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Fatale Abhängigkeit

Christoph Hasselbach8. März 2016

Beim EU-Türkei-Sondergipfel gab es nicht den erhofften Durchbruch, aber ein Angebot und neue Forderungen aus Ankara. Die Reaktion der europäischen Presse schwankt zwischen Resignation und Merkel-Schelte.

Symbolbild Internationale Presse (Foto: picture-alliance/dpa/J. Kalaene)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Tenor bei vielen Pressestimmen ist, die EU sei in der Flüchtlingsfrage nun einmal auf die Türkei angewiesen; daher seien die türkischen Forderungen zwar unverschämt, müssten aber grundsätzlich erfüllt werden. Es geht zum Teil um Geld; Ankara fordert inzwischen das Doppelte der ursprünglichen drei Milliarden Euro, um Flüchtlinge auf ihrem eigenen Territorium zu versorgen. Die drei Milliarden hatte die EU nach langem Ringen mit sich selbst auch zugesagt, die Türkei beschwert sich aber, noch nichts von dem Geld gesehen zu haben.

Ein großes Echo findet auch das türkische Überraschungsangebot: Ankara ist demnach bereit, jeden Flüchtling, der neu von der Türkei auf die griechischen Inseln übersetzt, zurückzunehmen, also auch syrische Bürgerkriegsflüchtlinge; im Gegenzug müsste die EU für jeden Zurückgenommenen einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufnehmen.

Die konservative österreichische Zeitung "Die Presse" meint, dass es "ein Fehler von Merkel war, ganz auf eine Türkei-Lösung zu setzen. Präsident Erdogan darf wohl glauben, dass er sich (fast) alles erlauben kann. Die Europäer kuschen."

Der linksliberale britische "Guardian" stellt nüchtern fest: "Jeder Akteur hat ein riesiges persönliches Interesse an einer Lösung, die funktioniert. Die EU selbst könnte kaum ein größeres kollektives Eigeninteresse haben."

Die liberale tschechische "Hospodarske noviny" zweifelt an einem guten Verhandlungsergebnis: "Selbst wenn eine Einigung gelingen sollte, dass sich die Türkei um so viele Flüchtlinge wie möglich kümmert und gegen Schleuserbanden vorgeht, wird sich erst zeigen müssen, was davon nur auf dem Papier steht und was umgesetzt wird." Dies dürfte eine Anspielung auf die Tatsache sein, dass die Türkei bereits im Herbst mit der EU vereinbart hatte, gegen den Menschenschmuggel vorzugehen. Passiert ist seitdem aber wenig.

"Die Presse": "Die Europäer kuschen"Bild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Abhängig von Erdogans Gnade

Die linksliberale polnische "Gazeta Wyborcza" sieht die Türkei in einer Rolle für Europa, die weit über die unmittelbare Lösung der Flüchtlingsfrage hinausgeht. Denn damit könne auch allein die Türkei "den Schengen-Raum vor dem Zerfall retten, die Angst vor den Populisten stoppen, den Glauben an die EU wieder aufbauen". Doch die Zeitung fragt: "Wird der Preis nicht zu hoch sein? Bedeutet ein Pakt mit Erdogan nicht, sich selbst zu verraten?"

Das italienische Blatt "La Repubblica" spricht gar von einem drohenden "politischen Untergang der Europäer im Wasser der Ägäis", der türkische Ministerpräsident Davutoglu habe ihnen "einen Rettungsring" zugeworfen. Doch den hohen Preis setze Präsident Erdogan fest, "der gerade erst eine der wenigen türkischen Zeitungen erobert hat, die es noch wagten, ihn zu kritisieren".

Auch wenn die meisten Zeitungen die hohen türkischen Forderungen und Europas Abhängigkeit beklagen, ringen sich meist nicht zu einer Empfehlung durch, ob die EU auf das Angebot eingehen solle oder nicht. Eine Ausnahme ist der Züricher "Tages-Anzeiger", der freilich aus dem Nicht-EU-Land Schweiz stammt. Die Zeitung zählt zwar die Probleme auf: das Geld ("daran dürfte es am Ende nicht scheitern"), die geforderte Visumsbefreiung bis zum Sommer für türkische Bürger und eine Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses. Doch das Blatt resumiert: "Die Beitrittsverhandlungen können auch eine Chance sein, mit der Regierung in Ankara über sehr negative Entwicklungen bei den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit zu reden. Unter dem Strich ist es ein Angebot, das die Europäer annehmen sollten."

"Magyar Nemzet": Diesmal hat sie "keinen Flüchtling an die Brust gedrückt".Bild: Reuters/F. Bensch

Spott über Merkel

Als einziger der EU-Staats- und Regierungschefs hat der ungarische Ministerpräsident Orban gleich gesagt, er werde bei einer Aufnahme syrischer Flüchtlinge aus der Türkei nicht mitmachen. Die konservative ungarische Tageszeitung "Magyar Nemzet", die als regierungsnah gilt, kann denn auch wenig Erbauliches über den Gipfel sagen. Allerdings erkennt sie bei Bundeskanzlerin Merkel eine "langsame Wende" ihrer Flüchtlingspolitik und fährt spöttisch fort. "Zeichen (davon) war, dass Merkel vor dem Brüsseler Treffen keinen einzigen Flüchtling oder Migranten demonstrativ an ihre Brust gedrückt hat, die jetzt mit dem Demontieren des griechisch-mazedonischen Grenzzauns ihre Zeit totschlagen oder friedlich von Athen aus nach Norden wandern."

Beißenden Sarkasmus gießt die konservative französische Zeitung "Le Figaro" nicht nur über Merkel, sondern über die gesamte EU und ihre Lösungsversuche aus: "20 Monate Prinzipienerklärungen, ausgesprochene Einladungen an Hunderttausende Migranten, unwirksame Lösungen, politische Zerfleischung, hastig errichtete Barrieren" seien ein Fiasko. Und "die Lektion dieses Fiaskos ist, dass man das Gewicht Deutschlands noch mehr spürt, wenn es in die falsche Richtung läuft, und seine Partner, allen voran Frankreich, sich zu schwach erweisen, um es zur Vernunft zu bringen."

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