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PolitikEuropa

EU versucht neuen Anlauf im Asyl-Streit

23. September 2020

Die Aufnahmebereitschaft für Asylbewerber ist in weiten Teilen der EU gering. Deshalb ist eine Reform des Asylrechts mit verbindlicher Verteilung fast ausgeschlossen. Die EU-Kommission verspricht neue Lösungsansätze.

Griechenland Lesbos | Flüchtlinge | Hilferuf
Trügerische Hoffnung der Migranten auf Lesbos: Die Mehrheit bleibt dort, gelangt nicht in die restliche EUBild: picture-alliance/dpa/P. Giannakouris

Die EU-Kommission legt an diesem Mittwoch Vorschläge zu einer Reform des Asylrechts und der Verteilung von Flüchtlingen in der EU vor. Einmal mehr, wie schon 2015und 2016. Bislang konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf eine gemeinsame Lösung der Migrationsfragen einigen. Der Brand im Flüchtlingscamp Moria und die menschenunwürdigen Zustände auf Lesbos geben der Debatte "neuen Schwung" meinen EU-Beamte in Brüssel. Die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat angekündigt, dass das alte System, auch Dublin-Regeln genannt, durch etwas Neues ersetzt werden soll. Eine Verpflichtung für EU-Staaten, Flüchtlinge oder Asylbewerber aufzunehmen, wird wohl nicht enthalten sein, weil viele Mitgliedsstaaten dies schlicht verweigern würden.

Das mühsame Feilschen um die Aufnahme von einigen obdachlosen Asylbewerbern von Lesbos in den EU-Staaten macht das Problem noch einmal deutlich. Von den 12.000 Menschen, die auf Lesbos versorgt werden müssten, nimmt Deutschland einen Teil auf. Wie viele genau ist unklar, da die genannte Zahl von 1500 sich auch auf die Lager auf anderen griechischen Inseln bezieht. Zusätzlich sollen 150 unbegleitete Jugendliche aufgenommen werden. Frankreich wird ebenfalls bis zu 150 unbegleitete Jugendliche ins Land lassen. Italien will 300 Menschen aus dem ehemaligen Lager Moria aufnehmen. Die Niederlande kündigten die Aufnahme von 100 Jugendlichen und Familien an. Die Regierung in Den Haag verrechnet dies allerdings mit einem UN-Kontingent, so dass keine zusätzlichen Asylbewerber aufgenommen werden. Die finnische Regierung will 12 Jugendlichen die Einreise gestatten.

Unbegleitete Minderjährige dürfen die griechischen Inseln hin und wieder verlassen (Archivbild April 2020)Bild: AFP/A. Messinis

Keine "falschen Signale"

Alle anderen EU-Staaten ducken sich weg und halten es mit dem österreichischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Der sagte, die Aufnahme von Menschen aus Moria sei "das völlig falsche Signal". Man dürfe "gewaltbereiten Migranten nicht nachgeben". Gemeint sind die mutmaßlichen Brandstifter auf Lesbos, die mit dem Anzünden des Lagers ihre Weiterreise auf das griechische Festland erzwingen wollten. Österreich hat 55 Tonnen Hilfsgüter für den Bau eines neuen Lagers nach Griechenland geliefert.

Eine öffentliche Debatte über die Aufnahme von Asylbewerbern oder gar Demonstrationen für eine solche Hilfe, wie in Deutschland am Wochenende, sind in der EU eher die Ausnahme. Es gibt Aufrufe von schwedischen Wissenschaftlern an die eigene Regierung, Flüchtlinge aufzunehmen. Die schwedische Regierung lehnt dies aber ab. Polen, Ungarn und Tschechien lehnen die Aufnahme von Asylbewerbern aus Griechenland oder Italien grundsätzlich ab, obwohl sie der Europäische Gerichtshof für diese Haltung gerügt und verurteilt hat.

Diese Herren sind sich einig: Keine Migranten! Vier Visegrad-Premiers und Österreichs Kanzler Kurz (2.v.li.) (Archiv Januar 2020)Bild: DW/A. M. Pędziwol

Ein Studie des "Gemeinsamen Forschungszentrums" der EU-Kommission vom Februar 2020 zeigt nach der Auswertung von regionalen und europäischen Wahlergebnissen sowie Meinungsumfragen, dass in vielen Regionen der EU die ablehnende Haltung gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen durchaus geteilt wird. Parteien, die Migration kritisch sehen, haben in Ungarn und Italien mit 60 Prozent den höchsten Wähleranteil. In Portugal und Rumänien ist er mit 20 Prozent am niedrigsten. Deutschland liegt mit 40 Prozent im Mittelfeld.

Keine Klarheit über Zahlen und Reisewege

Im letzten Jahr, so schreibt die EU-Grenzschutz-Behörde Frontex in ihrer jährlichen "Risiko-Analyse" sind rund 142.000 Personen "irregulär" in die EU eingereist. Dabei heißt "irregulär" nicht gleich "illegal", denn Menschen, die in der EU Asyl beantragen oder einen Anerkennung als Flüchtling erreichen wollen, müssen zunächst europäischen Boden betreten. Das können sie in der Regel nur, wenn sie ohne gültige Papiere oder Visum über die Grenzen kommen. Die Zahl dieser "irregulären" Einreisen nimmt seit ihrem Höhepunkt 2015 stetig ab. Die meisten Migranten kamen 2019 über die griechischen Inseln (83.000), gefolgt von Spanien (24.000) und Italien (14.000). Die Grenzschutzbehörde "Frontex" weist darauf hin, dass die Zahl der Anträge auf Asyl in den EU-Staaten mit 720.000 im vergangenen Jahr viel höher ist, als die Zahl der ermittelten "irregulär" Einreisenden. Das heißt, eine große Zahl von ihnen wird gar nicht erfasst oder reist auf anderen Wegen in die EU. Nach einer Befragung von Asylbewerbern in Deutschland kamen 2019 ungefähr 40 Prozent per Flugzeug. Das sind vorwiegend Menschen, die mit einem Touristenvisum kommen und nach dessen Ablauf Asyl beantragen.

Private Seenotrettung vor Libyen, danach wochenlange Suche nach einem Hafen in Italien oder Malta (Archiv)Bild: picture-alliance/dpa/Sea-Watch.org/C. Grodotzk

In ihrer Analyse geben die Frontex-Experten auch zu bedenken, dass es eine unbekannte Anzahl von Menschen in der EU gibt, die unerkannt eingereist sind, nie Asyl beantragt haben und tatsächlich irgendwo "illegal", ohne Anmeldung, leben. Auch kommt es häufig zu mehrfachen Asylanträgen in verschiedenen Mitgliedsstaaten.

Vier "Zielstaaten" in der EU

Die meisten Asylanträge, nämlich 165.000, wurden laut europäischer Statistikbehörde Eurostat in Deutschland gestellt, gefolgt von Spanien, Frankreich und Griechenland. Diese vier Staaten sind das Ziel für zwei Drittel aller Asylsuchenden. In den übrigen 23 EU-Staaten liegen die Zahlen wesentlich niedriger. In Ungarn zum Beispiel haben nur 500 Menschen um Asyl nachgesucht. Relativ hoch belastet sind Zypern und Malta. Diese kleinen Staaten verzeichnen die meisten Asylbewerber pro Kopf der Bevölkerung.

Die Asylanträge in Deutschland werden weniger. Ist das noch eine "Flüchtlingskrise"?

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) nimmt diese Zahlen als Beleg, das mit der derzeit geltenden "Dublin-Regel", wonach das Land der ersten Einreise für den Asylbewerber zuständig ist, etwas nicht stimmen kann. Mindestens 60 Prozent der Asylbewerber, die nach eigenen Angaben nicht mit dem Flugzeug eingereist ist, müssten ja zuvor in einem sicheren EU-Land gewesen sein. Zuständig wären also die anderen Staaten, weil Deutschland von EU-Mitgliedern umgeben ist. Heute gibt es deshalb teils monatelange Verfahren, um herauszufinden, wie die Asylbewerber tatsächlich nach Deutschland gelangt sind und welches Land nach Dublin-Regel zuständig wäre. Eine Rückführung in das eigentlich zuständige Land ist aber häufig sehr schwierig.

Im Prinzip einig: Migrationskommissar Schinas (li.), Innenminister SeehoferBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Reform in drei Stufen

Diese Schwierigkeiten will EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas nun in drei Stufen beseitigen. Erstens sollen die Transitstaaten, also Türkei, Libyen, Tunesien, Marokko, angehalten werden, mehr Migranten aufzuhalten. Zweitens sollen die Außengrenzen der EU soweit wie möglich auch auf See geschlossen werden. Asylverfahren sollen an den Außengrenzen stattfinden. Drittens soll dann eine "verbindliche Solidarität" unter den Mitgliedsstaaten in Asylfragen eingeführt werden. Was das heißt, ist noch nicht klar.

Eine verbindliche Verteilungsquote ist aber sicher nicht gemeint. Davon geht die Generalsekretärin des "Europäischen Flüchtlingsrates", Catherine Woollard, aus: "Eine Lektion, die gelernt wurde, ist, dass bestimmte Mitgliedsstaaten nicht mehr an das Asylrecht glauben. Sie wollen Flüchtlingen keinen Schutz bieten. Das heißt, dass ein vorläufiger Verteilungsmechanismus nur auf eine Koalition der Willigen setzen kann."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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