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EU will Brexit-Chaos verhindern

Bernd Riegert17. Juni 2016

Wie wird sich ein möglicher Brexit auf die Finanzmärkte auswirken, und wie soll die EU reagieren? Die EU-Finanzminister haben diese Frage beraten, aber die Antwort behielten sie für sich. Bernd Riegert aus Luxemburg.

City of London Bank of England and the Royal Exchange
Notenbank und Börse in London: EU-Finanzminister bereiten sich auf Schockwellen vorBild: picture alliance/Jean Brooks/Robert Harding

Wir sind auf alles vorbereitet, wir sagen nur nicht wie. Das ist in Kürze die Botschaft der EU-Finanzminister an die nervösen Finanzmärkte kurz vor dem britischen Referendum über einen Austritt aus der Union. Offiziell stand das Thema gar nicht auf der Tagesordnung der letzten Finanzminister-Sitzung vor einem möglichen britischen Exit.

Der Vorsitzende der Runde, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, wollte nach dem Mord an der britischen Abgeordneten Jo Cox eigentlich gar nichts mehr zum Brexit sagen. Schließlich sei ja auch der Wahlkampf ausgesetzt worden. "Ich hoffe, dass die Briten ihre Entscheidung auf friedliche Weise treffen. Das war alles ein ziemlicher Schock für uns", sagte Djisselbloem am Freitag in Luxemburg.

IWF-Chefin warnt in Luxemburg

Der britische Finanzminister George Osborne nahm nicht an der regulären Tagung der EU-Minister in Luxemburg teil. Er hatte zwei Tage zuvor Etatkürzungen und Steuererhöhungen angekündigt, falls Großbritannien nach einem EU-Austritt in eine Wirtschaftskrise schlittern sollte. Die Brexit-Befürworter warfen Osborne daraufhin Schwarzmalerei und Angstmache vor.

Quo vadis britisches Pfund?

01:55

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Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hält das nicht für Schwarzmalerei und warnte die Finanzminister der 19 Staaten der europäischen Währungsunion vor den Folgen eines möglichen Brexits. Lagarde, die am Donnerstag Abend an der Sitzung der Euro-Gruppe teilnahm, sieht ernsthafte Gefahren nicht nur für die britische und europäische Wirtschaft, sondern auch für die Weltwirtschaft insgesamt.

Nicht nur in Großbritannien könnten die Zinsen stark ansteigen, so Lagarde. Das britische Pfund könnte stark an Wert verlieren. Der IWF sieht eine "lange Periode der Unsicherheit", die Anleger verschrecken könnte. Die britische Notenbank "Bank of England" hatte allerdings in ihren Notfall-Plänen zunächst Zinssenkungen vorgesehen.

"Szenarien" werden durchgesprochen

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte schon vor einigen Tagen in einem Interview mit dem "Spiegel" gesagt, die Finanzminister der Euro-Zone würden alles tun, um die Folgen eines Brexit zu begrenzen. "Wir bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor, um Gefahren einzudämmen." Wie genau diese Szenarien aussehen, ist aber weiter unklar.

Schäuble: Nicht so weitermachen wie bisherBild: DW/B. Riegert

Weltweit hatten die Kurse knapp eine Woche vor dem Referendum nachgegeben. Es gebe Überlegungen, so der österreichische Finanzminister Hans-Jörg Schelling, wie man auf einen Absturz der Börsen und Pfund Sterlings reagieren könnte. "Aber es wäre sicher kontraproduktiv, diese jetzt öffentlich zu machen." Aus EU-Kreisen war lediglich zu hören, dass sowohl die Bank of England, die Europäische Zentralbank und anderen Notenbanken bereit seien, Liquidität in den Markt zu pumpen und Stützungskäufe zu tätigen.

Einige Experten schätzen, dass das Pfund und die Aktienkurse um bis zum 15 Prozent einbrechen könnten, sollten die Briten für den Ausstieg stimmen. Der britische Finanzmarkt-Experte Tim Worstall kritisierte die negativen Vorhersagen des IWF. Ein Anstieg der Zinsen sei in Zeiten zu niedriger Inflation gar nicht so schlecht. Außerdem lasse der IWF die positiven Effekte eines Brexits für Großbritannien, etwa den einfacheren Handel mit Staaten außerhalb der EU, außer Acht, schrieb Worstall im Finanz-Portal "Forbes". Den Streit der Experten kommentierte der österreichische Finanzminister Schelling so: "Der Finanzmarkt ist offenbar gespalten".

Alarm und Vorsicht

Die ganz große Alarmglocke schwang der scheidende finnische Finanzminister Alexander Stubb. Ein Brexit würde "Schockwellen rund um die Welt senden", ähnlich wie das bei der Pleite der Lehman Brothers Bank 2008 geschehen sei. Stubb sieht weltwirtschaftliches Chaos voraus.

Dijsselbloem: Keine Alarmglocke, nur Ordnung für die Sitzung (Archiv)Bild: picture-alliance/AP Photo/G. Vanden Wijngaert

Der unmittelbare Nachbar Großbritanniens, der irische Finanzminister Michael Noonan, äußerte sich vorsichtiger. Für Irland ist das Vereinigte Königreich der größte Handelspartner. Die Reisefreiheit zwischen Irland und Großbritannien und der gemeinsame Arbeitsmarkt müssten erhalten werden, wünschte sich Noonan.

"Wir wollen nicht, dass eine internationale europäische Grenze unsere Insel durchschneidet nur 60 Meilen nördlich von Dublin. Das würde uns große Schwierigkeiten bereiten." Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, läge dann plötzlich an einer EU-Außengrenze zur Republik Irland, die sogar den Euro als Währung hat."

"Die erste Brücke"

Der einzige Brite, der an den Beratungen der Finanzminister in Luxemburg teilnahm, war der EU-Kommissar für die Finanz-Union. Jonathan Hill, der nicht die britische Regierung vertritt, und will, dass sein Heimatland in der EU bleibt. "Da ich für den Finanzsektor zuständig bin, kann ich sehr klar die Vorteile erkennen, die Großbritannien aus einer Mitgliedschaft im Binnenmarkt und der EU zieht. Ich sehe auch die Risiken sehr klar. "

Hill: Nur Vorteile für Briten in der UnionBild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Der britische EU-Kommissar, der im Falle eines Brexit sein Amt verlöre, wollte nichts darüber sagen, wie sich die EU-Kommission und die Finanzminister auf mögliche Folgen an den Finanzmärkten vorbereiten sollten. "Es ist immer klüger, sich auf die erste Brücke zu konzentrieren, die man überqueren muss, in diesem Fall das Referendum, anstatt darüber zu spekulieren, was danach passiert."

Mehr oder weniger Zusammenarbeit?

Nach einem Brexit müssten die Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien neu ausgehandelt werden. "Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen", hatte Jean-Claude Juncker mehrfach gesagt. Und während der Vorsitzende der Euro-Gruppe, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, die Zusammenarbeit in der Währungsunion noch vertiefen will, bremst Wolfgang Schäuble. Man könne nicht einfach so weitermachen wie bisher und mehr Integration fordern, warnte Schäuble im "Spiegel"-Interview. "Das wäre plump, viele würden zu Recht fragen, ob wir Politiker noch immer nicht verstanden haben."

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