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PolitikEuropa

EU: AstraZeneca muss liefern

Bernd Riegert Brüssel
27. Januar 2021

Die EU-Kommission schwingt die moralische Keule gegen AstraZeneca, weil die Impfdosen nicht geliefert werden. Die Firma weist die Vorwürfe zurück. Ein Krisentreffen blieb ohne Ergebnis. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Appleton: Einsatz des AstraZeneca-Impfstoffs in Großbritannien
Einsatz des AstraZeneca-Impfstoffs in Großbritannien: Ertrag in EU-Braubehältern nicht so großBild: Jason Cairnduff/REUTERS

Ein weiteres Krisentreffen zwischen dem britisch-schwedischen Impfstoff-Hersteller AstraZeneca und der Europäischen Union brachte am Mittwochabend keine nennenswerte Annäherung. Das Gespräch mit dem Geschäftsführer von AstraZeneca sei "konstruktiv" gewesen, berichten Teilnehmer in Brüssel.

Der eskalierte Streit schwelt aber weiter, weil AstraZeneca-Chef Pascal Soirot keine konkreten Zusagen machen wollte. Die Europäische Union besteht weiter auf der Lieferung der vereinbarten Impfstoffmengen, auch wenn dafür weniger nach Großbritannien oder an andere Kunden verkauft werden könnte. 

Die EU wies vor dem Treffen die Darstellungen von AstraZeneca zur Vertragslage und Verzögerungen in der Produktion empört zurück. Die EU-Kommissarin für Gesundheit, Stella Kyriakides, wirkte erbost, als sie am Nachmittag ans Rednerpult im Pressesaal trat: "AstraZeneca muss liefern", sagte sie. "Die Firma hat eine moralische, gesellschaftliche und vertragliche Verpflichtung." Die bisherigen Antworten des Unternehmens seien "weder richtig noch hinnehmbar".

AstraZeneca-Chef Soirot hatte in einem Interview mit europäischen Tageszeitungen behauptet, es seien in dem Vertrag zur Lieferung eines Corona-Impfstoffs weder Mengen noch ein Zeitplan festgelegt worden. Der Vertrag mit der EU sei drei Monate nach dem Vertrag mit Großbritannien geschlossen worden. Aus diesem Grund liefen die Lieferungen in das ehemalige EU-Mitglied inzwischen auch reibungsloser als die Produktion für die EU.

Impf-Kommissarin Kyriakides: AstraZeneca hat eine moralische PflichtBild: Olivier Hoslet/Reuters

EU-Kommissarin Kyriakides ist mit dieser Erklärung nicht einverstanden. "In den Verträgen gibt es keine Vorrangklauseln für einzelne Länder, keine Hierarchie", sagte sie und wies darauf hin, dass zwei Fabriken in Großbritannien und zwei in der EU den Impfstoff produzierten. Es sei nirgends festgelegt, aus welcher Fabrik welches Land beliefert werde.

EU-Beamte räumten in einem Hintergrundgespräch aber ein, dass es bei der Entwicklung neuer Produkte durchaus üblich sei, keine konkreten Liefermengen und Termine in den Vertrag zu schreiben. "Wir haben in den Vertrag hineingeschrieben, was unter dem Zeitdruck einer Pandemie herauszuholen zu war", sagte ein hoher Brüsseler Beamter.

"Wir wollen den Impfstoff, keinen Streit"

Pascal Soirot hatte in dem Interview gesagt, seine Firma habe sich nur dazu verpflichtet, "nach besten Kräften" zu produzieren. Eine Vertragsstrafe bei Nicht-Lieferung ist offenbar nicht vorgesehen. Da die EU-Kommission mit Hinweis auf Geheimhaltungsklauseln den Vertrag mit AstraZeneca noch nicht veröffentlicht hat, ist für die Öffentlichkeit unklar, was im August 2020 konkret vereinbart wurde, als sich der Impfstoff noch in der Entwicklung befand.

Diese Geheimniskrämerei wird vor allem von Europaparlamentariern scharf kritisiert. Eine hohe EU-Beamtin, die mit dem Aushandeln der Verträge beschäftigt war, bekräftigte dagegen, dass es durchaus Möglichkeiten gebe, von AstraZeneca Geld zurückzufordern. Schließlich hat die EU die Produktion des Impfstoffes in der Firma mit 336 Millionen Euro vorfinanziert.

Die Beamtin machte aber klar: "Wir haben kein Interesse an einem Streit mit AstraZeneca. Wir wollen den Impfstoff und eine Lösung zusammen mit der Firma." Eine Auseinandersetzung vor Gericht würde zwei Jahre dauern. "Das ist die Pandemie vorbei und immer noch kein Impfstoff da."

Die EU-Kommission besteht darauf, dass AstraZeneca verpflichtet gewesen sei, ab Oktober 2020 den Impfstoff auf Verdacht zu produzieren, lange vor seiner eigentlichen Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA. Diese Zulassungsempfehlung wird an diesem Freitag erwartet.

Impfzentrum in Sunderland, Großbritannien: Genug Impfstoff von AstraZeneca vorhandenBild: Owen Humphreys/PA Wire/picture alliance

Führende Vertreter der EMA machten deutlich, dass der aktuelle Streit um die Produktion keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Prüfung des Impfstoffes habe. Die EU-Kommission räumte ein, dass es seit Anfang Dezember Zweifel an den Produktionsplänen von AstraZeneca gab. "Es lief nicht alles optimal, aber wir fühlten uns damals noch zuversichtlich", so eine EU-Beamtin.

Wird Großbritannien bevorzugt?

AstraZeneca hatte am vergangenen Freitag dann offiziell angekündigt, zunächst nur 31 Millionen Dosen und nicht die erwarteten 80 Millionen Impfdosen im ersten Quartal für die 27 EU-Staaten zu liefern. Geschäftsführer Soirot hatte die Verzögerungen damit erklärt, dass in Werken in Belgien und den Niederlanden der Ertrag in den "Braubehältern" nicht so groß sei wie ursprünglich angenommen. Das werde jetzt nachjustiert, brauche aber eben Zeit. Den Vorwurf von EU-Vertretern, AstraZeneca beliefere das Vereinigte Königreich bevorzugt und ohne Unterbrechungen, wies das Unternehmen zurück.

Der deutsche Europaabgeordnete und ausgebildete Arzt Peter Liese fand es in einem DW-Interview allerdings "verdächtig", dass Produktionsverzögerungen nur für Lieferungen in die EU aufträten. Die Impfstoffe für Großbritannien würden teilweise ja auf dem europäischen Kontinent hergestellt. 

Exporte sollen erfasst werden

Die EU-Kommission droht nun indirekt mit Exportkontrollen für Impfstoffe durch ein sogenanntes "Transparenz-Register". Pharma-Firmen sollen Ausfuhren von Impfstoffen aus der EU anmelden. Das könnte wiederum zu politischen Spannungen mit anderen Kunden wie Großbritannien oder den USA führen.

Experten halten es auch für rechtlich problematisch, einem Unternehmen vorschreiben zu wollen, Lieferverträge mit anderen Kunden nicht zu bedienen, um Lieferschwierigkeiten in der Europäischen Union zu beheben. Die EU habe nicht vor, Exporte von Impfstoff zu verbieten, sagte Gesundheitskommissarin Kyriakides. Sie wolle nur Transparenz schaffen.

Auffällig ist aber, dass auch ohne das Problem mit AstraZeneca, die Impfkampagne in der EU langsamer anläuft als in anderen Teilen der Welt. Israel, die USA und auch Großbritannien impfen offenbar schneller, während in vielen EU-Staaten über einen Mangel an Impfstoff von den bisher zugelassenen Herstellern BioNTech-Pfizer und Moderna geklagt wird.

Die spanische Hauptstadt Madrid kündigte an diesem Mittwoch an, die Impfkampagne wegen mangelnden Nachschubs für zwei Wochen aussetzen zu müssen. In Deutschland sind viele Impfzentren noch nicht in Betrieb. Die Impfung von über 80 Jahre alten Menschen und Pflegepersonal läuft langsamer als erwartet. Fast täglich muss sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den Mangel rechtfertigen.

Impfungen zu langsam?

Die EU hat für alle 27 Mitgliedsstaaten Lieferverträge mit sechs Impfstoff-Herstellern abgeschlossen, um insgesamt über 2,3 Milliarden Dosen kaufen zu können. Geimpft sind bislang 8,4 Millionen der rund 450 Millionen EU-Bürger.

Bei der jetzigen Impfgeschwindigkeit würde es über zwei Jahre dauern, bis jeder Impfwillige seine zwei Dosen bekommt. Als Ziel hatten die EU-Staats- und Regierungschefs aber angepeilt, bis zum Ende des Sommers  etwa 70 Prozent der Bevölkerung geimpft zu haben, weil nur so ein Ende der Pandemie erreicht werden kann.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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