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EU verlängert Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat

16. November 2023

Das Pestizid Glyphosat wird weltweit gespritzt. Die internationale Agentur für Krebsforschung hält es für wahrscheinlich krebserregend. Die EU-Kommission lässt es dennoch für weitere zehn Jahre in der EU zu.

Protestaktion von Greenpeace in Wein gegen Glyphosat vor dem Gebäude des Nationalrat. Personen in gelber Schutzkleidung mit Schutzmaske und Spitzgerät.
Protestaktion gegen das Pflanzengift Glyphosat in Wien: Eine weitere Zulassung ist in Europa umstritten Bild: Roland Schlager/APA/picture alliance

Es war die Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten, die nun dafür sorgt, dass das Herbizid Glyphosat auch in den kommenden zehn Jahren in der EU gespritzt werden darf. Weil sich in einem EU-Berufungsausschuss weder genug EU-Staaten für noch gegen einen weiteren Einsatz des Mittels ausgesprochen hatten, konnte die EU-Kommission im Alleingang eine Entscheidung treffen - so sieht es das EU-Recht vor. 

Die derzeitige EU-weite Zulassung wäre Mitte Dezember ausgelaufen. Streit gibt es unter anderem darüber, ob Glyphosat krebserregend ist. Zudem stehen Gefahren für die Umwelt im Raum.

Es werde aber neue Auflagen und Einschränkungen geben, teilte die EU-Kommission in Brüssel mit. Zudem seien die Mitgliedstaaten für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel zuständig. Sie könnten deren Verwendung weiterhin auf nationaler und regionaler Ebene einschränken. 

Deutschland: widersprüchliche Haltung zu Glyphosat

Die deutsche Regierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, Glyphosat in Deutschland bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. In den EU-Verhandlungen zu Glyphosat hatte sich Deutschland aber enthalten, weil sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte. Das von den Grünen geführte Bundeslandwirtschaftsministerium war gegen eine erneute Zulassung. Der Regierungspartner FDP hatte den Vorschlag der Kommission dagegen begrüßt. 

Umfragen in sechs EU Ländern ergaben: mehr als 60 Prozent der Befragten waren gegen eine weitere Zulassung des umstrittenen Pestizids. Die internationale Nichtregierungsorganisation Greenpeace warnt vor "negativen Folgen für die Gesundheit von Menschen und Umwelt" und  fordert ein Verbot. Andere Umweltverbände klagen wegen Gesundheitsgefahren gegen Pestizidhersteller und mangelnde Aufsichtspflicht der Zulassungsbehörden. 

Was ist Glyphosat? 

Verbreitet wurde Glyphosat durch Monsanto ab 1974. Der US-Chemiekonzern mischte die organische Phosphorverbindung mit weiteren Stoffen und verkaufte das Pflanzengift als Unkrautvernichter unter dem Namen Roundup.

Glyphosat wird auch als Totalherbizid bezeichnet, es lässt Pflanzen absterben. Wo Glyphosat versprüht wird, wächst kein Gras, Strauch oder Moos mehr. Das Mittel wird vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, um ein Feld frei von anderen Pflanzen wie etwa Wildkräutern zu halten, bevor darauf Nutzpflanzen ausgesät werden. Diese wachsen besser ohne diese Konkurrenz.

Hergestellt werden glyphosathaltige Pestizide inzwischen von mehreren Dutzend Chemieunternehmen weltweit. Die deutsche Bayer AG übernahm 2018 Monsanto und hat im globalen Ranking "eine führende Position", sagt Bayer-Pressesprecher Utz Klages der DW.

Besonders gefährdet durch Pestizide sind Menschen in der Landwirtschaft im globalen Süden

Was ist das Problem mit Glyphosat?

Durch das Abtöten von Wildpflanzen auf den Feldern fehlt zum einen Insekten der Lebensraum und damit beispielsweise Vögeln die Nahrung. "Das Herbizid zerstört die Nahrungsgrundlage für Tiere", erklärt Jörn Wogram, Leiter vom Fachgebiet Pflanzenschutzmittel beim Umweltbundesamt gegenüber der DW und damit bedrohe Glyphosat neben anderen Pestiziden die Artenvielfalt.

Das Pflanzengift wirkt zusammen mit seinen Beistoffen aber auch laut Studien auf die Bodenorganismen, auf Bakterien, verändert Erbgut, das Nervensystem und kann so auch direkt zu schwerwiegenden Schäden bei Tieren und Menschen führen. Eine Studie der Universität Ulm stellte zum Beispiel massive Fehlbildungen bei Kaulquappen fest, mit Störungen am Gehirn, Herz, Augen, Schädelknorpel und Körperform durch das Spritzmittel. 

Verbreitet wird das Gift über die Luft beim Spritzen, dringt in den Boden ein, es verunreinigt Oberflächengewässer, das Grundwasser und befindet sich in Lebensmittelnim Urin und der Muttermilch.

In großen Mengen werden zum Beispiel bei der Sojaproduktion glyphosathaltige Pestizide gespritzt mit gesundheitlichen Folgen für die Menschen, wie zum Beispiel in Argentinien: "Wir können ganz klar sehen, dass die Menschen durch Glyphosat kränker werden: In bestimmten ländlichen Regionen haben sie drei Mal häufiger Krebs", sagt Medardo Ávila Vázquez, Arzt an der Uniklinik für Entbindungen und Neonatologie in Cordoba (Argentinien) und Coautor einer diesbezüglichen Krebsstudie. 

Zudem erhöhte sich durch den Einsatz von Glyphosat in den Sojaanbaugebieten laut einer weiteren Studie die Zahl von Fehlgeburten um das Zwei- bis Dreifache. Und durch Schäden im Erbgut "vervierfachte sich die Zahl der Missbildungen", berichtet Ávila Vázquez im DW-Interview.

Auch andere Studien belegen Veränderungen im Erbgut. "Wir wissen: Glyphosat wirkt genotoxisch. Viele Studien bestätigen das, Studien mit Menschen und mit Tieren. Je höher das Expositionsniveau und je länger der Zeitraum, desto höher das Risiko. Das haben wir festgestellt", sagt die Krebsforscherin Luoping Zhang von der US-Universität Berkeley. 

Zhang wertete Krebsstudien im Zusammenhang mit Glyphosat aus, vor allem Arten von Lymphdrüsenkrebs, Non-Hodgkin-Lymphome genannt. "Menschen, die Glyphosat oder glyphosatbasierten Herbiziden ausgesetzt sind, haben ein 41 Prozent höheres Risiko, an einem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken. Das ist das Hauptergebnis unserer Studie", so Zhang gegenüber der DW. 

Andere unabhängige Studien belegen, dass Glyphosat das Nervensystem schädigen und es so zu einer Erkrankung mit Parkinson führen kann, dass Glyphosat auch Mikroorganismen schädigt und sich so die lebenswichtige Zusammensetzung der Darmbakterien verändern kann, mit Auswirkungen auf die Gesundheit und dies besonders bei heranwachsenden Lebewesen auch bei sehr niedrigen und bislang zulässigen Dosen.

Wie reagieren Zulassungsbehörden auf Glyphosat-Studien? 

Die internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) kam 2015 auf Grundlage von unabhängigen und veröffentlichten Studien zu dem Ergebnis, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist.

Zuständig für die Zulassung von Glyphosat sind jedoch nationale Behörden und diese verlassen sich fast ausschließlich auf die Angaben der Pestizidhersteller. Deren Studien sind allerdings nicht öffentlich und werden somit auch nicht von unabhängigen Instituten überprüft. Wissenschaftler kritisieren diese Zulassungspraxis schon lange als "wissenschaftlich inakzeptabel". 

Kürzlich hatte die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Glyphosat bewertet und stellte keine inakzeptablen Gefahren durch Glyphosat für die Gesundheit  von Menschen und Tieren fest. Sie wies allerdings auch auf Datenlücken in mehreren Bereichen hin. Zu den Aspekten, die nicht abschließend geklärt wurden, gehören laut Efsa etwa ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen. Auch mit Blick auf den Artenschutz ließen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu.

Von unabhängigen Wissenschaftlern gibt es entsprechende Kritik. Die Behörde verlasse "in ihrer Beurteilung die wissenschaftliche Ebene", sagt der Toxikologe Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk PAN. In einem aktuellen Brief an die EU-Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Stella Kyriakides,, dokumentieren Experten von PAN, wie Studien zur Krebsbildung und DNA-Schäden von den europäischen Aufsichtsbehörden nicht berücksichtigt wurden und sehen eine "rücksichtslose Missachtung der Pflicht zum Schutz der öffentlichen Gesundheit- und des Umweltschutzes" durch die Aufsichtsbehörden.

Die Deutsche Umwelthilfe reichte deshalb auch mehrere Klagen gegen die Aufsichtsbehörden ein. 

Zudem reichten mehrere Umweltverbände eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Wien gegen Bayer und Glyphosat Renewal Group ein. Sie werfen dem Chemiekonzern vor kritische Studien über Gesundheitsrisiken des Pestizids im Zulassungsantrag zurückgehalten zu haben. Bayer weist die Anschuldigungen laut Tageszeitung taz zurück.

Was würde das Ende von Glyphosat in der EU verändern? 

Für Toxikologen, Gesundheitsexperten, Umweltschützer, einen Teil der Landwirte und Behörden wäre das Ablaufen der Zulassung in der EU ein Gewinn für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen. 

In der Landwirtschaft würde dies "notwendige progressive Veränderungen in Gang setzen, wenn es mit flankierenden Maßnahmen verbunden wird", sagt Toxikologe Clausing der DW. "Als einseitige, isolierte Maßnahme hätte ein Glyphosatverbot jedoch das Potenzial, die Krise der konventionellen Landwirtschaft zu verstärken."

Wichtig finden die Befürworter eines Verbots, dass Landwirte bei der Umstellung unterstützt und EU-Finanzmittel entsprechend umgelenkt werden. Landwirte sollen gefördert werden, Lebensmittel nachhaltig zu produzieren, das schütze "die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit", sagt Clara Bourgin, Expertin für Ernährung und Landwirtschaft von Friends of the Earth Europe, dem Dachverband von Europas Umweltorganisationen in Brüssel. 

"Der Öko-Landbau zeigt, dass ein Wirtschaften ohne Herbizide wie Glyphosat gut möglich ist, und hat zahlreiche Innovationen entwickelt, wie ohne diese gut gewirtschaftet werden kann", betont Saskia Horenburg vom Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft im Gespräch mit der DW. Dazu gehörten beispielsweise neue Getreidesorten, die mit ihren Blättern viel Schatten erzeugen und so den Aufwuchs von Unkräutern "unterdrücken", erklärt Horenburg, sowie auch mit GPS-gestützte Landmaschinen. Diese wissen, wo die Nutzpflanzen wachsen und entfernen automatisiert "gezielt die Unkräuter."

Wildpflanzen können ohne Chemie auch inzwischen mit Feldrobotern beseitigt werden: Dieser hier bekommt seine Energie von Solarzellen auf dem Dach, gesteuert wird er mit GPS Bild: Nikolai Tuborg/Farmdroid

Was würde die erneute Zulassung von Glyphosat bedeuten?

Für Chemieunternehmen wie Bayer ist der Verkauf von Pestiziden wichtig. Zum Umsatz von Glyphosat will Bayer keine Zahlen nennen. Laut der Initiative Coordination gegen Bayer-Gefahren liege der Umsatz bei "rund einer Milliarde Euro" pro Jahr. Für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Erkrankungen durch Glyphosat gab der Konzern nach eigenen Angaben bisher jedoch schon 10 Milliarden US-Dollar aus und noch fast 40.000 weiteren Klagen gibt es in den USA. Im letzten Prozess wurde Bayer verurteilt, einem Kläger 1,25 Millionen Dollar wegen seiner Krebserkrankung zu zahlen.  

Der Einsatz von Glyphosat und anderen Herbiziden "stabilisiert ein Landwirtschaftssystem, das insgesamt nicht nachhaltig ist und das Erreichen der auf den Schutz der Umwelt bezogenen Nachhaltigkeitsziele gefährdet", sagt Jörn Wogram vom Umweltbundesamt der DW. Ein "weiter so" sei nicht zu rechtfertigen.

Auch für die Länder des globalen Südens hat die EU-Entscheidung "zweifellos eine enorme Bedeutung", betont Prof. Larissa Mies Bombardi im Gespräch mit der DW. Sie forscht zu den Folgen von Pestiziden in Brasilien und hat dazu eine Studie erstellt.

Wenn Europa nun selber das Spritzen von Glyphosat verbiete, hätte dies ihrer Meinung nach eine große Signalwirkung für Brasilien und andere Länder. Lobbyisten vertrieben dort Pestizide mit dem Argument, dass diese keine Umwelt- und Gesundheitsprobleme verursachen würden. Mit einem Verbot in Europa würden sie an Glaubwürdigkeit verlieren. "Die Europäische Union kann den ersten Schritt tun, indem sie Schadstoffe eliminiert und sicherstellt, dass die Regeln auf ihrem Territorium auch auf die Welt ausgeweitet werden können."

Dieser Artikel wurde am 15.09.2023 erstmalig veröffentlicht und zuletzt am 16.11.2023 aktualisiert.

Redaktion: Tamsin Walker

Wie gefährlich ist Glyphosat?

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