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Politik

EuGH kippt Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

20. September 2022

In der Koalition dürfte das Urteil für neuen Zwist sorgen. Denn die Ampelparteien vertreten in der Angelegenheit höchst unterschiedliche Positionen.

Symbolfoto Inernetverbindung
Der EuGH bestätigt mit dem Urteil seine bisherige Rechtsprechung (Symbolbild)Bild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland für unzulässig erklärt. Die Regelungen verstießen im Wesentlichen gegen EU-Recht, erklärten die Richter. Wenn es nicht um die Verteidigung der nationalen Sicherheit gehe, sei eine Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten im Bereich der elektronischen Kommunikation nur in engen Schranken möglich. Unabhängig von einer zeitlichen Begrenzung stelle der Zugang zu solchen Informationen einen schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte dar, da sich sehr genaue Rückschlüsse auf das Privatleben ziehen und individuelle Profile betroffener Personen erstellen ließen.

Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könnten die Mitgliedstaaten jedoch "unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit insbesondere eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen", so das Gericht.

Seit 2017 auf Eis

Hintergrund des Urteils ist ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom, die gegen die Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz vorgegangen waren. Die Bundesnetzagentur hatte die Regelung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der Daten verpflichtet werden darf - wenige Tage, bevor die neue Regel hätte in Kraft treten sollen. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Sache dem EuGH vor.

Der EuGH kippte in den vergangenen Jahren mehrfach nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung (Archivbild)Bild: Arne Immanuel Bänsch/dpa/picture alliance

In der rot-grün-gelben Regierungskoalition dürfte das Luxemburger Urteil für weiteren Zwist sorgen. Denn die Vorratsdatenspeicherung ist unter den Koalitionspartnern hoch umstritten. Es geht um die Frage, ob Internetprovider und Telekommunikationsanbieter die Daten ihrer Kunden - also beispielsweise IP-Adressen und Rufnummern - für den Zugriff von Behörden speichern müssen. Das sieht das Telekommunikationsgesetz vor, das derzeit auf Eis liegt.

Offene Formulierung im Koalitionsvertrag

Während Sicherheitspolitiker darin ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus sehen, sprechen Bürgerrechtler und Verbraucherschützer von einem unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre. In den Koalitionsverhandlungen hatte die FDP mit Macht auf eine Vereinbarung zur Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung gedrungen. Die Grünen sehen dieses Instrument ebenfalls kritisch.

Im Koalitionsvertrag landete im vergangenen Herbst schließlich eine Formulierung, die viele Fragen offenlässt: "Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können."

"Guter Tag für die Bürgerrechte"

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach in einer ersten Reaktion auf das Urteil von einem "guten Tag für die Bürgerrechte". Zugleich kündigte er an, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz gestrichen werde.

Kündigt Gesetzesnovelle an: Bundesjustizminister Marco Buschmann (Archivbild)Bild: DW

Buschmann ist ein entschiedener Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Er setzt stattdessen auf ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren mit Richtervorbehalt. Das bedeutet, dass ein Telekommunikationsanbieter auf richterliche Anordnung bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum speichern muss. Dieses Verfahren hat auch der EuGH in den vergangenen Jahren für rechtmäßig befunden. Dagegen hatte der Gerichtshof schon mehrfach nationale Regelungen in verschiedenen Ländern gekippt.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kommentierte die Entscheidung der Luxemburger Richter mit Bedauern und erklärte, die Ermittlungsarbeit werde hierdurch erschwert. Die GdP forderte die Bundesregierung auf, "eine für die Ermittlungsbehörden praxistaugliche Vorratsdatenspeicherung zu vereinbaren".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will sich in Kürze zu dem Urteil äußern. Sie hatte unlängst beim Jahresempfang der Sicherheitsbehörden betont, Polizei und Verfassungsschutz brauchten Eingriffsbefugnisse auf der Höhe der Zeit.

jj/ww (dpa, afp, epd, kna)