EU vereinbart Migrationsabkommen mit dem Libanon
8. Mai 2024Wie lässt sich die Zahl der Flüchtenden verringern, die auf eigene Faust versuchen, ohne Erlaubnis in die Europäische Union (EU) zu kommen? Die Antwort auf diese Frage beschäftigt die Staats- und Regierungschefs der EU seit Jahren. Ihre neueste Antwort darauf lautet: Mit Migrationsabkommen.
Nun ist Kommissionschefin Ursula von der Leyen gemeinsam mit dem Präsidenten von Zypern, Nikos Christodoulidis, nach Beirut gereist, um ein solches Abkommen mit dem Libanon zu schließen.
Christodoulidis hatte zuvor Alarm geschlagen: Sein Land sei "nicht länger in der Lage, noch mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen". Allein seit Anfang 2024 hätten rund 4000 Menschen irregulär die Insel im östlichen Mittelmeer erreicht - im ersten Quartal des Vorjahres seien es lediglich 78 gewesen. Die Flüchtlingslager seien überfüllt, erklärte Christodoulidis - erst kürzlich hatte er seine Behörden angewiesen, keine Asylanträge syrischer Flüchtlinge mehr zu bearbeiten.
Warum will die EU den Libanon unterstützen?
Seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien 2011 hat der Libanon mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen. Von Tripolis im Norden des Landes bis nach Larnaka auf Zypern sind es rund 200 Kilometer Luftlinie. Immer wieder versuchen syrische Flüchtlinge, diese Strecke per Boot zu überwinden.
Der Libanon selbst steckt in einer schweren Wirtschaftskrise; zudem sorgt sich Brüssel, dass sich der Krieg im Gazastreifen auch auf den Libanon auswirken könnte - insbesondere, wenn der Konflikt zwischen der israelischen Armee und der radikalislamischen Hisbollah im Südlibanon eskalieren sollte. Dann, so die Sorge, könnten noch mehr Menschen aus dem Libanon in Richtung Europa fliehen.
In der vergangenen Woche hatte Libanons Premier Nadschib Mikati die EU aufgefordert, seinem Land bei der "Rückführung syrischer Flüchtlinge" zu helfen. Er forderte auch "mehr Unterstützung für die Streitkräfte und Sicherheitsdienste" sowie für "Entwicklungs- und Investitionsprojekte in den Bereichen erneuerbare Energien, Wasser und nachhaltige Entwicklung".
Migrationsabkommen: Geld für die Aufnahme Geflüchteter
Die EU ist bereit, dem Libanon hierbei unter die Arme zu greifen - und fordert als Gegenleistung, dass Beirut mehr dafür tut, Flüchtende von der Fahrt über das Mittelmeer abzuhalten. Ursula von der Leyen setzt dabei auch auf eine "freiwillige Rückkehr" von Menschen nach Syrien. Eine Milliarde Euro will sie Beirut zahlen - als "mehrjährige finanzielle und politische Unterstützung" bis 2027.
Solche Abkommen hat die EU bereits mit einigen Staaten Nordafrikas geschlossen: Dabei zahlt sie den wirtschaftlich angeschlagenen Staaten teilweise Milliarden. Verträge bestehen etwa mit Mauretanien oder Tunesien.
Erst Mitte März hatte die EU einen weiteren Deal mit Ägypten geschlossen. Demnach erhält Kairo innerhalb von vier Jahren 7,4 Milliarden Euro aus Brüssel - als Kredite, aber auch als Investitionen etwa in grüne Technologien oder in die Digitalisierung des Landes. Als Gegenleistung soll das Land stärker gegen Schlepper und Menschenhändler vorgehen und seine Grenzen zum Sudan und zu Libyen besser schützen.
Südeuropa fordert mehr Flüchtlingsdeals
Besonders Zyperns Präsident Christodoulidis hat das neue EU-Abkommen mit dem Libanon vorangetrieben. "Wir wollen dem Libanon helfen, mit den Flüchtlingen umzugehen, damit nicht noch mehr nach Zypern kommen", erklärte er vergangene Woche in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Christodoulidis bekommt breite Unterstützung aus anderen EU-Staaten an der Mittelmeerküste. Die Innenminister Spaniens, Griechenlands, Italiens, Maltas und eben auch Zyperns hatten vor einer Woche gemeinsam gefordert, dass die EU die Vereinbarungen mit wichtigen Herkunftsländern "erweitert und vertieft", um die "irreguläre Einwanderung einzudämmen".
Manche Staaten der EU drängen sogar darauf, Teile des vom Bürgerkrieg zerrissenen Syriens als "sichere Herkunftsregionen" zu deklarieren, um Geflüchtete dorthin zurückzuschicken.
"Europa macht sich mit Migrationsabkommen erpressbar"
Insbesondere Menschenrechtsorganisationen kritisieren das jedoch scharf. Internationale Organisationen wie Amnesty International haben in der Vergangenheit ausführlich dokumentiert, wie zurückgekehrte Flüchtlinge in Syrien getötet, gefoltert, vergewaltigt und willkürlich festgenommen wurden. Auch der Libanon selbst sei kein sicheres Land für syrische Flüchtlinge, warnt Fadel Abdul Ghany, der Leiter des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte. Die Flüchtlinge würden diskriminiert, ausgebeutet und teils zum Sündenbock für die verheerende wirtschaftliche Lage im Land gemacht, sagte Ghany der in London herausgegebenen Zeitung "The New Arab".
Der Grünen-Europaparlamentarier Erik Marquardt kritisiert die Migrationsabkommen als "unwürdige Geldkoffer-Politik", durch die sich Europa von "nicht verlässlichen Partnern" erpressbar mache. "Wenn es keine Kontrolle über die Verwendung von Geldern durch Diktatoren gibt, sollte es kein Geld geben", erklärte er mit Blick auf die Abkommen mit Tunesien und Ägypten. Zudem gehe es bei den Flüchtlingsdeals nicht darum, die Menschenrechtslage in den Vertragspartnerstaaten selbst zu verbessern.
Zwar ist der Libanon keine Diktatur. Aber das Land befindet sich nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch in einer tiefen Krise. Seit 2022 hat das Land keinen Präsidenten, der Regierungschef ist nur geschäftsführend im Amt. De facto hat die Hisbollah die Kontrolle über weite Landesteile übernommen. Ob die Interimsregierung tatsächlich garantieren kann, dass das Abkommen auch eingehalten wird und die EU-Gelder nicht versickern, ist ungewiss.
Zudem kritisierten Menschenrechtsorganisationen in der Vergangenheit wiederholt, dass Flüchtlinge durch solche Abkommen nicht von einer Überfahrt Richtung Europa abgehalten, sondern nur auf immer gefährlichere Routen abgedrängt würden.