1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Osteuropäische Länder hätten Geflüchtete aufnehmen müssen

Marina Strauß
2. April 2020

Die EU-Staaten sind in der Flüchtlingspolitik tief zerstritten. Jetzt hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Ungarn, Tschechien und Polen gegen EU-Recht verstoßen haben. Von Marina Strauß, Brüssel.

Flüchtlinge am Grenzübergang Röszke zwischen Serbien und Ungarn
Flüchtlinge am Grenzübergang Röszke zwischen Serbien und Ungarn (September 2015)Bild: imago/M. Fejer

Ein Blick zurück: Als sich 2015 Hundertausende Flüchtlinge, viele von ihnen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, über die sogenannte Balkanroute auf dem Weg in die EU machen, beschließt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, einen Grenzzaun hochzuziehen - mit dem klaren Ziel, sein Land abzuschotten. Die Botschaft: Flüchtlinge sind nicht willkommen in Ungarn. Ähnlich war die Stimmung damals - und ist es auch heute noch - in den ebenfalls osteuropäischen EU-Staaten Tschechien und Polen.

Jetzt hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) verkündet, dass die drei Länder mit ihrem Vorgehen gegen geltendes EU-Recht verstoßen haben. Im September 2015 hatten die EU-Innenminister mehrheitlich beschlossen, Asylbewerber aus Italien und Griechenland innerhalb der Europäischen Union zu verteilen - gegen den Widerstand osteuropäischer Länder. Um die Mittelmeerstaaten zu entlasten, sollten nach bestimmten Quoten rund 160.000 Flüchtlinge in anderen EU-Staaten unterkommen.

Da sich Tschechien, Polen und Ungarn nach Sicht der EU-Kommission nicht an diese Beschlüsse hielten, leitete diese Ende 2017 eine Vertragsverletzungsklage ein. Dieser Klage gab der Europäische Gerichtshof nun statt. Die osteuropäischen Länder hatten ihre Weigerung damit begründet, ihre öffentliche Ordnung und innere Sicherheit schützen zu wollen.

"Europäischer Solidarität verweigert"

Birgit Sippel, Europaabgeordnete der deutschen Sozialdemokraten (SPD), begrüßt das EuGH-Urteil, denn es zeige deutlich, dass die drei Länder gegen ihre Verpflichtungen verstoßen haben und "sich widerrechtlich europäischer Solidarität verweigert haben".

Die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst fordert die EU dazu auf, nun einen Schritt weiterzugehen und "endlich ein faires und solidarisches System zu schaffen, das alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich an der Aufnahme von Asylsuchenden beteiligt".

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will nach Ostern einen "Migrationspakt" vorstellenBild: Reuters/F. Lenoir

Sie spielt damit auf den seit Jahren währenden Streit innerhalb der Europäischen Union an. Bisher gilt das sogenannte Dublin-System. Das Verfahren regelt, dass Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, in dem sie die Union betreten. Eine Prozedur, die Staaten mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland klar benachteiligt.

Diese Länder fordern deshalb eine Reform der EU-Asylpolitik. Das Problem dabei ist allerdings, dass etwa Polen, Ungarn und Österreich es kategorisch ablehnen, verpflichtend Asylbewerber aufzunehmen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will nach Ostern einen neuen Vorschlag vorlegen. Das Urteil des EuGH halte sie für wichtig, sagte von der Leyen nun in Brüssel. Und schob eine klare Botschaft an die drei betroffenen Staaten nach: "Es bezieht sich auf die Vergangenheit, aber es gibt uns Orientierung für die Zukunft."

Angst vor dem Coronavirus in den griechischen Flüchtlingscamps

Doch viele Ärzte und Hilfsorganisationen mahnen, dass besonders die Lage auf den griechischen Inseln ein schnelleres Handeln erfordere. Sie befürchten, in den beengten Flüchtlingslagern könne sich das Coronavirus besonders schnell ausbreiten. "Es ist abstrus, wenn in der EU Kontaktverbote gelten, aber im Camp Moria 20.000 Menschen eng gedrängt die Katastrophe erwarten müssen", sagt etwa Erik Marquardt, migrationspolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und zur Zeit auf Lesbos.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban darf nun per Dekret regierenBild: picture-alliance/AP/MTI/Z. Mathe

Das EuGH-Urteil gegen Ungarn, Polen und Tschechien kommt zu einer Zeit, in der vor allem Ungarn in der Kritik steht, die Demokratie im Land noch weiter auszuhöhlen. Die Entscheidung des Gerichts unterstreiche, dass alle EU-Mitgliedsstaaten der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet seien, was gerade in diesen Tagen betont werden müsse, sagt die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel im Hinblick darauf. Anfang der Woche hat das ungarische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Viktor Orban die Macht gibt, den wegen der Corona-Pandemie geltenden Notstand beliebig zu verlängern - ohne das Parlament einzubeziehen.

Konkrete Strafen für Tschechien, Ungarn und Polen nannte der EuGH bisher nicht. Deren Höhe würde der Gerichtshof erst berechnen, wenn die EU-Kommission das Gericht erneut anruft und finanzielle Sanktionen beantragt.

Lena Düpont, deutsche Abgeordnete, der konservativen EVP-Fraktion, sagt, die EU-Kommission müsse abwägen, ob eine solche Klage sinnvoll sei, weil die politische Bedeutung des nun getroffenen EuGH-Urteils über den Tag hinaus gehe: "Freiwillige und flexible Formen von Solidarität sind der aktuell gangbare Weg."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen