1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

EU und London nähern sich noch nicht an

5. März 2020

Die erste Nach-Brexit-Verhandlungsrunde ist um. Der EU-Chefunterhändler sieht noch große Differenzen. Viel Zeit bleibt nicht, sich mit den Briten bei Handel, Fischerei und Reisen zu einigen. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Belgien | Brüssel feiert freundschaft zwischen Belgien und Großbritannien
Bild: Reuters/F. Lenoir

Vier Tage haben 120 Beamte aus Großbritannien und 120 Beamte aus der EU-Kommission in Brüssel in zehn Arbeitskreisen zusammengesessen, um über die künftigen Beziehungen nach dem Brexit zu verhandeln. Das Ergebnis dieser ersten Runde bewertete der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, nüchtern und mit einen warnenden Unterton: "Es ist keine Überraschung, dass wir so viele unterschiedliche Positionen haben. Manches ist aber wirklich sehr, sehr schwierig. Trotzdem glaube ich, dass wir noch ein gutes Abkommen für beide Seite erreichen können."

Man müsse sich in diesen Verhandlungen gegenseitig respektieren, warnte Barnier. Das Vereinigte Königreich habe viel Zeit damit zugebracht, in dieser Verhandlungsrunde auf seiner Unabhängigkeit zu bestehen. Das sei ja völlig in Ordnung, so der Unterhändler der EU, aber "wir fordern das Vereinigte Königreich auch auf, die Unabhängigkeit und Souveränität der EU zu achten."

Briten fordern Vertrauen

Der Chefunterhändler der britischen Regierung, David Frost, soll in dieser ersten Runde auf eine Reihe von roten Linien hingewiesen haben, die sich auch im offiziellen Verhandlungsmandat wiederfinden. "Wenn die Briten ihre Bedingungen setzen, tut die EU das natürlich auch. Die wirkliche Frage ist doch, was fangen wir an mit der neu gewonnenen Unabhängigkeit, um Handel und Reiseverkehr zu regeln", kommentierte Michel Barnier den Auftakt der Verhandlungen.

Die Unterhändler: Brite David Frost (li.) und EU-Vertreter Michel Barnier

Der britische Unterhändler Frost äußerte sich nicht öffentlich vor der Presse in Brüssel. Aus seiner Umgebung hieß es von Diplomaten, das Vereinigte Königreich lehne es vor allem ab, sich in einem Handelsabkommen mit der Europäischen Union auf eine Übernahme von EU-Standards und Wettbewerbsregeln einzulassen. Die EU müsse den Briten vertrauen, dass sie weiter hohe Standards bei Produkten und Dienstleistungen einhalten werden, meinte ein Diplomat. Man werde in vielen Bereichen sogar noch besser sein als die Europäer auf dem Kontinent.

EU besteht auf Regeln

Dieses Vertrauen fehlt EU-Unterhändler Barnier offenbar. Er besteht darauf, dass Standards und Wettbewerbsregeln Teil eines Handelsabkommens sein müssten. Das habe Premierminister Boris Johnson selbst mit den Staats- und Regierungschefs der EU im Oktober 2019 in einer politischen Erklärung zum Brexit festgelegt.

"Wir brauchen eine Vereinbarung über gleiche Spielregeln, um zu garantieren, dass die Versprechen, die Boris Johnson und die europäischen Führer in ihrer politischen Erklärung abgegeben haben, eingehalten werden. Alle unfairen Vorteile im Wettbewerb sollen vermieden werden." Barnier will außerdem nicht zehn verschiedene Abkommen in allen möglichen Sektoren abschließen, sondern ein umfassendes Abkommen. Das lehnt die britische Seite bislang ab.

Faszinierender Fisch: Großbritanniens Premier Johnson sieht ihn als Test für UnabhängigkeitBild: Getty Images/B. Stansall

Heikel sind nach wie vor die Fischereirechte. Die Briten bestehen darauf, diese in ihren neu gewonnenen Küstengewässern jährlich an Franzosen, Belgier oder Dänen zu vergeben. Michel Barnier weist auch dieses Ansinnen zurück und verlangt langfristige Fischereirechte für Trawler aus der EU im Tausch gegen Marktzugang für britischen Fisch in die Europäische Union. Ob es gelingt, über den Fisch wie geplant bis zum Juli ein Abkommen auszuhandeln, ist fraglich.

Dichter Zeitplan

Das umfassende Handelsabkommen soll bis zum Jahresende in Kraft treten. Alle zwei bis drei Wochen wollen die Parteien sich jetzt abwechselnd in London und Brüssel zu Beratungen treffen. Die Reisen der Delegationen zwischen den beiden Stätten sollen trotz möglicher Infektionsgefahr durch den Corona-Virus wie geplant stattfinden.

Im Sommer soll eine erste Bilanz gezogen werden. Wenn es bis dahin keine ausreichenden Fortschritte gibt, will der britische Premier Boris Johnson die Gespräche abbrechen und doch noch einen "harten" Brexit am 1. Januar 2020 in Kauf nehmen. Dann endet die mit der EU vereinbarte Übergangsfrist, die Michel Barnier am liebsten verlängern würde, um mehr Zeit zu haben.

Etwas pikiert zeigte sich Unterhändler Barnier in Brüssel darüber, dass Großbritannien in seinen parallelen Handelsgesprächen mit den USA offenbar ein Abkommen über Wettbewerbsregeln und Standards anbieten will, der EU aber nicht. "Viel Glück bei den Verhandlungen mit Herrn Trump", wünschte Barnier den Briten spöttisch, wohl wissend, dass die Gespräche der EU mit den USA über die Vermeidung von Zöllen sehr zäh verlaufen. Faire Bedingungen für beide Seiten sind nach den Erfahrungen der Europäer das Letzte, was das Weiße Haus bei Handelsgesprächen im Sinn hat.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen