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Was das EuGH-Urteil über "sichere Herkunftsstaaten" bedeutet

1. August 2025

Unter welchen Voraussetzungen dürfen EU-Mitgliedstaaten sogenannte sichere Herkunftsländer festlegen? Damit hat sich der EuGH im Zusammenhang mit dem italienischen "Albanien-Modell" befasst und neue Leitlinien gesetzt.

Migranten besteigen im Hafen von Shengjin im Nordwesten Albaniens ein Schiff der italienischen Küstenwache, das sie zurück nach Italien bringen soll.
Migranten besteigen im Hafen von Shengjin im Nordwesten Albaniens ein Schiff der italienischen Küstenwache, das sie zurück nach Italien bringtBild: Vlasov Sulaj/AP Photo/picture alliance/dpa

Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich per Gesetz bestimmen, was ein "sicherer Herkunftsstaat" ist. Allerdings müssen nationale Gerichte überprüfen können, ob die anwendbaren EU-Vorschriften dabei eingehalten wurden, stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fest. Informationsquellen, die zur Bestimmung eines Landes als "sicheres Herkunftsland" dienen, müssen sowohl den Gerichten als auch betroffenen Antragstellern zugänglich sein.

Ausgangspunkt war der Fall von zwei Migranten aus Bangladesch. Sie waren gemäß des Albanien-Italien-Protokolls nach Albanien gebracht worden. Dort wurden ihre Anträge durch die italienischen Behörden abgelehnt, weil Bangladesch nach den italienischen Vorschriften als "sicher" gilt. Ein italienisches Gericht wollte den Fall vom EuGH prüfen lassen. Nur wenn ein Herkunftsstaat als "sicher" gilt, können sogenannte beschleunigte Verfahren an der Grenze durchgeführt werden.

Herkunftsland muss für alle Personengruppen sicher sein

Italiens rechte Regierung von Giorgia Meloni will in Albanien Asylverfahren nach italienischem Recht durchführen lassen. Bislang scheiterten diese aber weitestgehend am Widerstand italienischer Gerichte. Zwischen der Justiz und der Regierung entbrannte ein regelrechter Streit, wer bestimmen dürfe, was ein "sicherer Herkunftsstaat" ist. Im Oktober 2024 legte Italiens Regierung dann per Gesetzesdekret fest, dass es sich bei rund 19 Staaten, darunter Bangladesch, um sichere Herkunftsstaaten handele. Seit März sollen die albanischen Lager nun auch dazu genutzt werden, abgelehnte Asylbewerber unterzubringen, bis diese abgeschoben werden können.

Die rechtspolitische Sprecherin der Hilfsorganisation Pro Asyl, Wiebke Judith, ist vom EuGH-Urteil nicht überrascht. Sie hält es für eine wichtige Klarstellung, allerdings mit beschränkter Wirkung. Denn in dem Urteil hat der EuGH festgelegt, dass ein Herkunftsland nur dann als "sicher" gilt, wenn dort alle Personengruppen geschützt sind. Demnach reicht es also nicht aus, wenn ein Land für die meisten Menschen sicher ist - für Angehörige der LGBTIQ+-Bewegung aber beispielsweise nicht.

Meloni greift den EuGH an

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagierte scharf auf das Urteil. Wieder einmal würde die Justiz, in diesem Fall die europäische, Zuständigkeiten beanspruchen, "die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt". Zuvor habe die rechte Meloni-Regierung auch die italienische Justiz angegriffen, die vom EuGH nun Recht erhalten habe, sagt Andreina De Leo, Rechtswissenschaftlerin an der Uni Maastricht. 

Die Migrationsrechtsexpertin sieht im DW-Gespräch nur zwei Möglichkeiten für die italienische Regierung: Entweder suspendiere sie alle Schnellverfahren für Länder, in denen nicht alle Menschen sicher seien. Faktisch blieben dann wohl keine mehr übrig. Oder die Regierung müsse erklären, dass die Staaten vollkommen sicher seien, was De Leo für problematisch hält.

Die Lager in Albanien sind ein Prestigeprojekt der rechten italienischen Regierung von Giorgia Meloni Bild: Fabio Frustaci/ZUMA/IMAGO

Urteil mit beschränkter Wirkung

Spätestens mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Asylreform im Juni 2026 wird sich die Lage ändern. Für einen ansonsten als "sicher" eingestuften Herkunftsstaat können dann bestimmte Personengruppen ausgenommen werden, wie der EuGH selbst feststellt. Nur für diese Personen könne es dann kein Schnellverfahren geben. Potenziell würden dann aber mehr Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" gelten können.

Pro-Asyl kritisiere an den Asylreformplänen, dass die Standards für Herkunftsländer stark abgesenkt würden, sagt Menschenrechtsexpertin Judith. Und viele der Rechtsfragen würden sich mit der Reform erneut stellen.

Europaweite "sichere Herkunftsstaaten" in neuen Asylregeln

Ein "Konzept des sicheren Herkunftsstaates" wird es auch unter den neuen Asylregeln geben. Die EU-Kommission hat im April einen Vorschlag zu einer gemeinsamen europäischen Liste vorgelegt und führt Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesienauf.

Die Kommission schlug zugleich vor, die Ausnahmeregelung für "sichere Herkunftsstaaten" sowie das Grenzverfahren schon vor dem nächsten Jahr anzuwenden. Das verpflichtende Grenzverfahren betrifft dann jene Asylbewerber, die nur geringe Chancen auf Anerkennung haben, weil im Schnitt weniger als 20 Prozent ihrer Landsleute in der EU internationalen Schutz erhalten. Zuvor müssen aber noch EU-Parlament und Mitgliedstaaten dies beschließen.

"Aus unserer Sicht widerspricht das Konzept sicherer Herkunftsstaaten dem Recht auf ein faires und unvoreingenommenes Asylverfahren", sagt Pro-Asyl-Juristin Judith. Dabei handele es sich um nur einen "Baustein in einem großen Gerüst von Erschwerung, von Abschottung und Abschreckung von Geflüchteten".

Italienisches Flüchtlingslager im albanischen Gjader vor der Eröffnung im August 2024. Bild: Alketa Misja/dpa/picture alliance

Keine Absage an das Albanien-Modell

Beide Expertinnen sind sich einig: Mit dem heutigen Urteil wurde keine Aussage zu der allgemeinen Gültigkeit des Albanien-Modells getroffen. Wiebke Judith betont, die Anwendung der europarechtlichen Vorschriften sei in Albanien nicht zulässig. Außerdem ergäben sich weitere menschenrechtliche Probleme aus dem Handeln Italiens, etwa mit Blick auf das Festhalten der Geflüchteten.

Innerhalb der EU werden solche und vergleichbare Modelle schon seit längerem unter dem Stichwort "innovative Lösungen" diskutiert. An der Idee, Asylverfahren außerhalb des eigenen Territoriums durchzuführen, ist beispielsweise auch Dänemark interessiert. Deutschland möchte, wie auch andere Länder, abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten unterbringen können. 

Relevanter für die grundsätzliche rechtliche Beurteilung dürfte ein anderes noch ausstehendes EuGH-Urteil werden. So verweist Migrationsrechtsexpertin De Leo auf die dort zu behandelnde offene Frage, ob Europarecht in Albanien überhaupt angewendet werden darf. Dieses Urteil dürfte auch von anderen Mitgliedstaaten, die sich für solche Modelle aussprechen, mit Spannung erwartet werden. Denn Entscheidungen des EU-Gerichtshofes sind für alle 27 EU-Staaten bindend.