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PolitikEuropa

"Offene Arme" für Flüchtlinge aus der Ukraine

27. Februar 2022

Alle Kriegs-Flüchtlinge aus der Ukraine werden aufgenommen, verspricht die EU. Alle? Oder nur Ukrainer? Auch afrikanische Studenten aus Kiew, die nach Polen wollen, sind gemeint, stellt die EU klar.

Polen | Ukrainische Flüchtlinge am Grenzübergang Medyka
Grenzübergang Medyka: Frauen und Kinder aus der Ukraine fliehen nach PolenBild: Darek Delmanowicz/EPA-EFE

"Ich weiß nicht, wie viele kommen werden", antwortete die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson beim Sondertreffen der EU-Innenministerinnen und Innenminister in Brüssel auf die Frage, mit welchem Zustrom an Flüchtlingen aus der Ukraine sie rechnet. "Ich denke, wir werden uns auf Millionen vorbereiten müssen." Bis zum Sonntag, also vier Tage nach dem russischen Angriff, seien 200.000 Menschen, hauptsächlich Kinder, Frauen und ältere Männer nach Polen eingereist, teilte der polnische Grenzschutz mit. Wehrfähige Männer müssen in der Ukraine bleiben. Schätzungen der Vereinten Nationen und von Flüchtlingsorganisationen gehen von vier bis sieben Millionen Menschen aus, die vor dem russischen Einmarsch fliehen werden. Wie viele dann tatsächlich über die Grenzen nach Westen wollen, hängt ganz von der Entwicklung der militärischen Lage in diesem Krieg ab. Wie lange sie bleiben wollen oder müssen, hängt davon ab, wer diesen Krieg gewinnt oder beendet. Falls Russland seine Angriffe irgendwann einstellt und abzieht, könnten die Familien auch schnell wieder zu ihren Vätern, Söhnen und Brüdern zurückkehren, glauben EU-Beamte.

Diesmal unbegrenzte Aufnahme

Klar ist nur, dass die zu erwartenden Einreisen den sogenannten "Flüchtlingssommer" von 2015 bei Weitem überschreiten werden. Damals kamen rund eine Million Flüchtlinge und Asylsuchende aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet über Griechenland nach Mitteleuropa, vornehmlich nach Deutschland. Die EU-Mitgliedsstaaten sind bis heute nicht in der Lage gewesen, einen solidarischen Verteilmechanismus für solche Flüchtlingsströme zu finden. Der Rechtslage nach sind die Staaten der Erst-Einreise zuständig. Nationalkonservative Staaten wie Polen, Ungarn oder Österreich weigerten sich zeitweise, zusätzliche Asylsuchende aufzunehmen oder einen Verteilungsmechanismus überhaupt zu diskutieren. Die Solidarität in der Migrationsfrage ist der größte Zankapfel in der EU gewesen. Doch das ändert sich jetzt.

"Es ist zum ersten Mal wieder Krieg in Europa und das führt auch bei den Mitgliedsstaaten zu einem anderen Denken", sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser beim Treffen mit ihren Kollegen in Brüssel. Sie sehe einen "totalen Paradigmenwechsel". Alle Flüchtlinge aus der Ukraine seien willkommen, versprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Jeder wird mit offenen Armen empfangen, der vor Putins Bomben fliehen muss." Das Versprechen "refugees welcome" war 2015 auch auf vielen Plakaten in Deutschland und anderen Staaten zu lesen. Doch die Stimmung änderte sich bald, je mehr die Zahlen wuchsen.

Aufnahme auch von Flüchtlingen aus Drittstaaten

Diesmal sind die Voraussetzungen anders, weil unmittelbare Nachbarn vor einem Krieg fliehen, den Europa so nicht mehr für möglich gehalten hat. Die allermeisten Menschen aus der Ukraine kommen in Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien bei Verwandten oder Privatpersonen unter. Sammelunterkünfte in Polen würden - noch - kaum genutzt, heißt es von den polnischen Behörden.

Von der Ukraine in die Slowakei: Flüchtlinge am Übergang UblaBild: Radovan Stoklasa/REUTERS

Aus Afrika stammende Flüchtlinge, die in der Ukraine lebten und nach Polen ausreisen wollten, wurden an der Grenze von polnischen Grenzschützern schikaniert oder abgewiesen. Eine Mitarbeiterin des südafrikanischen Außenministeriums twitterte, südafrikanischen Studenten sei an der ukrainisch-polnischen Grenze übel mitgespielt worden. Mitarbeiter afrikanischer Botschaften versuchen, ihren Landsleuten an den polnischen Grenzübergängen die Einreise aus der Ukraine zu ermöglichen.

Die EU-Kommissarin für Inneres und Migration, Ylva Johansson, stellte in Brüssel klar, dass die Grenze auch für Menschen aus Drittstaaten offen sei, die in der Ukraine lebten und in ihre Heimatländer weiterreisen wollten. "Denen muss geholfen werden. Außerdem können Schutzbedürftige in der EU auch Asylanträge stellen."

Ylva Johansson: Wir müssen vorbereitet sind, dass die Menschen länger bleibenBild: John Thys/AFP/Getty Images

Kein Zaun in Polen

Noch ist ein offizieller Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge aus der Ukraine nicht nötig. Aus Polen und den anderen östlichen Nachbarstaaten lägen noch keine Anforderungen vor, jemanden umzusiedeln, heißt es aus dem deutschen Innenministerium. "Polen nimmt Flüchtlinge auf und tut das in hervorragender Weise. Da gibt es im Moment kein Hilfsgesuch, das an uns gerichtet würde. Wir versuchen jetzt, Polen logistisch zu unterstützen", lobte Innenministerin Nancy Faeser. Vor einigen Wochen klang das noch ganz anders, als Polen begann an seiner Grenze zu Belarus eine Befestigung zu bauen, um Flüchtlinge und Asylsuchende aus Irak, Afghanistan oder andere Migranten vom Grenzübertritt abzuhalten. Die polnische Regierung weigerte sich, diesen Flüchtlingen ein Asylverfahren zu gewähren, weil der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Menschen ins Land gelockt und an die Grenze verfrachtet hatte. Sie mussten wochenlang in der Kälte im Niemandsland ausharren.

Erstmals spezielles EU-Recht anwenden

Jetzt ist das anders. Die EU hat keine Probleme mit den Einreisenden aus der Ukraine, weil die meisten einen biometrischen Reisepass besitzen und 90 Tage ohne Visum in der EU bleiben können. "Wir müssen aber für den Tag 91 vorbereitet sein", mahnt EU-Kommissarin Johansson. Deshalb wird die EU zum ersten Mal ein Gesetz über "zeitweise massenhafte Schutzgewährung" anwenden, um den Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge unbürokratisch zu verlängern. Sie brauchen keine komplexen Asylverfahren zu durchlaufen. Bei der Flüchtlingswelle 2015 gab es diese Schutz-Richtlinie auch schon. Sie wurde aber nicht angewendet. Entstanden ist dieses Gesetz zur Schutzgewährung nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren.

Der Innenministerin von Litauen, Agne Bilotaite, gehen die Beschlüsse der EU vom Sonntag nicht weit genug. Sie wünscht sich einen festen Verteilmechanismus für Flüchtlinge aus der Ukraine, den die EU-Kommission in Brüssel organisieren sollte. "Außerdem braucht man auch einen Umsiedlungs-Mechanismus, um Verwundete, Frauen und Kinder aus der Ukraine herausholen zu können." Auf die nächsten Wochen des Krieges müsse man sich jetzt vorbereiten. Am Donnerstag tagen die Innenministerinnen und Innenminister erneut.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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