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Politik

EU will Gas-Notstand wegsparen

20. Juli 2022

Die EU-Staaten sollen ihren Gaskonsum reduzieren und sich gegenseitig solidarisch beliefern. Die EU-Kommission legt einen Notfallplan vor, um ohne russisches Gas über den Winter zu kommen. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Belgien Brüssel | EU Hauptquartier - Ursula von der Leyen: Vorstellung des Gas Notfallplans
Sparen und teilen: Die EU-Kommissionspräsidentin (links) beschwört die MitgliedsstaatenBild: JOHN THYS/AFP/Getty Images

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte, sekundiert von den Kommissaren für Klima, Energie und Industrie, an die gemeinsame Solidarität: "Alle Mitgliedsstaaten müssen Gas sparen, speichern und teilen", sagte von der Leyen. Es seien herausfordernde Zeiten, aber man werde es schaffen, wenn alle 27 Mitgliedsländer einheitlich handelten.

Sollte Russland seinen Gasexport nach Europa abrupt einstellen, würde die Lücke zwischen Angebot und Bedarf in einem durchschnittlich kalten Winter mindestens 30 Milliarden Kubikmeter betragen. Die EU-Kommission schlägt auf Grundlage des selten genutzten Notfall-Artikels 122 der EU-Verträge vor, dass die Mitgliedsstaaten dringend folgende Maßnahmen "im Geiste der Solidarität" beschließen:

Von der Leyen, EU-Kommissar Timmermans (re.): Auf den Notfall vorbereitenBild: Virginia Mayo/AP/picture alliance

- Der Gasverbrauch in allen Mitgliedsstaaten soll durch Einsparungen in Industrie und bei privaten Verbrauchern von sofort an um 15 Prozent reduziert werden. Bezugsgröße für das Reduktionsziel ist der durchschnittliche Verbrauch der letzten fünf Jahre. Das Einsparziel betrifft auch Staaten wie die Niederlande, Portugal oder die baltischen Staaten, die kein russisches Gas beziehen. Bislang habe die EU seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine insgesamt rund fünf Prozent Gas eingespart. Das sei nicht ausreichend, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson.

- Der Füllstand der Gasspeicher in der EU, die im Moment durchschnittlich 65 Prozent beträgt, soll auf 80 Prozent steigen, indem durch Einsparung nicht verbrauchtes Gas eingelagert wird. 

- Der Verbrauch von Gas zur Stromerzeugung soll durch mehr Einsatz von Kohle, Öl und anderen Energiearten reduziert werden.

- Die EU-Mitgliedsstaaten sollen auf freiwilliger Basis gemeinsam Gas einkaufen, um den Preis auf den internationalen Märkten zu senken. Außerdem sind sie dazu angehalten, sich bei Versorgungslücken gegenseitig Gas zu liefern. Das legt bereits eine bestehende SOS-Verordnung (Security Of Supply) fest. Darin werden die EU-Mitglieder aufgefordert, freiwillig untereinander bilaterale Abkommen zu schließen. Davon gibt es bislang jedoch nur wenige. Ein Quotensystem zur zentralen Verteilung von knappem Gas durch die EU-Zentrale in Brüssel gibt es nicht.

- Die Suche nach alternativen Gaslieferanten in den USA, Kanada, Katar, Algerien, Aserbaidschan und anderen Staaten soll verstärkt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rechnete vor, dass die EU seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bereits mehr Lieferungen von "nicht-russischem Gas" habe sichern können, als Russland in der gleichen Zeit gekürzt habe.

- Der Ausbau erneuerbarer Energie soll beschleunigt werden, kündigte EU-Kommissar Frans Timmermans an. Staaten, die - anders als Deutschland oder Italien - nicht so sehr von russischem Gas abhängig sind, sollen sich solidarisch zeigen, sagte Timmermans, denn sollte die Industrie in Deutschland oder Italien nicht mehr produzieren könne, würde die Wirtschaft in der ganzen EU extrem leiden.

Banger Blick nach Lubmin: Wird wieder Gas durch die aus Russland ankommende Röhre Nord Stream 1 fließen?Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

EU-Staaten müssen noch zustimmen

Die Energieminister der EU sollen bei einer Sondersitzung am kommenden Dienstag über den Vorschlag der EU-Kommission abstimmen.

"Putin will uns in diesem Winter unter Druck setzen, aber er wird scheitern, wenn wir zusammenhalten und gemeinsam handeln", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Gasturbine, die nach russischen Angaben die Wiederaufnahme von Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 verzögern könnte, ist auf dem Weg nach Russland, sagte von der Leyen. Die Turbine der Firma Siemens war in Kanada zur Reparatur. Für den Transport nach Russland musste eine Ausnahmegenehmigung von den EU-Sanktionen erteilt werden. "Das ist kein Vorwand, kein Gas zu liefern", so von der Leyen. "Es gibt genug identische Turbinen, die verfügbar wären. Das ist nicht die einzige Turbine auf der Welt." Die Wartungsarbeiten für Nord Stream1 sollen am Donnerstag enden. Ob und wie viel Gas fließen wird, ist offen. Eine Nutzung der fertig gestellten, aber aus politischen Gründen nicht in Betrieb genommenen parallelen Pipeline Nord Stream 2 schloss die EU-Kommissionspräsidentin aus.

Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) äußerte sich skeptisch zum Notfallplan der EU-Kommission. Man brauche keine Energiespartipps der EU, sondern praktische Solidarität. So müsste zum Bespiel Polen, das volle Gasspeicher hat, Deutschland mitbeliefern, wenn es hier zu Engpässen komme. "Das Kernproblem besteht darin, dass wir im Winter schlichtweg zu wenig Gas haben werden, wenn Russland uns den Gashahn zudreht", sagte Markus Ferber in Brüssel. Das gefährde die Substanz des Wirtschaftsstandorts Deutschland. "Allein mit Informationskampagnen und dem Runterdrehen der Heizung in den Amtsstuben kommt man einem Problem dieser Tragweite nicht bei", so Ferber.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union