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Politik

Enttäuschung über May-Rede in der EU

22. September 2017

Der Brexit-Unterhändler der EU sieht einen "konstruktiven" Geist bei der britischen Premierministerin, fordert aber konkrete Vorschläge für die Verhandlungen. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Italien britische Premierministerin Theresa May hält Rede in Florenz
May: Großbritannien will eine ganze neue Partnerschaft mit der EU. Will die das auch?Bild: picture-alliance/AP Photo/J. J. Mitchell

Die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über den Austritt des Königsreichs sind nach drei Runden aus Sicht von Chef-Unterhändler Michel Barnier festgefahren. Trotzdem gab er sich in einer Stellungnahme zur Brexit-Grundsatzrede von Theresa May ein wenig optimistisch. "Die Rede zeigt den Willen, sich zu bewegen", lobte Barnier in Brüssel. Die britische Premierministerin, die in Florenz eine mit viel Spannung erwartete Rede abgeliefert hatte, müsse diesen "konstruktiven Geist" jetzt aber in konkrete Vorschläge übersetzen, forderte Barnier. Er kritisierte, dass es zur Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland von Frau May nur wolkige Aussagen, aber keine Vorschläge gab.

Warum Florenz?

Die britische Premierministerin Theresa May hatte an diesem Freitag die italienische Renaissance-Stadt Florenz als Kulisse für ihre Brexit-Rede ausgewählt, die von ihrer Pressestelle zuvor als Ort eines möglichen "Durchbruchs" gepriesen wurde. Renaissance heißt ja immerhin Wiedergeburt. Florenz war im 15. und 16. Jahrhundert sicher so etwas wie das Herz des europäischen Handels. Daran wollte die Premierministerin anknüpfen, hieß es aus ihrem Amtssitz "Downing Street 10".

"Großbritannien wird im März 2019 die Europäische Union verlassen, aber nicht Europa", war dann auch wieder die bekannte Kernbotschaft in der Rede von Theresa May. Sie wünscht sich eine besondere, nie dagewesene Beziehung zur EU, betont Theresa May zum Brexit immer wieder. Florenz als Beispiel für die "Wiedergeburt" der neuen Beziehung? Die britische Zeitung "The Guardian" wies süffisant darauf hin, dass die blühenden Handelsbeziehungen zwischen den Medici in Florenz und britischen Kaufleuten abrupt abbrachen, als Antwerpen die Rolle als Handelszentrale für Wolle und Tuche den britischen Inseln vor 500 Jahren abspenstig machte.

Hübsche Verpackung für wenig Inhalt? Santa Maria Novella in FlorenzBild: Reuters/M. Rossi

Brüssel hofft auf konkrete Vorschläge

Begleitet von den Hauptwidersachern im eigenen Kabinett ergriff Theresa May in der malerischen gotischen Basilika Santa Maria Novella das Wort. Ihr Außenminister Boris Johnson, ein Befürworter des harten Brexit, und ihr Finanzminister Philip Hammond, ein weicher Brexitier, machten die britische Dreifaltigkeit perfekt. Der Auftritt sollte auch signalisieren, dass die britische Regierung einen einzigen Kurs gegenüber der EU vertritt. In Brüssel, im Umfeld des Chefunterhändlers Michel Barnier, stieß die historische Kulisse auf wenig Begeisterung. "Über den Brexit wird nicht mit Reden verhandelt, sondern mit konkreten Papieren und Vorschlägen", bemängeln Diplomaten. Und Konkretes sei bisher Mangelware. Michel Barnier schrieb in einer ersten Stellungnahme in Brüssel, Großbritannien könne wie von May erstmals vorgeschlagen, für eine zweijährige Übergangszeit im EU-Binnenmarkt bleiben. Dafür müsse Großbritannien aber alle Bedingungen weiter erfüllen, unter anderem auch die finanziellen. In Florenz hieß von Beratern der Premierministerin, sie wolle für die Übergangsphase eigentlich nicht mehr zahlen. 

Barnier: Bislang keine nennenswerten FortschritteBild: picture alliance/AP Photo/G. Vanden Wijngaert

Keine Zahl für die Brexit-Rechnung

Theresa May forderte mehr "Kreativität" von den Verhandlungspartnern in der EU, um die Gespräche voranzutreiben. Sie bekannte sich zu den finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens bis zum Jahr 2020. Allerdings verband sie diese Zahlungen mit der Bedingung, dass Großbritannien für eine Übergangszeit von zwei Jahren Zugang zum europäischen Binnenmarkt behält. Diese Bedingung wurde in Brüssel unmittelbar zurückgewiesen. EU-Diplomaten weisen daraufhin, dass die Abschlussrechnung für den Austritt und Beiträge für künftige Beziehungen zwei ganz verschiedene Dinge seien, die man nicht verrechnen könne. Eine Zahl nannte die Premierministerin nicht.

Die britische Premierministerin appellierte an die EU eine besondere Partnerschaft und eine gemeinsame Zukunft anzustreben. Die Augen der Welt seien auf Großbritannien und Europa gerichtet. "Wenn wir phantasievoll und kreativ daran gehen unsere Beziehung zu gestalten, können wir optimistisch in die Zukunft Großbritanniens und der EU blicken." Theresa May möchte weder eine Mitgliedschaft Großbritanniens in der europäischen Wirtschaftszone oder eine Handelspartnerschaft nach kanadischem Vorbild. Sie warb für etwas ganz Neues, ohne zu sagen, was genau das sein soll. "Die Details müssen verhandelt werden." Das sollte auch nicht schwer sein, weil Großbritannien und die EU im Moment ja genau die gleichen Regeln hätten. Deshalb sei es auch nicht notwendig, nach dem Brexit Zölle zu erheben, sagte May.

Proteste gegen den Brexit in Florenz: Was passiert mit EU-Bürgern in Großbritannien?Bild: Reuters/M.Rossi

Erst der Austritt, dann die Zukunft

Chefunterhändler Michel Barnier weist gebetsmühlenartig daraufhin, dass vor Gesprächen über die zukünftige Beziehung erst einmal der Austritt organisiert werden müsse. Die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien, von Briten in der EU, müssten geregelt werden. Die Grenze zwischen Irland und der britischen Region Nordirland müsse organisiert werden. Und die offenen Rechnungen und Konten Großbritanniens müssten beglichen und ausgeglichen werden. Nichts davon sei, so Diplomaten in Brüssel, bisher ansatzweise geregelt. "Je schneller wir uns auf eine geordnete Scheidung einigen, je schneller können wir über das künftige Verhältnis sprechen", mahnte Michel Barnier in Brüssel. Statt dessen versucht der britische Chefunterhändler David Davis immer wieder mit neuen Positionspapieren zu künftigen Handelsbeziehungen den Fokus der Verhandlungen zu verschieben. Um Premierministerin May symbolisch zuvor zu kommen, war Michel Barnier bereits am Donnerstag nach Italien gereist. In Rom traf er den italienischen Regierungschef. Botschaft: Historische Kulisse in Italien kann ich auch. 

Nächste Runde am Montag

Am Montag treffen sich Barnier und Davis zur vierten Verhandlungsrunde in Brüssel. Frist für eine Einigung über die Bedingungen des Austritts ist Ende Oktober. Doch in Brüssel glaubt inzwischen niemand mehr, dass diese noch eingehalten werden kann. Ende Oktober soll ein Sondergipfel der EU-Staaten ohne Großbritannien das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen bewerten. Erst wenn die Bewertung positiv ausfällt, wollen die 27 Staaten über künftige Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien verhandeln. Die britische Regierungschefin erwartet allerdings, dass die Verhandlungen bereits jetzt "partnerschaftlich und in einem freundlichen Ton beginnen." Vorsorglich forderte Michel Barnier die britische Premierministerin auf anzuerkennen, dass Großbritannien nach einem Austritt nicht die gleichen Rechte und Vorteile habe könne wie ein Mitglied. Kühl beschied er, den britischen Wunsch nach einer Übergangsfrist werde die EU, wenn sie dies wünsche, in Betracht ziehen. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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