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Moscovici spürt Rückenwind

Bernd Riegert5. Mai 2015

Erstmals seit Jahren spürt die EU-Kommission Rückenwind für die Konjunktur. Die "Frühjahrsprognose" fällt einigermaßen optimistisch aus. Nur für Griechenland wird es bitter. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Stressabbau auf einer Wiese Kulturkalender
Bild: Fotolia/The Photos

Am Morgen war noch ein schweres Gewitter über Brüssel und das Gebäude der EU-Kommission hinweggezogen. Doch Blitz und Donner verzogen sich als mittags EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici die Bühne im Pressesaal erklomm. "Der Frühling ist da. Wir haben Rückenwind", verkündete Moscovici erleichtert. "Das ist die entspannteste Frühjahrsprognose seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008", frohlockte der französische Kommissar. Das Wirtschaftswachstum in den 28 EU-Staaten werde in diesem Jahr auf 1,8 Prozent steigen und im nächsten Jahr auf 2,1 Prozent. In den 18 Staaten der Währungsgemeinschaft Euro erwartet die EU-Kommission ein Wachstum von 1,5 Prozent in diesem bzw. 1,9 Prozent im nächsten Jahr. Die Frühjahrsprognose fällt damit noch einen Hauch optimistischer aus als die Winterprognose, die Moscovici vor drei Monaten vorgestellt hatte. 2016 werde die Wirtschaftsleistung zum ersten Mal wieder das Niveau erreichen, das sie in Europa vor der Finanzkrise hatte. "Die Gesundung hat lange gedauert", aber sie sei da, schlussfolgerte Moscovici.

Ohne Öl kein Frühling

Der EU-Kommissar räumte allerdings ein, dass der "Rückenwind" vor allem aus drei Richtungen bläst: Der außergewöhnlich niedrige Ölpreis, der schwache Euro-Kurs und die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Alle drei Phänomene sind nicht auf eine besonders engagierte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen zurückzuführen. Pierre Moscovici forderte die EU-Staaten darum auf, bei Reformanstrengungen und Haushaltskonsolidierung nicht nachzulassen. Wenn der Ölpreis schneller als erwartet wieder anziehe, so Moscovici, könnte der "Frühling" schnell wieder in Gefahr geraten. Verglichen mit der Weltkonjunktur hinkt Europa hinterher. Das globale Wachstum soll, so glaubt die EU-Kommission, nämlich 3,5 Prozent im laufenden Jahr betragen. Von den größeren Ländern wachsen Polen (3,3). Spanien (2,8) und Großbritannien (2,6) am schnellsten. Schlusslichter sind Frankreich (1,1) und Italien (0,6). Deutschland, die größte Wirtschaftsnation in der EU, wächst um 1,9 Prozent, leicht über dem Durchschnitt.

Herr der Zahlen und Kurven: Pierre MoscoviciBild: Reuters/Yves Herman

Griechenland fällt zurück

Sorgen bereitet der EU-Kommission Griechenland. Noch im Winter hatte Pierre Moscovici ein kräftiges Wachstum für das krisengeplagte Land vorausgesagt. Doch nachdem sich die neue griechische Regierung mit ihren internationalen Geldgebern nicht einigen kann, wird 2015 wohl ein verlorenes Jahr für Griechenland sein. "Im Lichte der fortdauernden Unsicherheit war es unvermeidlich, die Prognose nach unten zu korrigieren. Die griechische Wirtschaft wird in diesem Jahr nur um 0,5 Prozent wachsen. Nächstes Jahr kann es einen starken Aufschwung von 2,9 Prozent geben", sagte Moscovici in Brüssel. Das setze aber voraus, dass sich Griechenland und die Euro-Zone bis Ende Juni einigten. "Das strebt die EU-Kommission weiter an." Tiefer gehende Fragen zur finanziellen Lage in Griechenland wollte Moscovici nicht beantworten. Auf jeden Fall müsse Griechenland Mitglied der Währungsgemeinschaft bleiben. Im gleichen Boot wie Griechenland sitzen vom Wirtschaftswachstum her gesehen Finnland (0,3), Kroatien (0,3) und Zypern (-0,5).

Verschuldung sinkt zum ersten Mal leicht ab

Wegen des Stillstands wird die Verschuldung in Griechenland, die ja im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung gemessen wird, noch weiter ansteigen. Den eigentlich erwarteten Überschuss im Haushalt ohne Schuldendienst wird es nicht geben, schätzt der Internationale Währungsfonds. In den meisten anderen EU-Staaten wird dagegen die Verschuldung der Staaten sinken, so Pierre Moscovici. "Zum ersten Mal seit dem Beginn der Finanzkrise, und das sind sehr wichtige Neuigkeiten, nimmt der Schuldenstand ab. Die Schuldenlast verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte ihren höchsten Stand im Jahr 2014. Sie lag in der EU bei 89 Prozent und in der Euro-Zone bei 94 Prozent. In diesem Jahr und im kommenden Jahr wird sie erstmals abnehmen." Zielmarke sind nach den Veträgen der EU eigentlich 60 Prozent Schuldenlast. Die niedrigste Schuldenquote hat nachwievor Estland mit unter zehn Prozent, die höchste Griechenland mit über 180 Prozent.

Arbeitslosigkeit weiter hoch

In Ländern, die wie Griechenland finanzielle Hilfen von europäischen Rettungsfonds und IWF erhalten haben, gehe es ganz langsam aufwärts - so die frühlingshafte Botschaft der EU-Kommission. Irland und Portugal würden wachsen. In Zypern werde das Wachstum im kommenden Jahr wieder einsetzen. Die hohe Arbeitslosigkeit bleibt, bis aus wenige Ausnahmen wie Deutschland, ein großes Problem. "Die Arbeitslosigkeit sinkt insgesamt, aber sie ist in einigen Staaten natürlich immer noch viel zu hoch. In der Europäischen Union und der Euro-Zone erwarten wir eine Arbeitslosenquote 9,6 bzw. 11 Prozent, weil die positiven Effekte sich langsam über alle Sektoren der Wirtschaft ausbreiten."

Die EU-Kommission veröffentlicht drei Mal im Jahre ihre eigenständig erarbeiteten Prognosen. Sie können von den Zahlen abweichen, die nationale Regierungen für ihre Wirtschaft errechnet haben. Die deutsche Bundesregierung schätzt die Konjunkturentwicklung stets etwas zurückhaltender ein, während deutsche Wirtschaftforschungsinstitute für 2015 sogar von einem Plus von bis zu 2,2 Prozent ausgehen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das den Arbeitgebern nahesteht, warnte aber schon letzte Woche bei der Vorlage der deutschen Zahlen, der Rückenwind sei vor allem auf "Sondereffekte und Strohfeuer" wie den niedrigen Ölpreis und niedrigste Zinsen zurückzuführen. "Ein nachhaltiger Aufschwung aus eigener Kraft verbindet sich damit nicht," warnte IW-Direktor Michael Hüther. Glaubt man Hüther, dann könnte es sich also derzeit nur kurz Aufklaren und das nächste Gewitter ist bereits im Anmarsch.

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