Darf Polen in einem der letzten Urwälder Europas zehntausende Bäume fällen, um den Borkenkäfer zu bekämpfen? Nein, sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Nach seiner Ansicht verstößt Polen gegen EU-Recht.
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Das höchste Gericht der Europäischen Union in Luxemburg entschied, dass Polen mit dem massiven Einschlag im geschützten polnischen Bialowieza-Urwald EU-Naturschutzrecht verletzt. Die Ausbreitung des Borkenkäfers rechtfertige nicht den Bewirtschaftungsplan und die Abholzung in dem Urwald, heißt es in dem Urteil. Damit entsprach der Gerichtshof einer Klage der EU-Kommission gegen Polen in vollem Umfang.
UNESCO-Weltnaturerbe und Biosphärenreservat
Bialowieza gilt als einer der letzten intakten Urwälder Europas mit einzigartiger Artenvielfalt. Der Naturraum erstreckt sich über 150.000 Hektar entlang der Grenze zwischen Polen und Weißrussland und gilt in Teilen als UNESCO-Weltnaturerbe und Biosphärenreservat. Zudem sind auf polnischer Seite rund 64.000 Hektar auch als Natura-2000-Gebiet nach EU-Recht besonders geschützt. Das bedeutet strenge Auflagen für die Forstwirtschaft.
Trotzdem erlaubte die polnische Regierung 2016, in dem Urwald fast drei Mal so viel Holz einzuschlagen wie zuvor. Im Jahr 2017 wurden nach offiziellen Angaben 150.000 Bäume gefällt. Die Behörden rechtfertigten dies mit der angeblichen Ausbreitung des Borkenkäfers in dem Schutzgebiet.
EuGH: Abholzung schadet geschütztem Borkenkäfer
Laut EuGH-Urteil wurde im polnischen Bewirtschaftungsplan von 2015 aber nicht der Borkenkäfer als potenzielle Gefahr für das Naturschutzgebiet benannt, "sondern die Entfernung von ihm befallener hundertjähriger Fichten und Kiefern". Der EuGH kam deshalb zu dem Schluss, dass die großflächigen Abholzungen "zwangsläufig zur Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten" streng geschützter Käfer führen.
Bereits vor der Urteilsverkündung hatte das polnische Umweltministerium erklärt, dass man die Entscheidung des EuGH respektieren werde.
ww/stu (afp, dpa, rtr)
Nationalpark Bialowieza: Sorge um Europas letzten Urwald
Kleiner Käfer mit großer Wirkung: Polnische Politiker wollen den Borkenkäfer ausrotten und lassen massenhaft Bäume in Europas jahrtausendealtem Urwald fällen. Doch Umweltschützer vermuten wirtschaftliche Interessen.
Bild: Reuters/K. Pempel
Unter den Wipfeln ist viel los
Er gehört sowohl zu Polen als auch zu Weißrussland: der 1500 Quadratkilometer große Flachlandmischwald Bialowieza, der die Bezeichnung Urwald verdient. Jahrhundertealte Bäume stehen dort. Unter ihren 50 Meter hohen Kronen wimmelt es vor Leben. Ob der geschützte Europäische Bison, Käfer, Luchse oder Pilze: Mehr als 20.000 Tierarten leben dort - darunter 250 Vogel- und 62 Säugetierarten.
Bild: Reuters/K. Pempel
Tote Bäume - Neues Leben
Das Holz absterbender Bäume bietet der Vielfalt von Pilzen und Insekten Nahrung. Strenge Auflagen regeln, dass herumliegendes Holz nur in geringen Mengen aufgesammelt werden darf, damit Flora und Fauna gut gedeihen können. Und eigentlich dürfen Bäume nicht gerodet werden - zumindest nicht in dem Teil, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört.
Bild: Reuters/K. Pempel
Fichtenborgenkäfer sorgt für Ärger
Während der weißrussische Teil des Urwaldes komplett unter Naturschutz steht, ist auf polnischer Seite nur ein Teil Schutzgebiet. Erste Rodungen haben allerdings schon stattgefunden. Umweltminister Jan Szyszko begründete die Entscheidung offiziell damit, dass so die Verbreitung eines schädlichen Borkenkäfers gestoppt werden solle. Das Schutzgebiet sei von den Rodungen ausgenommen.
Bild: Imago/S. Schellhorn
Kettensäge oder abwarten?
Umweltaktivisten argumentieren, dass sich das Borkenkäfer-Problem in den nächsten Jahren von selbst lösen werde, denn durch natürliche Feinde werde sich die Anzahl auf ein gesundes Maß verringern. Sie seien außerdem ein elementarer Bestandteil der Waldgesundheit. Seit 2013 wurden drei Prozent der gesamten Baummenge durch das Insekt befallen.
Bild: Getty Images/AFP/W. Radwanski
Wertvoller Rohstoff Holz
Während die polnische Regierung von Maßnahmen zum "Schutz" spricht, wittern Aktivisten ein lukratives Geschäft der Regierung mit dem wertvollen Holz. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen 180.000 Kubikmeter Holz geschlagen werden - deutlich mehr als die bisher geplanten 40.000 Kubikmeter. Sieben Umweltschutzorganisationen haben bei der EU-Kommission daher Beschwerde eingereicht.
Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Gera
UNESCO-Weltnaturerbe steht auf dem Spiel
Es sei ein Fehler gewesen, den Wald als Weltnaturerbe auszeichnen zu lassen, denn das ziehe eine internationale Aufsicht nach sich, sagte der polnische Umweltminister Anfang des Jahres. Von den 200 Quadratkilometern Wald auf polnischer Seite gehören 35 Prozent zum Schutzgebiet. Eine Delegation aus UN-Vertretern und Umweltforschern will sich nun vor Ort ein Bild von der Lage machen.
Bild: Reuters/K. Pempel
Jahrtausendealte unberührte Natur
Sie wollen klären, ob die Fällungen den Wald eher schützen oder ihm schaden. Beiderseits der Grenze gehört der 8000 Jahre alte Bialowieza-Urwald zum UNESCO-Weltnaturerbe.