EU-USA: Bidens Gastgeschenk
15. Juni 2021"Seid ihr noch nicht müde, mich zu sehen?", scherzte US-Präsident Joe Biden als er mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Mittag in Brüssel zusammentraf. Er hatte beide schon beim G7-Gipfel am Wochenende in Cornwall gesehen. Doch von Müdigkeit seitens der EU-Spitzen kann keine Rede sein. Immerhin geht es an diesem sechsten Tag von Bidens Europareise um die Reparatur der amerikanisch-europäischen Beziehungen, die in den Trump-Jahren schwer gelitten hatten.
Langjähriger Handelsstreit auf Eis gelegt
Der Kampf um die Unterstützung der Flugzeugbauer Airbus und Boeing durch ihre jeweiligen Regierungen hatte seit 2004 das Klima zwischen beiden Seiten vergiftet. Rund elf Milliarden US-Dollar Strafzölle belasteten in der Folge den beiderseitigen Handel. Sie trafen zum Beispiel französischen Wein und amerikanische Traktoren, Unternehmen also, die nichts mit dem Flugzeugbau zu tun haben.
Im Kern dieses längsten und teuersten Handelsstreits zwischen zwei WTO-Mitgliedern stehen die Vorwürfe, den jeweiligen Flugzeugbauern unfaire und unerlaubte Wettbewerbsvorteile verschafft zu haben. Die Europäer beschuldigten die USA, sie würden Boeing durch Steuerausnahmen und riesige Militärkontrakte unterstützen. Umgekehrt erklärte Washington, die an Airbus beteiligten Mitgliedsländer würden dem Unternehmen Kredite gewähren, die als unerlaubte Staatshilfen gelten müssten.
Jetzt einigte man sich darauf, den Kampf um die Flugzeugbauer für fünf Jahre auf Eis zu legen. In dieser Zeit soll die rechtlich komplizierte Lösung dafür erarbeitet werden, wie die Unternehmen künftig ohne offensichtliche Staatshilfe produzieren können und wie der faire Wettbewerb gewahrt werden soll. "Dies eröffnet wirklich ein neues Kapitel unserer Beziehungen, weil wir von Rechtsstreitigkeiten zur Zusammenarbeit übergehen", freute sich Kommissionspräsidentin Von der Leyen.
Denn die Einwilligung des US-Präsidenten in diese Lösung ist nicht nur eine Geste des guten Willens: Beide Seiten müssen künftig auf Kooperation setzen, wenn sie gegen aufstrebende chinesische Flugzeughersteller am globalen Markt bestehen wollen. Diese nämlich werden von der Regierung in Peking ganz offen unterstützt. "Statt mit einem unserer engsten Partner zu kämpfen, kommen wir endlich gegen eine gemeinsame Bedrohung zusammen", erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Die nächsten fünf Jahre würden genug Vertrauen schaffen, um den Dauerstreit zu bereinigen.
Eine lose-lose Situation
"Das sind großartige Nachrichten für europäische und US-Unternehmen, die in einem Teufelskreis von Sanktionen und Gegenmaßnahmen gefangen waren. Die Vereinbarung ist umso wichtiger, weil die Effekte der Covid-Pandemie noch unsere Volkswirtschaften schädigen", erklärt der handelspolitische Sprecher der EVP im Europaparlament, Christoph Hansen. Es sei für beide Seiten eine lose-lose Situation gewesen.
Und sein sozialdemokratischer Kollege Bernd Lange sagt, man könne sich jetzt den Herausforderungen stellen, die durch die Flugzeugproduktion in nicht-marktwirtschaftlichen Ländern entsteht: "Diese Vereinbarung zeigt, dass die transatlantische Partnerschaft zurück ist." Er hoffe, dass jetzt auch noch die verbleibenden US-Zölle auf Stahl und Aluminium aufgehoben würden.
Denn so weit ist man in den Verhandlungen noch nicht gekommen. "Gebt mir Zeit, ich bin erst 120 Tage im Amt", hatte Joe Biden dazu auf Reporterfragen geantwortet. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll jetzt Lösungen zur Abschaffung dieser Zölle erarbeiten. Dann muss der US-Präsident sie erst einmal im Kongress verkaufen. Dabei könnte er auf Widerstand stoßen, denn die Zölle sind bei einigen amerikanischen Firmen ziemlich beliebt.
Es geht um China und Russland
Wie schon beim G7-Treffen und auch am Montag bei der NATO deutlich geworden war, verfolgt der US-Präsident eine sehr viel härtere politische Linie gegenüber China als die Europäer. Die Idee der Partnerschaft tritt dabei zurück, die Betonung der Rivalität und der Bedrohung durch eine zunehmend als aggressiv gesehene chinesische Regierung überwiegen.
Die EU wiederum will einen kalten Krieg mit China vermeiden, weil einige ihrer Volkswirtschaften, allen voran die deutsche, stark auf Exporte dorthin angewiesen sind. Andererseits wollen die Europäer eine gewisse Solidarität mit Washington demonstrieren. Man wolle durchaus Druck auf China ausüben, "wenn es das politische System selbst betrifft", erklärte Kommissionspräsidentin Von der Leyen. "Die Menschenrechte, da sind wir zweifellos systemische Rivalen." In diesem Bereich lägen die wesentlichen Probleme zwischen beiden Seiten.
Und während Joe Biden bereits auf dem Weg zum Flughafen war, um am Mittwoch in Genf den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen, beschwor Ursula von der Leyen die Gemeinsamkeit gegenüber Russland. "Die Beziehung zwischen der EU und Russland ist derzeit in einer mehr negativen Spirale. Wir würden das gern in eine verlässlichere Beziehung verwandeln. Dabei gibt es drei Aspekte: Scharfe Gegenmaßnahmen, wenn internationales Recht gebrochen wird, die Eindämmung von Russlands Versuchen, uns zu unterminieren, und sich da zu engagieren, wo es möglich ist, etwa bei der Pandemiebekämpfung."
Ein Unterschied wie Tag und Nacht
Der frühere EU-Botschafter in Washington, David O'Sullivan, nannte das Treffen mit Joe Biden im Gespräch mit der DW einen "großen Erfolg und einen riesigen Wandel in Ton und Stil". Nach vier Jahren, in denen die Europäer von Trump angeschrien worden seien, gebe es jetzt einen Präsidenten, der das transatlantische Bündnis schätze ebenso wie die multilateralen Institutionen G7 und NATO.
Dabei gebe es auch Änderungen in der Substanz: Biden sei wieder in das Pariser Klimaabkommen eingestiegen und habe sich für das Atomabkommen mit dem Iran an den Verhandlungstisch gesetzt, das Präsident Trump aufgekündigt hat. Er engagiere sich für den weltweiten Kampf gegen die Pandemie: "Dies ist ein neues Amerika", sagte O'Sullivan. Natürlich gebe es weiterhin Probleme, auch die ungerechten Zölle auf die Exporte von Stahl und Aluminium, über die sich die EU besonders geärgert habe. Aber der Unterschied zwischen Joe Biden und Donald Trump sei für die Europäer "wie der zwischen Tag und Nacht".