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Politik

EU sucht Kompromisse bei Migration

27. September 2017

50.000 neue Flüchtlinge, mehr Abschiebungen und mehr Grenzkontrollen. Kein Zwang, sondern freiwillige Solidarität. Darauf setzt die EU-Kommission. Werden alle Mitgliedsstaaten mitziehen? Bernd Riegert aus Brüssel.

Ungarn Grenzzaun zwischen Serbien und Ungarn
Erwünschte Sicherung der EU-Außengrenze: Ungarn baute Zäune (Archiv)Bild: picture alliance/dpa/MTI/B. Mohai

"Versöhnen statt spalten", schien das Motto von EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos zu sein, als er am Mittwoch versuchte, mit neuen Vorschlägen den Dampf aus dem Streit um Migration in der EU zu nehmen.

Die von einigen osteuropäischen Staaten abgelehnte Verteilung von Asylbewerbern von Griechenland und Italien in andere EU-Staaten soll nicht neu aufgelegt werden. Eine entsprechende Notfall-Regelung, die vor zwei Jahren auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von den EU-Innenministern beschlossen worden war, ist am Dienstag ausgelaufen. Allerdings will Avramopoulos noch die unter dieser Regelung eingereisten "Altfälle" umverteilen. In Griechenland sind rund 2000 Menschen für die Umverteilung identifiziert. In Italien erfüllen etwa 7000 Asylbewerber die Bedingungen für eine Umverteilung. Das heißt etwa 9000 Menschen müssten nach einer festen Quote noch auf die EU-Staaten verteilt werden. Der EU-Kommissar forderte die Mitgliedsländer auf, sich solidarisch zu verhalten und den Beschluss nun noch zu Ende zu führen. Der Europäische Gerichtshof hatte die Rechtmäßigkeit der Umverteilung bestätigt.

Avramopoulos: Mehr Solidarität der EU-Staaten untereinander nötigBild: picture-alliance/V.Mayo

Zahlen sinken, Streit begraben?

Ungarn und Polen weigern sich nach wie vor, überhaupt umverteilte Asylsuchende aus den "Frontstaaten" Griechenland und Italien aufzunehmen. Wie diese Staaten notfalls zur Solidarität gezwungen werden könnten, erläuterte Dimitris Avramopoulos auch auf Nachfrage nicht. Von den 120.000 Menschen, von denen die EU-Innenminister im Spätsommer 2015 für eine Umverteilung nach Quote ausgingen, ist nun nicht mehr die Rede. "Wir brauchen das nicht mehr, weil die Migrationszahlen auf der Balkanroute und der Mittelmeerroute drastisch begrenzt werden konnten", sagte Avramopoulos. Irgendwann, so mahnte der EU-Kommissar an, sei dann aber eine überarbeitete Asylgesetzgebung nötig, kurz Dublin-Regel genannt, die vorgibt, wie Asylbewerber künftig aus überlasteten Ländern umverteilt werden sollen. Die Diskussionen über das neue Dublin laufen, sind aber noch nicht weit gediehen. Klar ist aber, dass das Prinzip, wonach der Staat der ersten Einreise für das Asylverfahren zuständig ist, erhalten bleiben soll.

Umsiedlung statt Umverteilung 

Statt der Quotenregelung setzt die EU-Kommission jetzt wieder verstärkt auf eine Umsiedlung. Man achte auf den feinen Unterschied zur Umverteilung. Bei der Umsiedlung werden Flüchtlinge oder aussichtsreiche Asylbewerber direkt aus Transitländern wie der Türkei oder den Registrierzentren der EU in Griechenland und Italien (Hotspots) auf EU-Mitgliedsländer verteilt. Die Beteiligung am Umsiedlungsprogramm ist freiwillig. Zurzeit sind 13 EU-Staaten sowie Norwegen und Island daran beteiligt. Polen und Ungarn bleiben auch hier außen vor. Die Tschechische Republik nimmt aber teil. In den letzten zwei Jahren sind mit diesem Programm 23. 000 Menschen legal in der EU aufgenommen worden. EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos schlägt jetzt vor, noch einmal 50.000 Plätze für Umsiedlung in den kommenden zwei Jahren anzubieten. Avramopoulos räumte indirekt ein, dass diese Zahl nicht überwältigend hoch ist. Er nannte die 65 Millionen Flüchtlinge als Vergleich, die derzeit weltweit unterwegs sind.

Warten auf Umverteilung, Umsiedlung oder Abschiebung? Lager auf der griechischen Insel ChiosBild: DW/D. Tosidis

Mehr abschieben

"Die irregulären Einreisen sind drastisch zurückgegangen", sagte der EU-Kommissar. "Jetzt müssen wir mehr legale Wege in die EU eröffnen." Die EU müsse ihre Visa-Vergabe überprüfen und mehr Einwanderer anziehen, deren Fähigkeiten für die europäische Wirtschaft nützlich seien. Wolle man eine glaubwürdige Migrationspolitik, bedeute das auf der anderen Seite aber auch, dass diejenigen, die kein Recht hätten in der EU zu leben, wieder gehen müssten, meinte der Migrationskommissar. Die Zahl der Rückführungen, Ausweisungen und Abschiebungen müsse stark erhöht werden. Rund 1,5 Millionen Menschen, die kein Bleiberecht hätten, hielten sich in der EU auf, berichtete die EU-Kommission in Brüssel. In den Jahren 2014 und 2015 seien nur 36 Prozent der Migranten, die hätten ausreisen müssen, auch wirklich zurückgeführt worden. Die Mitgliedsstaaten müssten sich mehr anstrengen und mehr abschieben, forderte EU-Kommissar Avramopoulos. Dabei soll ihnen demnächst ein neue "Abschiebe-Abteilung" bei der gemeinsamen Grenzschutzagentur Frontex in Warschau helfen.

Freier Reiseverkehr im Schengenraum?

Im Zusammenhang mit den hohen Migrantenzahlen 2015 und 2016 hatten einige EU-Mitgliedsstaaten an internen Grenzen wieder Personenkontrollen eingeführt. Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweden und andere wollten so eine bessere Kontrolle der Zuwanderung erreichen. Diese nur ausnahmsweise im Schengen-Raum erlaubten Personenkontrollen an den Grenzen müssen im kommenden November eingestellt werden. Darauf besteht der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos: "Es wird keine Verlängerung der Kontrollen aufgrund von Flüchtlingsbewegungen geben." Der Kern der Schengen-Regeln seien freie Binnengrenzen in der EU ohne Personenkontrollen. Da die Aussengrenzen der EU jetzt besser geschützt würden als vor zwei Jahren und die Migrantenzahlen zurückgegangen seien, könnten jetzt auch die Grenzkontrollen eingestellt werden. Einige Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland wollen die stichprobenartigen Kontrollen an den Landgrenzen aber fortsetzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Wahlkampf gesagt, sie werde die Kontrollen erst einstellen, wenn die Experten der Bundespolizei ihr sagten, dass dies auch sicher sei.

Neuer Grund für alte Kontrollen

Auch hier baute die EU-Kommission eine Brücke. Die EU-Staaten, die auch nach dem nächsten November Grenzen kontrollieren wollten, müssten eine andere Bedrohung für die innere Sicherheit als Grund angeben. So verfahren etwa Belgien und Frankreich und führen Terrorismus als Grund für die Personenkontrollen an. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière will sich jetzt auf die Terrorgefahr berufen. Die EU-Kommission möchte die Bestimmungen des so genannten "Schengen-Grenzcodes" den Erfahrungen der letzten Jahren anpassen und mehr Ausnahmen zulassen. Darüber müssen aber alle EU-Mitgliedsstaaten entscheiden, die zum Schengen-Raum gehören. Wenn diese neuen Regeln in Kraft sind, könnten die vorläufigen Grenzkontrollen auf bis zu drei Jahre ausgeweitet werden. Deutschland hatte vier Jahre gefordert.

Parallel dazu werden die Kontrollen an den Aussengrenzen der EU ausgebaut. Seit April dieses Jahres werden alle Reisenden mit den relevanten Datenbanken für Asyl, gestohlenen Dokumenten und Fahndungen abgeglichen. Demnächst sollen die Daten aller Reisenden bei Ein- und Ausreise automatisch erfasst werden. Außerdem sollen Reisende, die nicht aus der EU stammen, vor ihrer Einreise Daten zur Verfügung stellen. Das Internet-basierte System soll ähnlich funktionieren wie die Einreisesysteme für die USA, Australien oder Kanada.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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