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Viel Kritik und ein wenig Hoffnung

Bernd Riegert8. März 2016

Die mögliche Rücknahme von Flüchtlingen und Migranten durch die Türkei wird im EU-Parlament skeptisch gesehen. Viele Fragen sind am Tag nach dem vertagten EU-Gipfel offen. Aus Straßburg Bernd Riegert.

Brüssel Europäisches Parlament Abstimmung
Rundblick: Plenarsaal des Europa-Parlaments in StraßburgBild: Getty Images/AFP/P. Hertzog

Das Gipfeltreffen der EU mit der Türkei, das einen möglichen Ausweg aus der Flüchtlingskrise vorgezeichnet hat, stieß im Europäischen Parlament in Straßburg auf ein geteiltes Echo. Die konservative Fraktion, allen voran die deutsche Kanzlerinnen-Partei CDU, kann dem türkischen Plan zur Rücknahme von Flüchtlingen und Migranten aus Griechenland viel Positives abgewinnen. "Wenn man von anderen was haben will, dann muss man auch was geben. Das nennt man normalerweise Kompromiss. Insofern ist das kein an den Hals schmeißen. Es ist ein kluger Weg", sagte der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul der DW.

Die Gefahr, dass sich die EU von der Türkei in der Flüchtlingspolitik abhängig mache und der geforderte Preis zu hoch sei, sieht Reul nicht. Die sechs Milliarden Euro könne die EU verschmerzen, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei könnten ruhig ein wenig beschleunigt werden, weil das ja noch lange nicht heiße, dass die Türkei am Ende auch beitreten werde. Problematisch ist für den Chef der konservativen deutschen Parlamentarier allenfalls die schnelle Visafreiheit für Türken, die in die EU reisen. Die Pressefreiheit und Menschenrechte würden in der Türkei zwar verletzt, doch das müsse man von der Flüchtlingsfrage trennen, findet Herbert Reul. Die Türkei sei ein verlässlicher Partner. "Ich mache mir Sorgen um die Türkei und ihr Innenleben, wie sie mit Rechtsstaatlichkeit umgeht. Damit habe ich ein Problem. Aber das spielt in dieser Flüchtlingsfrage erstmal keine Rolle. Also: großes Vertrauen, dass man der Türkei eine solche Vereinbarung treffen kann."

Reul: Endlich so etwas wie ein PlanBild: DW/B. Riegert

UNHCR warnt vor Rechtsbruch

Der neue UN-Flüchtlingskommissar Fillopo Grandi sieht den sich abzeichnenden Deal zwischen der EU und der Türkei sehr viel kritischer. Massenabschiebungen aus Griechenland in die Türkei ohne vorherige rechtliche Anhörung seien illegal, kritisierte der Flüchtlingskommissar in einer Aussprache mit dem Europäischen Parlament in Straßburg. Die Türkei hatte der EU angeboten, sämtliche Flüchtlinge und Migranten aus Griechenland von einem bestimmten Stichtag an wieder zurückzunehmen. "Wenn das rechtlich nicht geht, dann wird das eben nicht gemacht", meinte dazu kurz und pragmatisch der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul. Er sei ja kein Jurist.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms, hat ebenfalls Bedenken. Man könne nicht nur syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen eine direkte Umsiedlung aus der Türkei in die EU anbieten. "Den Syrern muss mehr geholfen werden. Da sind wir dafür, aber es kann nicht sein, dass Iraker oder Menschen aus Afghanistan, die auch vor Krieg und Verheerung flüchten, keinen Zugang mehr haben", sagte Harms im DW-Gespräch. Die geplante pauschale Abschiebung von Irakern oder Afghanen als "Wirtschaftsmigranten" stößt bei vielen Parlamentariern auf Kritik.

Harms: Abschotten und VerdrängenBild: DW/B. Riegert

Trotzdem sieht die grüne Politikerin Rebecca Harms den Versuch, mit der Türkei gemeinsam die Flüchtlingkrise anzugehen, positiv. Erpressen könne die Türkei die EU wohl eher nicht. "Trotzdem glaube ich nicht, das die Europäer sich einfach nur verkaufen in der Flüchtlingsfrage, sondern ich glaube, dass die Türkei genauso starke Interessen gegenüber der EU hat wie wir anders herum, wenn nicht sogar stärkere. Die Türkei ist in großen Schwierigkeiten." Harms verwies auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Türkei, auch ausgelöst durch das schlechte Verhältnis mit Russland.

Widerstand aus Polen

Der rechtspopulistische polnische Abgeordnete Kosma Zlotowski lehnt eine Vereinbarung der EU mit der Türkei dagegen ab. Zlotowskis Partei "Recht und Gerechtigkeit "(PiS) stellt in Warschau die Regierungsmehrheit. Europa erkaufe sich seine Sicherheit von den Türken. Es sei aber die Pflicht der EU, selbst für Sicherheit an ihren Außengrenzen zu sorgen, kritisierte Zlotowski gegenüber der DW. Die Polen werden sich auch nicht an weiteren Umverteilungen von Syrern aus Türkei in die EU beteiligen."Wir sind dagegen", sagte Zlotowski knapp. Allerdings werde sich die nationalkonservative Regierung an die Zusagen ihrer Vorgänger aus dem Sommer 2015 halten und vielleicht einige Tausend Flüchtlinge aus Griechenland oder Italien übernehmen. "Was beim ersten Mal beschlossen wurde, das halten wir ein. Aber nicht mehr!" Ungarn hatte gegen die Verteilung von Flüchtlingen direkt aus der Türkei in der Nacht beim Gipfel ein Veto eingelegt. Die Slowakei klagt sogar gegen jedwede Umverteilung von Flüchtlingen.

Zlotowski: Europa erkauft sich SicherheitBild: DW/B.Riegert

Ohne eine Übernahme von Flüchtingen direkt aus der Türkei in die EU funktioniert aber der ganze Plan nicht, der am Montag in Brüssel beim Gipfel lange diskutiert wurde. Nur dann ist die Türkei bereit, Flüchtlinge und Migranten von den griechischen Inseln wieder in die Türkei zurückzuführen. "Das Problem ist ganz klar, dass nicht alle europäischen Mitgliedsstaaten die gleiche Auffassung von ihrer Verantwortung und ihrem notwendigen Beitrag in dieser Situation haben", sagte dazu die grüne Abgeordnete Rebecca Harms. Ob diese Meinungsverschiedenheiten bis zum nächsten Gipfel kommende Woche beigelegt werden können, ist noch ungewiss.

Grieche sieht sein Land als Opfer

Die griechische Regierung musste im Europäischen Parlament erneut Kritik einstecken. Der stellvertretende Präsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, forderte Griechenland auf, mehr für die Sicherung seiner Außengrenze zu tun. Der griechische Abgeordnete Dimitrios Papadimoulis von der regierenden linkspopulistischen "Syriza" empfindet die Kritik als ungerecht. Die EU habe stets Hilfen zugesagt, die nie angekommen seien.

Papadimoulis: Nicht nur reden, sondern handelnBild: DW/B. Riegert

"Griechenland wird ein Opfer der fehlenden Entscheidungen und der fehlenden Umsetzung. Wir sind sozusagen der Frontstaat für ganz Europa. Deshalb verdienen wir keine Bestrafung, sondern wir brauchen mehr Solidarität, nicht bei Worten, sondern bei Taten." Das einseitige Abschotten der Balkanroute durch Österreich und andere Staaten, so Papadimoulis, helfe nicht weiter und mache Griechenland zu einem "Opfer". Es sei ja gut, dass die EU und die Türkei jetzt eine Art Rahmen skizzierten, nun müssten aber schnell Entscheidungen und deren Umsetzung folgen, forderte Papadimoulis.

EU-Kommission: Balkanroute bleibt zu

Die Lage der an der mazedonisch-griechischen Grenze gestrandeten Flüchtlinge ist dramatisch und sie wird täglich schlimmer. Eine Weiterreise soll es aber nicht geben, sagte EU-Vizepräsident Frans Timmermans in Straßburg noch einmal. "Die Zeit des Durchwinkens ist vorbei." Wie den Menschen in Idomeni und in anderen notdürftigen Lagern unmittelbar geholfen werden solle, sagte Timmermans nicht.

Wichtig war ihm vor allem diese Aussage: "Die Zahl der neuen Ankünfte muss sinken. Den Schleppern muss das Handwerk gelegt werden." Mit der faktischen Grenzschließung dürfe man die Probleme nicht auf Griechenland oder die Türkei abwälzen, mahnte die grüne Abgeordnete Rebecca Harms. "Durch Abschottung oder Verdrängung - sei es auf die Türkei oder auf Griechenland - wird man eher Konflikte verschärfen und wird im nächsten Jahr viel, viel größere Probleme bewältigen müssen."

Prognosen, ob der türkisch-europäische Plan zur Rückschiebung und Umverteilung von Flüchtlingen beim nächsten EU-Gipfel Ende kommender Woche tatsächlich verabschiedet werden kann, wollte keiner der Parlamentarier so recht abgeben. Über einen eventuellen "Durchbruch", den die Bundeskanzlerin bei ihrer nächtlichen Pressekonferenz erkennen wollte, konnte sich der deutsche CDU-Europageordnete Reul noch nicht freuen. "Das Ding hat auf die Landtagswahlen vermutlich keine Auswirkungen. So darf man ein solches Problem auch nicht angehen. Wir alle hätten Spaß daran gehabt, wenn wir es vorher erledigt hätten. Aber man darf so etwas nicht übers Knie brechen, wenn es nicht geht. Und es ging nicht."

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