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Politik

EU will Türkei nicht verstoßen

Barbara Wesel Tallinn
8. September 2017

Viele EU-Außenminister sind gegen einen Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei. Und Ankara scheint im Fall der türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan auf Deeskalation zu setzen. Aus Tallinn Barbara Wesel.

Tallinn EU-Außenministertreffen Beitrittskandidaten
Bild: picture-alliance/Estonian Presidency via AP

Am Ende des zweitägigen Treffens der EU-Außenminister war die Sache glasklar: Es gibt derzeit im Kreise der europäischen Regierungen keine Mehrheit für den Vorstoß aus Deutschland, die Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beenden. Zwar hatte die Bundeskanzlerin auch nach der Wahldebatte ihr Versprechen erneuert, sie wolle das Thema beim nächsten Gipfeltreffen im Oktober auf die Tagesordnung bringen, aber sie dürfte sich bei der anschließenden Diskussion ziemlich alleine finden.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ist im Kreise seiner Kollegen ein alter Hase. Er weiß, wie man Mehrheiten schmiedet und Ergebnisse erzielt. So, wie Berlin das gerade macht, wohl eher nicht. "Wir müssen aufpassen. Wenn wir in diesem sensiblen Punkt Türkei eine Debatte lancieren, müssen wir wissen, wo wir hinten rauskommen. Wenn wir das nicht wissen, rate ich zur Vorsicht", sagt Asselborn im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Er wisse, dass in Deutschland Wahlkampf und Berlin extrem genervt von den Beleidigungen und Angriffen sei, die ständig vom türkischen Präsidenten ausgingen. Und selbstverständlich spiele dabei die Frage nach den Menschenrechten und den Bürgern, die eingesperrt sind, eine Rolle, darunter einige Deutsche, wenn auch in der Mehrheit Türken. Aber man sei in der EU nicht an einem Punkt, die Gespräche formal einzufrieren oder abzubrechen.

Asselborn: EU-Türkei-Gespräche weder abbrechen noch einfrieren

06:52

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"Türkei nicht verstoßen"

Man brauche ein Drittel der Stimmen, um bei der EU-Kommission einen Bericht in Auftrag zu geben, und eine qualifizierte Mehrheit, um die Verhandlungen formell einzufrieren. Das bedeutet mindestens 16 Länder, die für 65 Prozent der Bürger stehen. "Das ist zur Zeit nicht der Fall, (…) das geht über meine Vorstellungen".

Zu dem litauischen und finnischen Minister, die bereits am Vortag die Idee abgelehnt hatten, gesellte sich inzwischen in Tallinn noch der Brite Boris Johnson: "Man darf die Türkei nicht verstoßen, sie ist ein strategisch wichtiger Partner für uns." Ähnlich der Ire Simon Coveney: "Es ist wichtig für die EU, nahe an der Türkei zu bleiben und den Dialog fortzusetzen". Offenbar auch dann, wenn dieser gar nicht wirklich stattfindet, denn tatsächlich stehen die Gespräche still.

Zählt man zu diesem Meinungsspektrum noch die Haltung der Regierungen in Schweden und Belgien, die keinen Handlungsbedarf in dieser Frage sehen, und den ungarischen Außenminister Peter Sijjarto, der auch "irgendeine Art von strategischer Partnerschaft" mit der Türkei will, wird überdeutlich, dass es für den Vorschlag aus Berlin keine Mehrheit gibt.

Verhandelt doch mit uns!

Aus Ankara scheinen inzwischen gewisse Signale der Deeskalation zu kommen. Nachdem bereits zwei deutsche Staatsbürger freigelassen wurden, denen Kontakte zur Gülen Bewegung vorgeworfen wurden, erhielt am Freitag die Schriftstellerin Asli Erdogan ihren Reisepass wieder.

Aussprache: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der türkische Europaminister Ömer Celik beim EU-Außenministertreffen in TallinnBild: picture-alliance/abaca/M. Aygun

Hört man dann dem türkischen Europaminister Ömer Celik zu, der zum Treffen mit den Kandidatenländern nach Tallinn kam, liegt der Handlungsbedarf allein bei der EU. "Setzt den Dialog zwischen der EU und der Türkei fort", forderte er ein ums andere Mal. Die wichtigste Fähigkeit der Europäer sei es doch zu verhandeln, wenn sie damit aufhörten, würden sie selbst an Einfluss verlieren.

Man sollte gleich zwei neue Beitrittskapitel eröffnen, forderte Celik, und am besten auch das über die Rechtstaatlichkeit. Dann könne man doch über alle Fragen reden und die Probleme verhandeln, die die EU mit der Türkei habe.

Darf nun doch ausreisen: Die türkische Schriftstellerin Asli Erdogan wird am 22.9. in Osnabrück mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Streit mit Berlin

Dabei weiß Celik genau, dass die EU-Kommission schon seit Jahren keine Möglichkeit sieht, neue Kapitel zu verhandeln, weil die Türkei immer weniger die Grundvoraussetzungen für Gespräche mitbringt. Daran ändert auch die Behauptung Celiks nichts, dass die Türkei tief in der europäischen Demokratie verankert sei und sich weiter als Kandidat für eine volle Mitgliedschaft sehe.

Und das Verhältnis zu Deutschland? "Deutschland ist unser Verbündeter, wir haben eine tiefe Verbindung". Aber es gebe Probleme, weil Deutschland die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und die Gülen-Bewegung bei sich dulde. Nach Auffassung von Celik helfe Berlin damit Terroristen.

Und der Vorstoß der Kanzlerin? Die Bundesregierung würde die EU zur Lösung ihrer bilateralen Probleme mit der Türkei missbrauchen, wenn sie jetzt einen Vorstoß zum Abbruch der Gespräche mit der Türkei mache. Glaubt man Ömer Celik, dann beruht alle Kritik der Europäer an der Entwicklung in der Türkei einfach nur auf Missverständnissen.

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