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PolitikEuropa

EU verhandelt nach langem Zögern

19. Juli 2022

Es hat lange gedauert, doch jetzt hat die EU ihr Versprechen eingelöst. Mit Albanien und Nordmazedonien wird über eine Mitgliedschaft verhandelt. Nur: Auch das kann wieder lange dauern. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Brüssel Albanien und Nord-Mazedonien starten EU-Beitrittsverhandlungen | Dimitar Kovacevski und Edi Rama
Hand drauf auf den weiteren Beitrittsprozess: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen grüßt Edi Rama (Albanien) (Mi.) und Dimitar Kovacevski (Nordmazedonien)Bild: Virginia Mayo/AP/picture alliance

Auf diesen Moment hatte Albanien zehn, Nordmazedonien sogar 17 Jahre lang hingearbeitet. So lange sind die beiden Länder bereits EU-"Beitrittskandidaten". Heute begannen in Brüssel mit zwei Regierungskonferenzen aller Mitgliedsstaaten die formellen Beitrittsverhandlungen. Es war viel zu hören von historischen Schritten, gemeinsamer Zukunft und Dankbarkeit in den Reden der Regierungschefs der beiden Länder und der EU-Kommissionspräsidentin.

Nach den Festreden ging es gleich an die Arbeit. Die Beamten der EU-Kommission und die Verhandlungsteams von Nordmazedonien und Albanien begannen damit, die 35.000 Seiten an EU-Gesetzen zu prüfen, um zu sehen, was von den Kandidaten noch übernommen und umgesetzt werden muss. Wenn dieses sogenannte "Screening" in einigen Wochen abgeschlossen sein wird, können die ersten der 35 thematischen Verhandlungskapitel eröffnet werden. Sobald alle Kapitel einvernehmlich, mit Zustimmung aller Mitgliedsstaaten, abgehandelt worden sind, kann der eigentliche Vertrag zum Beitritt in die EU verfasst werden. Erst wenn dieser unterschrieben und von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert worden ist, werden Nordmazedonien und Albanien tatsächlich volle Mitglieder der Gemeinschaft. Dieser Verhandlungsprozess ist so komplex, dass er sicher mehrere Jahre dauern wird. Am schnellsten war bisher Finnland mit nur drei Jahren Verhandlungsdauer. Die Türkei hingegen verhandelt bereits seit 2005 ohne nennenswerte Fortschritte.

Gleich an die Arbeit: Tausende Seiten von Rechtstexten müssen durchforstet werden im Ratsgebäude der EUBild: Government of North Macedonia

Schnelle Verhandlungen versprochen

Der für die Verhandlungen zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi versprach in Brüssel, das Tempo für den Beitritt deutlich zu erhöhen. "Das ist heute das Ende eines sehr langen Prozesses. Es ist der Beginn einer neuen Phase, die wir sehr viel schneller absolvieren wollen." Der albanische Ministerpräsident Edi Rama zeigte sich zufrieden, dass die "absurde" Phase des Wartens für sein Land jetzt endlich vorbei sei. Rama sah sein Land als "Geisel" der Konflikte, die das Nachbarland Mazedonien, das später in "Nordmazedonien" umbenannt wurde, erst mit Griechenland und dann mit Bulgarien auszufechten hatte. Allerdings hatten auch die Niederlande, Dänemark und Frankreich jahrelang Bedenken gegen Beitrittsverhandlungen mit Anwärter Albanien.

In den ersten Jahren ihrer Bewerberphase mussten Mazedonien und Albanien Dutzende Reformen umsetzen, um Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, eine unabhängige Justiz aufzubauen, staatliche Verwaltungen zu stärken, organisiertes Verbrechen und Korruption zu bekämpfen. "Das ist der Erfolg ihrer Bürger. Sie haben so hart gearbeitet, um an diesen Punkt zu kommen", lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die jahrelangen Bemühungen. "Sie habe unzählige Reformen durchgezogen und ihre Staaten modernisiert." Mazedonien hat dann 2019 sogar griechischen Forderungen nachgegeben und seinen Staatsnamen in Nordmazedonien geändert, weil die Griechen den alten Namen für ihre nördliche Provinz reklamierten. Griechenland konnte sein Veto einlegen, weil Beschlüsse in Beitrittsfragen in der EU einstimmig fallen müssen.

Lange Vorbereitungen: EU-Kommissar Varhelyi (2.v.re) in Nordmazedoniens Hauptstadt SkopjeBild: Government of North Macedonia

Bulgarien blockierte zuletzt, aber nicht allein

Auf die gleiche Idee kam dann auch Bulgarien. Weil die Bulgaren die Eigenständigkeit der mazedonischen Sprache anzweifelten und Minderheitenrechte für eine kleine Gruppe von Bulgaren in Nordmazedonien reklamierten, verzögerten sich die Aufnahmegespräche für Nordmazedonien und Albanien noch einmal um zwei Jahre. Nordmazedonien und Albanien wurden von der EU-Kommission immer als "Beitrittsbündel" betrachtet, was Albaniens Premier Edi Rama nicht nur einmal wutschnaubend als Geiselnahme kritisierte. Allerdings legten die Niederlande erneut ein Veto gegen Beitrittsverhandlungen mit Albanien ein, weil sie mehr Anstrengungen beim Kampf gegen Bandenkriminalität verlangten. Dieser Konflikt konnte ausgeräumt werden. Genauso wie der emotionale Disput zwischen Bulgarien und Nordmazedonien um die nationale und kulturelle Identität. Beim EU-Gipfel und beim NATO-Gipfel Ende Juni vermittelte die französische EU-Ratspräsidentschaft einen Kompromiss, dem erst das bulgarische und schließlich knapp auch das nordmazedonische Parlament vergangene Woche zustimmten.

Reformen einfordern und hinhalten: EU-Kommissar Varheyli (li) bei Albaniens Premier RamaBild: Ani Ruci/DW

Der EU-Kommissar für Erweiterungsfragen, Oliver Varhelyi, appellierte in Brüssel an die Nordmazedonier, nun auch den internen Streit um den Kompromiss mit Bulgarien beizulegen. "Ich bin sehr hoffnungsvoll, das von jetzt an alle politische Parteien, einschließlich der Opposition, an einer europäischen Zukunft mitarbeiten, keine neuen Kontroversen starten, keine Gefühle überschäumen lassen, die das Land nicht weiterbringen", sagte Varhelyi. Die Warnung kommt nicht von ungefähr, denn das Kompromisspapier mit Bulgarien hat einen Haken. Es erfordert eine Verfassungsänderung. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit hat die nordmazedonische Regierung derzeit im Parlament aber nicht. Die EU-Kommission soll nun überprüfen, ob die Verfassung tatsächlich geändert werden muss. Kritiker halten diesen Vorgang für ein "bulgarisches Diktat."

Die Mehrheiten sind knapp: Proteste vor dem Parlament Nordmazedoniens gegen den Kompromiss mit Bulgarien Bild: Petr Stojanovski

Mazedonisch wird anerkannt

Der nordmazedonische Ministerpräsident Dimitar Kovacevski machte in seiner Pressekonferenz immer und immer wieder klar, dass den nationalen Interessen Nordmazedoniens Rechnung getragen werde. "Ich konnte in der Regierungskonferenz in mazedonischer Sprache sprechen", sagte Dimitar Kovacevski. "Die mazedonische Kultur und Identität werden erhalten. Die EU akzeptiert unsere Sprache." Mazedonien sei wie ein kleines Europa, schwärmte Kovacevski. "Ein multiethnischer Staat, in Vielfalt geeint." Die Präsidentin der EU-Kommission sicherte zu, dass die Sprache Nordmazedoniens voll gleichberechtigte Amtssprache der EU werde. Bulgarien hatte bis zuletzt darauf bestanden, dass Mazedonisch eher ein bulgarischer Dialekt sei.

Objekt der Sehnsucht: Den EU-Vertrag wollen Albanien und Nordmazedonien bald unterschreibenBild: EC AV Service

Der Traum lebt

Der nordmazedonische Ministerpräsident Dimitar Kovacevski versprach, dass man die Region gemeinsam entwickeln und voranbringen wolle. "Ein 30 Jahre alter Traum wird wahr", so Kovacevski, der eine Steigerung des Lebensstandards und mehr Investitionen in Nordmazedonien während der nun begonnenen Verhandlungsphase voraussieht. "Die Albaner haben den Traum, den europäischen Weg zu gehen, nie aufgegeben", ergänzte Edi Rama, der Regierungschef Albaniens. Nach dem Erdbeben von 2019, zwei Jahren Pandemie und dem russischen Krieg gegen die Ukraine sei der Beginn der Beitrittsverhandlungen ein positiver Schub. "Wir brauchen das, um ein stärkeres, demokratisches Albanien und einen stärkeren westlichen Balkan zu bauen."

Der ehemalige Europaabgeordnete Hannes Swoboda, Präsident des "Instituts für Internationalen Frieden" in Wien, sieht es ähnlich. Der Moment sei ideal, um dem Erweiterungsprozess für den Balkan neuen Schwung zu geben und auch Rumänien und Bulgarien in die Schengen-Zone aufzunehmen. "Solche couragierten Schritte", schreibt Swoboda in seinem Blog, "würden Russland und China das klare Signal geben, dass der westliche Balkan für ihre Konfrontation mit dem Westen und der EU keinen Raum lässt."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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