1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Johnson weist EU-Forderungen zurück

3. Februar 2020

Drei Tage nach dem Brexit treten die Differenzen zwischen EU und Großbritannien erneut zutage. Das Thema Freihandel bleibt schwierig: Die einen bestehen auf Regeln, die anderen lehnen sie ab. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Michel Barnier, EU-Chefunterhändler
Michel Barnier fordert klare Spielregeln für den handel zwischen EU und GroßbritannienBild: DW/B. Riegert

Dass die Europäische Union im künftigen Verhältnis zum Vereinigten Königreich auf gleichen Spielregeln bestehen werde, dürfte "keine Überraschung" für die Briten sein, sagte in Brüssel der Chef-Unterhändler der EU. Michel Barnier, der sein Verhandlungsmandat vorstellte, empfahl dem britischen Premierminister Boris Johnson, einen Blick in die gemeinsame politische Erklärung von EU und Großbritannien vom Oktober 2019 zu werfen. Dort steht in Ziffer 17, dass sich beide Seiten um ein faires Handelsverhältnis nach gleichen Regeln (level playing field) bemühen werden. Je enger sich die britische Regierung an europäische Regeln halten werde, sagte Barnier, je enger könne auch das wirtschaftliche Verhältnis sein. Wenn die Briten sich vom europäischen Binnenmarkt und seinen Regeln sowie von der Zollunion verabschieden wollten, dann sei das ihre Entscheidung. Es gehe bei den in einigen Wochen startenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen offenbar nicht darum, sich anzunähern, sondern sich voneinander zu entfernen. "So nah wie Großbritannien als Mitglied der EU war, kann es in Zukunft nicht mehr sein", bilanzierte Unterhändler Barnier in der EU-Kommission in Brüssel.

Zollfreier Handel? Ja! Feste Regeln? Nein! Premier Johnson sieht Großbritannien vorneBild: picture-alliance/AP Photo/F. Augstein

Johnson lehnt feste Regeln ab

Fast zeitgleich trat der britische Premierminister Boris Johnson in London ans Rednerpult und skizzierte vor Vertretern von Unternehmen und Medien seine Verhandlungsstrategie. Johnson wies die Forderung aus Brüssel nach gleichen, vertraglich vereinbarten Spielregeln in den Wirtschaftsbeziehungen zurück. Einen solchen Vertrag brauche man nicht, argumentierte Johnson, weil das Vereinigte Königreich in den Bereichen Umweltschutz, Produktsicherheit und Arbeitnehmerrecht ohnehin besser sei als die EU. "Wir brauchen keinen neuen Vertrag", sagte Boris Johnson. Der Premier will einen Freihandelsvertrag nach dem Muster des Freihandelsvertrages "CETA", den die EU und Kanada abgeschlossen haben. Allerdings spricht auch CETA von gleichen Spielregeln in vielen Wirtschaftsbereichen.

Die EU-Kommission weist darauf hin, dass in dem Abkommen mit Kanada Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen nicht vorkommen. Diese Dienstleistungen machen jedoch rund 80 Prozent der britischen "Exporte" in die Europäische Union aus. Die automatische Anerkennung von britischen Finanzprodukten in allen EU-Staaten, das sogenannte "Passporting" fiele damit weg. Die Auswirkungen auf den Finanzplatz London wären ungewiss.

"Ich will von Untergangsszenarien nichts wissen", sagte Premier Johnson auf kritische Fragen einer Journalistin. "Unsere Wirtschaft blüht und gedeiht und das wird so bleiben." Der Premierminister erinnerte an die Wurzeln der britischen Gesellschaft als große Seefahrernation. "Wir machen uns auf eine große Reise, die viele uns nicht zugetraut haben", sagte Johnson. Man habe jetzt die ganze Welt im Blick.

Goldene Zeiten für die City? In den künftigen Verhandlungen geht es auch um den Finanzplatz London Bild: picture-alliance/dpa/D. Lipinski

Harter Ausstieg immer noch möglich

In Brüssel lenkte EU-Unterhändler Barnier derweil den Blick auf den 31. Dezember. Das sei immer noch eine gewaltige "Klippe". Sollte bis zum Ende der Übergangsphase kein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zustande kommen, dann würden ab Januar 2021 Zölle erhoben und Kontrollen eingeführt. Die Zeit für Verhandlungen sind nach Einschätzung der EU äußerst knapp. Nach einem ersten Zeitplan, den Barnier heute vorlegte, sind nur zwei große Verhandlungsrunden geplant. Im Oktober sollen die Ergebnisse vorliegen, damit sie noch rechtzeitig vor Jahresende in Vertragsform gegossen und von den verschiedenen Gremien in der EU genehmigt werden können.

Neben einem Freihandelsabkommen strebt die EU auch ein Abkommen über die künftige Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik an. Die Polizeibehörden und die Geheimdienste sollen weiterhin zusammenarbeiten und Daten austauschen können. Bei Sanktionen gegen Russland, Iran oder andere Staaten sollen die EU und Großbritannien weiter an einem Strang ziehen. Auch der britische Premierminister sprach sich in seiner Rede in London für eine außenpolitische Zusammenarbeit aus.

Politikum Plattfisch: Bis zum Sommer wollen die EU und Großbritannien ein erstes Abkommen aushandelnBild: picture-alliance/dpa/C. Meyer

Hochpolitische Fische

Bereits bis zum Sommer soll ein Fischereiabkommen ausgehandelt werden, das den Zugang zu britischen Gewässern von 2021 an regelt. Französische, belgische und niederländische Fischer wollen auch künftig in den fischreichen Gewässern rund um die britischen Inseln die Netze auslegen können. Premier Johnson will  "Kontrolle" über seine Küstengewässer und britischen Fangbooten Vorrang geben.

Allerdings verkaufen die britischen Fischer ihren Fang bislang hauptsächlich in der EU. Künftig wäre dann also der Marktzugang entscheidend. Vom Volumen her ist Fischerei in den Handelsbeziehungen zwischen EU und Großbritannien eher unbedeutend, aber politisch sei das Thema hochbrisant, heißt es aus der EU-Kommission. Frankreich zum Beispiel werde sehr darauf achten, wie sich die britische Regierung in dieser Frage verhalten wird.

Verhandlungen im März

Die erste Verhandlungsrunde zwischen den 27 EU-Staaten und dem ehemaligen Mitglied Großbritannien soll Anfang März beginnen. "Wir wollen Partner bleiben und in guter Absicht und transparent verhandeln", versicherte EU-Unterhändler Barnier. Anders als bei anderen Handelsgesprächen sollen sämtliche Dokumente zum Fortgang der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich ständig veröffentlicht werden. Die Präsidentin der EU-Kommission, die Deutsche Ursula von Leyen, hatte der DW am Freitag kurz vor dem Brexit gesagt, dass die EU auf ein Scheitern der Verhandlungen zum freien Handel vorbereitet seien. "Wir sind in einer starken Ausgangsposition", sagte von der Leyen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen