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Politik

EU und Polen auf Konfrontationskurs

31. August 2017

Die EU-Kommission sieht den Rechtsstaat in Polen in großer Gefahr. Sie warf der polnischen Regierung im Europaparlament Verweigerung vor. Eine Lösung des Streits ist nicht in Sicht. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Belgien Brüssel Frans Timmermans
"Polen war noch nie so souverän wie heute." EU-Kommissar Timmermans sieht sich als Freund PolensBild: Imago/ZUMA Press/W. Dabkowski

Der normalerweise halbleere Saal, in dem der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des Europaparlaments tagt, war an diesem Donnerstag bis auf den letzten Platz besetzt. Viele Parlamentarier, besonders aus Polen, die nicht dem Ausschuss angehören, wollten reden. Nicht alle kamen zum Zuge, was für heftige Proteste sorgte und zu erregten Wortwechseln mit dem Vorsitz führte. Viele national-konservative polnische Abgeordnete kritisierten das Vorgehen der EU-Kommission gegen die polnische Justizreform als unfaire Kompetenzüberschreitung und Angriff auf die polnische Souveränität. Das ließ der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans, der den Abgeordneten Rede und Antwort stand, nicht auf sich sitzen. "Sie sollten sich an Fakten und Texte halten und nicht mit Mythen arbeiten", empfahl Timmermans den polnischen Abgeordneten. Diese wiederum unterbrachen den Vizepräsidenten der EU-Kommission mit Zwischenrufen wie "Das ist nicht wahr!" oder "Sie nehmen uns die Souveränität!". Die Stimmung war gereizt, weil es um einen tiefen und grundsätzlichen Streit zwischen der polnischen Regierung und den EU-Institutionen geht.

Unbeeindruckt von der Kritik aus Brüssel: Beata Szydlo, Premierministerin in PolenBild: picture-alliance/PAP/P. Supernak

EU-Kommission setzt auf Dialog

"Sie können mich dumm nennen oder mich persönlich angreifen", sagte der emotional aufgewühlte niederländische EU-Kommissar. "Die EU-Kommission wird trotzdem weiter auf Dialog setzen und gesprächsbereit bleiben."  Es habe schon eine gewisse Ironie, dass die polnische Regierung von der EU-Kommission ständig Respekt verlange, diesen Respekt umgekehrt der EU aber verweigere, kritisierte Timmermans. Bis heute habe nicht ein einziger polnischer Minister sein Angebot zu persönlichen Gesprächen über die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit und der Justizreform in Polen angenommen. Marek Jurek, konservativer Abgeordneter aus Polen, warf Timmermans vor, er missachte die polnische Verfassung. Die EU-Kommission habe kein Recht, Polen bei der Gestaltung seines Justizwesens Vorschriften zu machen. "Das war früher so. Wir wollen nicht zurück zum Marxismus", sagte Jurek in der Anhörung. EU-Kommissar Timmermans widersprach. In keinem anderen Land der EU könne der Justizminister Richter und Gerichtspräsidenten willkürlich feuern. Das sei in Polen geplant. Auf ein Justizsystem, in dem Richter Anrufe aus Parteizentralen bekommen, bevor sie entscheiden, könne man sich nicht verlassen, wetterte Timmermans.

Verfahren gegen Polen laufen

Die EU-Kommission hat mehrere Verfahren gegen verschiedene Gesetze zur Umgestaltung des Justizwesens und des Verfassungsgerichts in Gang gesetzt. Das älteste Verfahren wegen der Reform des Verfassungsgerichts und der grundsätzlichen "Gefährdung der Herrschaft des Rechts" in Polen läuft schon seit eineinhalb Jahren. "Die schriftlichen Antworten der polnischen Regierung lassen keine konkreten Schritte erkennen, wie auf unsere Bedenken eingegangen werden soll", sagte Frans Timmermans im Parlament. Er könne noch nicht sagen, was der nächste Schritt der EU-Kommission sein werde, die sich frühestens am kommenden Mittwoch mit einer Verschärfung des Verfahrens beschäftigen kann.

Als schärfste Waffe könnte die EU-Kommission ein Verfahren nach Artikel 7 des Lissabonner EU-Vertrages gegen Polen vorantreiben, das am Ende zum Entzug der Stimmrechte und zu Geldstrafen führen kann. "Wir wollen eigentlich kein Verfahren nach Artikel 7 und auch keine Bestrafung Polens", meinte Frans Timmermans. Aber es sei auch klar, dass die EU alle Instrumente nutzen werde, um die Rechtsstaatlichkeit in Polen wieder herzustellen. Nach kritischen Nachfragen von EU-Parlamentariern stellte Timmermans noch einmal klar, dass die polnische Regierung natürlich das Justizwesen neu gestalten könne, nur müsse sie dabei rechtsstaatliche Regeln einhalten. Diese Regeln seien in den EU-Verträgen festgelegt. Ohne Rechtsstaatlichkeit würde zum Beispiel auch der gemeinsame Binnenmarkt in Europa nicht funktionieren. Ein deutlicher Hinweis an die polnische Regierung von Seiten der EU-Kommission, dass sie vielleicht auch die wirtschaftliche Integration in die EU riskiert.

Proteste gegen die Justizrerform in Polen vor dem Parlament in Warschau (Juli 2017)Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Wlodarczyk

Polen fast allein auf weiter Flur

Noch deutlicher wurde die liberale Abgeordnete Sophia in t'Veld. Sie forderte die EU-Kommission auf zu handeln und der Welt und Polen zu zeigen, wer die moralische Autorität besitze. "Polen ist der EU freiwillig beigetreten und muss die Verträge einhalten", sagte in t'Veld. Weitere Abgeordnete meinten, eine Suspendierung der Mitgliedschaft Polens nach Artikel 7 dürfe kein Tabu sein, falls die nationalkonservative Regierung der Partei "Recht und Gerechtigkeit" nicht einlenke. "Die EU-Institutionen stehen hinter uns", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission. Auch der Ministerrat, also die Vertretung der Mitgliedsstaaten, hatte im Mai Polen zu einem konstruktiven Verhalten aufgefordert. Bei einer Abstimmung über konkrete Schritte würde Ungarn, so Ministerpräsident Victor Orban, aber mit Polen stimmen. Da Strafmaßnahmen Einstimmigkeit erfordern, wäre ein Verfahren nach Artikel 7 blockiert. Das Europäische Parlament hatte Polen in Resolutionen bereits zum Einlenken aufgefordert.

Richter in Polen unter Druck

03:59

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Bislang hatte die deutsche Regierung bei den Beratungen zur polnischen Rechtsstaatlichkeit in Brüssel auch eher auf Ausgleich und fortgesetzten Dialog gesetzt. Am Dienstag jedoch sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Pressekonferenz, Deutschland wünsche sich gute Beziehungen zu Polen. "Aber wir können da nicht einfach den Mund halten", so die Kanzlerin. "Zusammenhalt unter Preisgabe der Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr die Europäische Union." Die polnische Regierung wies die Äußerungen von Angela Merkel scharf zurück. Es gehe der Kanzlerin um Politik und nichts anderes, so Justizminister Zbigniew Ziobro. "Fakten zählen nicht."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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