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EU: Verstöße von Grenzern werden nicht ausreichend verfolgt

30. Juli 2024

Die EU-Grundrechteagentur beklagt, dass Mitgliedsstaaten mutmaßliche Vergehen von Grenzbeamten nicht ausreichend verfolgten. Sie beruft sich auf "glaubhaft scheinende" Angaben von Dritten. Bernd Riegert aus Brüssel.

Nordmazedonien | Frontex-Beamte treffen mazedonische Polizei
Beamte der EU-Behörde "Frontex" unterstützen ihre nationalen Kolleginnen und Kollegen, hier in NordmazedonienBild: Innenministerium Nord-Mazedonien

Die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA) in Wien ist eine Behörde der Europäischen Union, die die Einhaltung der Grundrechte in den EU-Verträgen durch die 27 Mitgliedsstaaten beobachtet. In ihrem Bericht zur Ahndung von mutmaßlichen Verstößen von Grenzbeamten gegen die Grundrechte von Migranten erhebt die Agentur schwere Vorwürfe gegen Mitgliedstaaten wie Griechenland, Ungarn oder Kroatien.

Die Behörde behauptet, die mutmaßlichen Verstöße von Grenzbeamten bei der Behandlung von Migranten, Asylbewerbern oder illegal Einreisenden würden nur in "einer geringen Zahl" zu Disziplinarstrafen oder strafrechtlicher Verurteilung führen.

Der Bericht stützt sich vornehmlich auf Angaben und Beschwerden von Hilfsorganisationen für Migranten und Menschenrechtsgruppen sowie Agenturen der Vereinten Nationen. "Obwohl zahlreiche Meldungen glaubhaft erscheinen, werden viele Vorfälle nicht untersucht. Wenn strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden, werden diese oft eingestellt, bevor es zu einer Anklage kommt", bemängelt die Grundrechte-Agentur in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Eigene Erhebungen hat die Agentur allerdings nicht durchgeführt, sondern beruft sich auf "glaubhaft scheinende" Angaben Dritter.

Migranten, die ohne Papiere in Kroatien einreisen wollten, werden nach Bosnien-Herzegowina zurückgewiesen (April 2023)Bild: Dragan Maksimovic/DW

Wenige Strafen verhängt

Nach Angaben der FRA hat sie für die Jahre 2020 bis 2023 Disziplinarverfahren gegen Grenzbeamte in 188 Fällen in 16 Mitgliedsstaaten gefunden. Nur in acht Fällen sei es dabei zu Disziplinarstrafen gekommen: viermal in Ungarn, viermal in Kroatien. Im gleichen Zeitraum wurden 84 Strafverfahren gegen Grenzschutzbeamte an den EU-Außengrenzen eröffnet. Drei davon endeten mit einer Verurteilung. Die meisten Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen und Betroffenen gegen das Vorgehen der Grenzpolizei gibt es in Griechenland. Hier wurden, so die Angaben der EU-Agentur, aber keine Beamten disziplinarisch oder strafrechtlich belangt.

In fünf Fällen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg bemängelt, dass Verfahren in Griechenland, Kroatien und Ungarn nicht gründlich genug durchgeführt wurden, Zeugen nicht ermittelt, Geschädigte nicht befragt und Beweismittel nicht zugänglich gemacht wurden. Der EGMR ist das Gericht des Staatenbundes "Europarat". Er ist keine Einrichtung der Europäischen Union. An ihn kann man sich wenden, wenn der Gerichtsweg im eigenen Land erschöpft ist.

Protest gegen Pushbacks (Zurückweisungen) durch griechische Grenzbeamte in Athen (Juni 2023)Bild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Die Europäische Grundrechte-Agentur gesteht in ihrem Bericht zu, dass die Ermittlungen in der Praxis oft schwierig sind, weil Zeugen und Geschädigte nicht mehr ermittelt werden können oder nicht aussagen wollen oder weitergereist sind. Oft ist es auch schwierig, die konkreten Grenzbeamten zu ermitteln, die an der Grenze die Taten wie Zurückweisung oder Misshandlung von Migranten begangen haben sollen.

Ermittlungen oft schwierig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte im Jahr 2020 festgestellt, dass nicht jede Zurückweisung, landläufig auch "Pushback" genannt, unrechtmäßig sei. In bestimmten Fällen, etwa bei großen Gruppen von ankommenden Migranten, sei eine Zurückweisung nicht immer gleich ein Verstoß gegen die UN-Flüchtlingskonvention. Eine Zurückweisung in ein Land, in dem dem illegal Einreisenden keine Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung drohe, sei ebenfalls möglich.

Der UN-Flüchtlingskommissar hatte im Juni bemängelt, dass Griechenland immer noch nicht ermittelt habe, wer vor einem Jahr für die größte Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mitverantwortlich war. Damals ertranken in internationalen Gewässern über 600 Migranten, als ihr Schiff kenterte. Die griechische Küstenwache war vor Ort, ihre Rolle ungeklärt. Ein griechisches Seegericht hat Ermittlungen aufgenommen. Bis heute gibt es aber keine Angaben über den Fortschritt des Verfahrens.

14. Juni 2023: Ein Fischerboot mit über 700 Menschen an Bord kentert wenig später. Welche Rolle spielte die griechische Küstenwache? Bis heute ungeklärt. Bild: Griechische Küstenwache/Eurokinissi/ANE/picture alliance

EU sollte auf schnelle Ermittlungen drängen

Als Schlussfolgerung aus ihrer Studie fordert die Grundrechteagentur die Mitgliedsstaaten in zehn Punkten auf, die Strafverfolgung von Taten an der Grenze ernster zu nehmen, schneller zu ermitteln und besser mit den Anwälten und Beschwerdeführern zusammenzuarbeiten. Für Verfahren gegen Grenzbeamte sind die jeweiligen Staaten zuständig. Sie könnten ihre Beamten zum Beispiel mit GPS-Trackern ausstatten oder deren Handy-Daten nutzen, um den Verlauf von Einsätzen nachzuvollziehen.

Die EU-Kommission trage ebenfalls Verantwortung, und zwar dass die Regeln für das Grenzmanagement im Schengen-Raum eingehalten werden. Die Kommission könne Mitgliedsstaaten zu Ermittlungen anhalten und die Zuteilung von Fördergeldern für die Überwachung der Außengrenzen der EU steuern.

"Die EU-Kommission hat den Bericht zur Kenntnis genommen", erklärte die Sprecherin der EU-Kommission für Migration, Anitta Hipper, in Brüssel. "Wir prüfen und weisen darauf hin, dass alle Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, alle europäischen und internationalen Bestimmungen einzuhalten."

Geschlossenes Flüchtlingslager auf Samos: Amnesty bemängelt die Lage der Insassen. (Archiv 2021)Bild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Amnesty kritisiert Lager auf Samos

Parallel zur Studie der Grundrechteagentur (FRA) hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International auf mutmaßliche Missstände im Aufnahmelager auf der griechischen Insel Samos hingewiesen. Die griechischen Behörden würden in dem von der EU finanzierten Lager Menschen "willkürlich und illegal" festhalten. Die Lebensbedingungen in dem überfüllten Lager seien unter "haftähnlichen Bedingungen" katastrophal, so Amnesty International.

Die EU-Kommission hatte Griechenland vor einigen Jahren 270 Millionen Euro zur Einrichtung neuer "geschlossener" Aufnahmezentren bewilligt, nachdem das Lager Moria auf der Insel Lesbos abgebrannt war. Anitta Hipper, die Sprecherin der EU-Kommission, meinte dazu in Brüssel, man werde mit Griechenland weiter an der Verbesserung der Bedingungen arbeiten. Im Übrigen setze die EU auf den neuen Migrationspakt, der mit Asylverfahren und einer Verteilung von Asylbewerbern auf die Mitgliedstaaten in zwei Jahren neue Maßstäbe einführen werde.

In der Tat sieht der Asylpakt geschlossene Aufnahmezentren mit einer Kapazität von 30.000 Personen an den EU-Außengrenzen vor, aus denen Asylbewerber ohne Erfolgsaussichten direkt wieder abgeschoben werden sollen. Das von "Amnesty International" kritisierte Lager auf Samos sollte eigentlich eine Art Pilotprojekt zur Einrichtung und Erprobung solcher Lager sein.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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