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"Chaos" an Grenzen beenden

Bernd Riegert8. Oktober 2015

Die ersten Flüchtlinge sollen per Quote in der EU verteilt werden. Damit ist das alte "Dublin"-Recht endgültig tot. Jetzt baut die EU gemeinsam mit dem Balkan an einem neuen Asylsystem. Aus Luxemburg Bernd Riegert.

Flüchtlinge stehen eng beieinander (Foto: Pavlos Zafiropoulos)
Bild: Pavlos Zafiropoulos

Am Freitag sollen die ersten 20 Flüchtlinge aus Eritrea von Rom aus nach Schweden geflogen werden. Das gab der italienische Innenminister Angelino Alfano bei der Tagung der EU-Innenminister in Luxemburg bekannt. Es ist ein erster symbolischer Schritt, um die Verteilung von Flüchtlingen und Asylbewerbern nach einem festen Schlüssel zu starten. Damit setzt die EU eine Entscheidung um, die vor zwei Wochen per Mehrheitsentscheid gegen die osteuropäischen Mitgliedsstaaten durchgesetzt wurde. In den kommenden zwei Jahren sollen theoretisch bis zu 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien in die restliche EU verteilt werden - auch in die Staaten, die gegen eine Verteilung gestimmt hatten. "Das beweist, dass wir Recht hatten, und die Dublin-Regeln wirklich hinfällig sind", freute sich Italiens Innenminister Alfano.

Sie haben Probleme an der Grenze: Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner und ihr deutscher Kollege de MaizièreBild: picture-alliance/AP Photo/Geert Vanden Wijngaert

"Dublin" muss ersetzt werden

Nach bisher geltendem europäischem Recht muss der Mitgliedsstaat, in dem ein Asylbewerber zuerst ankommt, das Asylverfahren einleiten. Weder Griechenland noch Italien oder die Länder auf der Balkanroute halten sich daran. Hunderttausende Flüchtlinge werden seit Monaten von Land zu Land weitergeschoben - bis sie schließlich in Deutschland, Österreich oder Schweden ankommen. Dass die Dublin-Regel endgültig gekippt ist, hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Straßburg eingeräumt. Sie will zum Verdruss mancher deutscher Bundesländer - vorne voran das südliche Bayern - die Grenzen offen halten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist mit dieser Politik ebenfalls nicht glücklich. Er will, dass der Zustrom von Flüchtlingen gestoppt oder zumindest gedrosselt wird.

Bayern trägt die größte Last in der aktuellen Flüchtlingskrise. Das Bundesland hat allein im letzten Monat 200.000 Flüchtlinge registriert. Ministerpräsident Horst Seehofer droht dem Bund jetzt offen mit "Notfallmaßnahmen". Darunter auch diese: Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze zu Österreich. Die österreichische Innenministerin Theresa Mikl-Leitner droht in diesem Fall ihrerseits mit ihren eigenen Gegenmaßnahmen: "Wenn die Bayern versuchen, einzudämmen und zu verlangsamen, dann wird auch Österreich eindämmen und verlangsamen." Das wiederum würde wohl eine Kettenreaktion auf der Balkanroute auslösen. Zehntausende Flüchtlinge würden in der Falle sitzen, warnte die serbische Delegation in Luxemburg.

Balkanstaaten sollen der EU helfen

Am Treffen der EU-Minister nahmen auch die Innen- und Außenminister der Balkanstaaten, der Türkei, Jordaniens und des Libanon teil. Die Europäische Union wolle den Transitländern helfen, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. "Wir erwarten von unseren Partnern, dass sie ihre Kapazitäten für Asylverfahren und Registrierung ausbauen, bessere Grenzkontrollen einführen und Menschenschmuggel unterbinden. Solidarität und Verantwortung gehen Hand in Hand, nicht nur innerhalb der EU, sondern auch außerhalb mit unseren Partnern", sagte Avramopoulos und versprach weitere finanzielle Hilfen für Serbien, Kroatien und die Türkei. Die Partnerstaaten müssten aber auch ihre eigenen Staatsbürger und abgelehnte Asylbewerber aus Drittstaaten zurücknehmen, forderte Avramopoulos. "Es ist wichtig, dass wir nicht nur für die aussichtsreichen Asylbewerber, sondern auch für diejenigen, die keine Chance auf Asyl haben, gemeinsam Verantwortung übernehmen. Diejenigen, die kein Recht haben in der Schengenzone zu bleiben, müssen zurückgebracht werden, und zwar direkt in ihre Herkunftsländer oder in die Transitstaaten."

Avramopoulos: "Helfen und abschieben"Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Bundesinnenminister Thomas de Maizière findet die Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten entlang der meist genutzten Flüchtlingsroute enorm wichtig. Die Staaten wollen alle der EU beitreten. Kroatien, Serbien und Mazedonien hatten sich gegenseitig vorgeworfen, den jeweils anderen mit Flüchtlingen zu belasten. Harte Kritik hatte es auch an Griechenland gegeben. Das Land reiche Flüchtlinge aus der EU auf den Balkan weiter, oder an Ungarn, das wiederum mit einem Grenzzaun zu Serbien die Flüchtlinge nach Kroatien umlenkte. "Auch da gab es viele gegenseitige Vorwürfe. Das muss beendet werden. Wir müssen gemeinsam an Lösungen arbeiten, wir sind gemeinsam betroffen", mahnte de Maizière.

Steinmeier: "Türkei ist Schlüssel"

Der Türkei, die rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherbergt, will die EU jetzt wesentlich stärker finanziell helfen. Außerdem soll die Türkei auf die Liste der sicheren Drittstaaten gesetzt werden, was aber noch nicht alle EU-Mitglieder wegen der Verletzung von Menschenrechten in der Türkei mittragen. "Gleichwohl ist die Türkei das Schlüsselland für die Zuwanderung nach Europa", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Luxemburg. Man müsse ein Gesamtpaket aushandeln. "Deshalb haben wir im Augenblick intensive Gespräche mit der Türkei darüber, wie wir gemeinsam Zuwanderung und Flüchtlingsmigration besser steuern können."

Die "obsolete" Dublin-Regel soll nach dem Willen der EU-Innenminister durch ein neues System aus Aufnahmezentren, verstärkter Grenzsicherung und Verteilung nach Quoten ersetzt werden. Der Aufbau der Aufnahmezentren in Italien und Griechenland, von vielen Ministern "hotspots" genannt, läuft erst langsam an, während täglich mehrere Tausend Menschen über das Mittelmeer Griechenland oder Italien erreichen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex allein hat einen Personalbedarf von 700 Beamten angemeldet, der bis nächste Woche von den Mitgliedsstaaten aufgefüllt werden sollen. Gleichzeitig sollen auch die Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern in ihre Herkunftsländer verstärkt werden. Abschiebungen seien immer hart, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière, aber sie seien notwendig, um Kapazitäten für die wirklich Schutzbedürftigen zu haben.

Asselborn: "Chaos beenden"

Die Innenminister entschieden grundsätzlich, dass die gemeinsamen Grenzkontrollen vor allem vor der Küste Griechenlands verstärkt werden sollen. Zuständig bleiben die Mitgliedsstaaten der EU, aber die Grenzschutzagentur Frontex soll helfen. Angesicht der Fülle der Aufgaben, die jetzt parallel und schnell zu bewältigen seien, könne man schon mal den Überblick verlieren, gestand Jean Asselborn, der luxemburgische Vorsitzende der Innenministerkonferenz zu: "Es ist schwer zu durchschauen, was jetzt alles passiert. Aber sie und ich wissen doch, die ganze Welt weiß, wenn wir jetzt nicht die Kontrollen über die Einreisen an unseren Grenzen zurückgewinnen, dann wird dieses Chaos andauern. Deshalb müssen wir handeln und in diese Richtung vorangehen. Darum sind wir uns im Klaren, dass wir den Ländern helfen müssen, die am stärksten betroffen sind, Italien und Griechenland."

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