten, die nach Ansicht der EU-Kommission vor allem durch das Ausbleiben russischer Energielieferungen und die Folgen des russischen Angriffskrieges angetrieben werden. "Wir stehen in einem Energiekrieg mit Russland", sagte der tschechische Energieminister Jozef Sikela als Vorsitzender der Runde.

Deutscher Minister Habeck (Mi.) in Brüssel: Wir müssen einsparenBild: Virginia Mayo/AP Photo/picture alliance

Wird es eine generelle Preisgrenze für den Import von Erdgas nach Europa geben?

Nein. Einen Preisdeckel für Gaslieferungen per Pipeline oder Flüssiggastanker aus dritten Ländern lehnen die EU-Kommission und 14 Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland ab. Ein pauschaler Preisdeckel birgt das Risiko, dass die Liefermenge nach Europa sinkt, weil die USA, Norwegen oder Katar ihr Gas dann lieber zu höheren Preisen zum Beispiel nach Asien verkaufen. Außerdem, so warnte die EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, könnte der innereuropäische Gashandel ohne frei auszuhandelnde Preise zum Erliegen kommen und zu massiven Versorgungslücken führen. Zudem würde ein wesentlicher Anreiz um Einsparen von Gas wegfallen, wenn der Preis auch beim hohem Verbrauch nicht stiege.

15 EU-Staaten, darunter Frankreich und Italien, fordern allerdings einen pauschalen Deckel, um das Preisniveau auf dem Weltmarkt und damit auch die Inflation zu senken. Die EU-Kommission warnt, dass ein Preisdeckel quasi die Verstaatlichung der gesamten Energieverteilung in der Union nach sich ziehen würde. Es müsste eine zentrale Behörde geschaffen werden, die den Preis festsetzt und entscheidet, welches Land wann wie viel Gas beziehen dürfte. Zu komplex und kurzfristig, für diesen Winter nicht zu leisten, lautet das Urteil der EU-Kommission und von Ökonomen der Denkfabrik "Bruegel" in Brüssel.

Brüsseler Restaurants servieren heute kaltes Essen bei Kerzenlicht als Protest gegen StrompreiseBild: Olivier Matthys/AP Photo/picture alliance

Eine nationale Preisgrenze für Gas für Endverbraucher?

Ja, die EU-Kommission und die EU-Minister haben sich darauf geeinigt, dass die Preise begrenzt werden sollen, die Haushalte und Unternehmen für Gas zahlen. Das funktioniert so: Die Kunden zahlen einen festgesetzten Preis, der unter dem Preis liegt, den die Energieversorger am Markt beim Einkauf zahlen müssen. Die Differenz zahlt der Staat. Dieses Modell haben Spanien, Portugal und Griechenland teilweise schon eingeführt. Dieser nationale Preisdeckel führt aber dazu, dass Sparanreize wegfallen und auf dem EU-Binnenmarkt ungleiche Wettbewerbsbedingungen entstehen, je nachdem wie hoch die nationalen Energiepreise festgesetzt werden. Die französische Aluminiumindustrie beschwert sich bereits gegen entsprechende Wettbewerbsvorteile für die spanische Konkurrenz. Um weiter zum Sparen zu animieren, sollen in Deutschland nur 80 Prozent des Grundbedarfs subventioniert werden, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck in Brüssel. Die restlichen 20 Prozent sollen zu teureren Weltmarktpreisen weitergegeben werden. Er nennt das System Preisbremse, nicht Preisdeckel.

Wie sollen die Subventionen für die Deckel und Bremsen finanziert werden?

Deutschland geht in die Vollen und will 200 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, um die Preise zu begrenzen. Einige reichere EU-Staaten nehmen ebenfalls neue Schulden auf. Andere können sich so einen "Doppel-Wumms", wie Bundeskanzler Olaf Scholz das Schuldenpaket nennt, kaum mehr leisten, weil sie wie Griechenland, Italien oder Portugal sehr stark verschuldet sind. Spanien hat eine neue Vermögenssteuer eingeführt. Das Anliegen der ärmeren Länder, dass die EU als Ganze die Subventionen finanzieren sollte, ähnlich wie beim Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, wurde von den Energieministern (noch) abgelehnt.

Hoffnung durch neue Flüssiggas-Terminals: Importe sind extrem teuerBild: ANP/IMAGO

Wie sollen neue Abgaben und Übergewinnsteuern Subventionen finanzieren?

Die EU-Minister beschlossen eine Abgabe für Energieunternehmen zu erheben, die von den hohen Gaspreisen profitieren, obwohl sie für die Erzeugung ihres Stroms aus Windkraft, Sonne, Wasser, nuklearen Brennstoffen oder Braunkohle nicht mehr aufwenden müssen. Die sogenannte "inframarginale" Preisgrenze soll bei 180 Euro pro Megawattstunde liegen. Die Einnahmen aus diesen Abgaben, die national erhoben werden, fließen in die nationalen Haushalte der EU-Staaten. Diese Einnahmen sollen die Staaten nutzen, um bedürftige Verbraucher und Unternehmen zu unterstützen oder nationale Preisbremsen zu finanzieren.

Die hohen Gewinne kommen vor allem dadurch zustande, die die Preise für die Stromerzeugung in der EU an den teuersten Energieträger gekoppelt sind. Das ist im Moment mit großem Abstand Erdgas. Dieses "Merrit-Order" genannte System soll nicht verändert werden, um die Energieerzeugung in der EU nicht zu gefährden. Eine langfristige Reform soll nach Empfehlungen der EU aber ins Auge gefasst werden, wenn der Anteil von fossilen Brennstoffen an der Stromerzeugung weiter sinkt.

Mineralölkonzerne, Raffinerien und Energiehändler, deren Gewinne mehr als 20 Prozent über den durchschnittlichen Gewinnen seit 2018 liegen, sollen mit einer  "Solidaritätsabgabe" von 33 Prozent belegt werden. Diese extra Steuereinnahmen sollen dann an Bedürftige umverteilt werden. Wie das genau geschieht, bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. Die EU-Kommission schätzt, dass durch Abgaben auf Übergewinne pro Jahr 117 Milliarden Euro eingenommen werden könnten.

Licht aus im Winter? Öffentliche Beleuchtung und Weihnachtsschmuck auf der SparlisteBild: picture-alliance/dpa/S. Falko

Wie sollen russische Gewinne beschnitten werden?

Die EU-Kommission empfiehlt einen Preisdeckel für Gasimporte aus Russland, egal ob sie per Pipeline oder Flüssiggastanker in die EU gelangen. EU-Staaten wie Ungarn, die heute noch von russischen Lieferungen abhängig sind, müssten erklären, ob sie einen solchen Preisdeckel mittragen können. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte in Brüssel, bei dieser Maßnahme handele es sich um eine "Sanktion", die nur die Kriegskassen Russlands treffen sollte. Deutschland, das Anfang des Jahres noch gegen Sanktionen bei Erdgas war, bezieht nur noch wenig Gas aus Russland, da der Kreml die nun zerstörte Nordstream 1-Leitung bereits vor Wochen komplett zugedreht hat.

Für russisches Erdöl, das per Schiff geliefert wird, setzt ab Ende des Jahres ein Importvorbot ein. Ungarn, Tschechien und die Slowakei dürfen aber weiter russisches Öl per Pipeline beziehen. Der Import russischer Kohle ist bereits seit August untersagt.

Wie will die EU ihre Marktmacht besser nutzen?

Auf den Energiemärkten für Gas ist sich jeder selbst der Nächste. Angesichts der drohenden Versorgungsengpässe durch den willkürlichen Stopp russischer Lieferungen haben die Versorgungsunternehmen auf den Weltmärkten große Mengen Flüssiggas eingekauft und Lieferungen per Pipeline aus Norwegen oder Algerien erhöht. Das hat  zu einer Explosion der Preise für das knappe Gut geführt. Die EU-Kommission schlägt seit längerem die Bildung einer "Einkaufsgemeinschaft" vor, ähnlich wie das bei Impfstoffen gegen Corona praktiziert wurde. Viele Ministerinnen und Minister sprechen sich dafür aus, die Marktmacht der einzelnen Staaten zu bündeln. Die praktische Umsetzung war bislang schwierig, weil die größten Nachfrager, Deutschland, Italien, Österreich, Italien und Spanien sich über die Details nicht einig waren. Das soll die EU-Kommission nun zügig ändern. Außerdem sollen Gespräche mit den größten Lieferländern für Erdgas per Pipeline und Flüssiggastanker aufgenommen werden, also Norwegen, den USA, Katar und weiteren arabischen Staaten. 

Was soll eingespart werden?

Die EU-Staaten verpflichten sich in den Zeiten der Spitzenlasten am Morgen und am Abend fünf Prozent weniger Strom zu verbrauchen. Freiwillig soll über den ganzen Tag verteilt auf zehn Prozent Strom verzichtet werden. Wie diese Einsparungen in Haushalten und der Industrie durchgesetzt werden, regeln die Mitgliedsstaaten selbst. Einige haben schon Sparpläne verabschiedet und die öffentliche Beleuchtung reduziert. In Deutschland wird über Lichterketten zu Weihnachten diskutiert.

Und was ist mit der europäischen Solidarität?

Der italienische Energieminister Roberto Cingolani sagte nach der Ministertagung, die Beschlüsse sei zwar gut, aber man brauche noch Vorkehrungen für den Fall, dass es einen echten Mangel an Gas oder Strom irgendwo in Europa geben sollte. Bisher decke das Angebot, wenn auch teuer, die Nachfrage. Das könne sich im Laufe des Winters ändern.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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