EURO 2025: Demontiert Norwegen sein Denkmal Ada Hegerberg?
Stefan Nestler
15. Juli 2025
In Norwegen wird diskutiert, ob Fußball-Ikone Ada Hegerberg in der K.o.-Phase der EM in der Schweiz weiter in der Stammelf stehen sollte. Die einst beste Fußballerin der Welt nimmt die Kritik an ihr gelassen.
Die frühere Ballon-d'Or-Gewinnerin Ada Hegerberg wird in ihrer norwegischen Heimat kritisiertBild: Michael Zemanek/Shutterstock/IMAGO
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"Hier geht es nicht einfach nur um Ada Hegerberg", heißt es in einem Kommentar des Senders NRK, des größten Medienunternehmens in Norwegen. Hegerberg sei zwar die Kapitänin der Nationalmannschaft und damit eine Schlüsselspielerin für Nationaltrainerin Gemma Grainger. "Aber es geht darum, was das Beste für Norwegen ist." Die Stürmerin habe bei der Europameisterschaft in der Schweiz bislang "einfach keine Leistung erbracht, die dafür spricht, dass sie ihren Platz in der Mannschaft behalten sollte. Die Alternativen sind besser."
Gemeint ist vor allem Elisabeth Terland. Die 24-Jährige, die eine tolle Saison beim englischen Spitzenklub Manchester United hinter sich hat, sorgte bei ihren bisherigen Auftritten bei der EURO 2025 für deutlich mehr Angriffswirbel als Hegerberg. Das sehen wohl auch die meisten Norwegerinnen und Norweger so. In einer Online-Umfrage von NRK mit rund 20.000 Teilnehmenden plädierten 75 Prozent dafür, Hegerberg beim Viertelfinalspiel an diesem Mittwoch gegen Italien (Anstoß 21 Uhr MESZ) nicht in die Startelf zu berufen.
Was ist geschehen, dass sich eine Nation offenbar von ihrer Vorzeigefußballerin abwendet? Denn genau das ist Ada Hegerberg. Die 30-Jährige gehört zu den bekanntesten Fußballerinnen der Welt. 2018 war die Norwegerin die erste Frau, die mit dem Ballon d'Or als beste Fußballerin der Welt ausgezeichnet wurde. Bei der Preisverleihung kam es zu einem Eklat, als der Moderator die Norwegerin fragte, ob sie sich mit Twerken auskenne, einem Tanzstil, bei dem man Hüfte und Po kreisen lässt.
Noch heute ist Hegerberg mit 66 Treffern Rekordtorschützin der europäischen Champions League. Nach dem Wechsel 2014 vom damaligen deutschen Bundesligisten Turbine Potsdam zu Olympique Lyon gewann sie mit dem Topklub sechsmal die europäische Eliteklasse, dazu in Frankreich zehnmal die Meisterschaft und sechsmal den Pokalwettbewerb.
Vorkämpferin für Equal Pay
Doch zuletzt lief es für Hegerberg fußballerisch nicht mehr so rund. Bei Lyon war sie in der zurückliegenden Saison nicht mehr Stammspielerin, wurde meist nur eingewechselt und erzielte insgesamt sieben Tore. Eine eher magere Ausbeute. In ihren beiden erfolgreichsten Spielzeiten für Lyon (2015/16 und 2017/18) hatte sie jeweils häufiger als 50-mal getroffen.
Kämpferinnen für Equal Pay
Das großartige Auftreten der deutschen Fußballerinnen bei der EM hat auch in Deutschland Schwung in die Debatte um Equal Pay gebracht. Seit Jahrzehnten kämpfen Topsportlerinnen weltweit für gleiche Bezahlung.
Bild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance
Billie Jean King
In ihrer Karriere gewinnt US-Tennisstar Billie Jean King zwölf Grand-Slam-Turniere im Einzel, davon sieben Mal in Wimbledon (Bild). Sie kämpft für Equal Pay. 1973 droht sie mit einem Boykott der US Open. Zu der Zeit ist die Siegprämie bei den Männern achtmal höher als bei den Frauen. Kings Drohung wirkt. Erstmals werden in New York 1973 bei einem Grand-Slam-Turnier einheitliche Prämien gezahlt.
Bild: ASSOCIATED PRESS/picture alliance
Venus Williams
"Wimbledon hat mir eine Botschaft gesandt: Ich bin nur ein Champion zweiter Klasse". So betitelt Venus Williams 2006 ihren Gastbeitrag für die "Times". Dreimal hat sie zu diesem Zeitpunkt bereits das wichtigste Tennisturnier der Welt gewonnen. Bei ihrem Triumph 2005 kassierte sie rund 100.000 Euro weniger als Roger Federer. 2007 gewinnen beide erneut, diesmal erhalten sie gleichviel Geld.
Bild: Gerry Penny/dpa/picture-alliance
Dipika Rebecca Pallikal
2011 wird Dipika Pallikal als 19-jährige indische Squash-Meisterin. Die folgenden vier Jahre boykottiert sie die nationalen Meisterschaften, weil das Preisgeld der Frauen nur 40 Prozent der Siegprämie der Männer beträgt. Als 2016 die Prämien angeglichen werden, startet sie erneut - und gewinnt. "Es ging nicht nur um mich, sondern um die gesamte Squash-Gemeinschaft der Frauen", sagt Pallikal.
Bild: Hotli Simanjuntak/dpa/picture alliance
Eishockey-Team der USA
Auch die US-Eishockeyspielerinnen drohen 2017 mit einem Boykott. Die Weltmeisterinnen wollen ihren Titel bei der Heim-WM in Plymouth nur verteidigen, wenn es eine "faire Entlohnung" gibt. Der Verband lenkt ein. Die Jahresvergütung steigt auf rund 70.000 Dollar pro Spielerin. Das Team bedankt sich mit einem weiteren WM-Erfolg und ein Jahr später mit dem Olympiasieg in Pyeongchang (Bild).
Bild: Anke Waelischmiller/SVEN SIMON/picture alliance
Allyson Felix
Als Allyson Felix 2018 schwanger wird, macht sie öffentlich, dass Sponsor Nike ihr einen um 70 Prozent niedriger dotierten Vertrag angeboten hat. "Was ich nicht bereit bin zu akzeptieren, ist der Status Quo rund um die Mutterschaft", sagt die erfolgreichste Leichtathletin bei Olympischen Spielen. Nike ändert seine Regeln zum Mutterschutz, doch Felix trägt künftig Laufschuhe einer anderen Marke.
Bild: Getty Images
Ainhoa Tirapu
Als Spaniens Fußballerinnen 2019 streiken, ist die Torhüterin von Athletic Bilbao eine der Wortführerinnen. "Wir wollen Gleichheit, gleiche Rechte", schreibt Ainhoa Tirapu im "Guardian". Nach 16 Monaten Verhandlungen erkämpfen die Spielerinnen um die Ex-Nationaltorfrau einen Tarifvertrag, der ein Mindestjahresgehalt von 16.000 Euro sowie eine Mutterschutzregelung enthält.
Bild: Andre Pichette/dpa/picture alliance
Nneka Ogwumike
"Es ist einfach, über die Unterstützung von Frauen zu reden, aber es zu tun, erfordert eine andere Perspektive und ein anderes Bewusstsein, sagt Nneka Ogwumike, Basketballstar der Los Angeles Sparks. Unermüdlich kämpft sie als Chefin der WNBA-Spielerinnengewerkschaft für höhere Mindestgehälter, Sponsorenverträge und eine höhere Beteiligung der Spielerinnen an den Einnahmen der Liga.
Bild: Mark J. Terrill/AP/picture alliance
Portia Modise
Von 2000 bis zum Karriereende 2015 ist Portia Modise das Gesicht der südafrikanischen Fußballnationalmannschaft. Mit 101 Toren ist sie Rekordtorjägerin der "Banyana Banyana". "Zu der Zeit, als ich die beste Torschützin im afrikanischen Fußball war, lebte ich in einer Hütte", sagt Modise. "Sie haben mich ausgenutzt." Ihre Worte bringen Schwung in die Diskussion um Equal Pay in Südafrikas Fußball.
Bild: Sydney Mahlangu/BackpagePix/picture alliance
Lucy Small
Eher spontan wird die australische Profi-Surferin Lucy Small zur Equal-Pay-Aktivistin. Als sie im Frühjahr 2021 einen Longboard-Wettkampf in Sydney gewinnt und den Siegerinnen-Scheck in der Hand hält, ergreift sie das Mikrofon und spricht von einem "bittersüßen Sieg", weil ihr Surfen nur die Hälfte wert sei wie das der Männer. Das Video geht viral. Seitdem kämpft Small für Equal Pay im Sport.
Bild: Wen Surf Photography
Alex Morgan
Fußball-Nationalstürmerin Alex Morgan (r.) ist in den USA ein Publikumsliebling. Dennoch gibt es bei der WM 2015, die das US-Team später gewinnt, so wenige Fanartikel, dass Morgans Vater selbst T-Shirts drucken lässt. 2016 schreibt Morgan in der "Cosmopolitan", die Fußballerinnen verdienten "Equal Pay for Equal Play (Gleicher Lohn für gleiche Leistung). Das ist ein ziemlich einfaches Konzept."
Bild: Fernando Llano/AP/picture alliance
Megan Rapinoe
Neben Morgan treibt Megan Rapinoe den Kampf um Equal Pay voran. Angeführt von der charismatischen Weltfußballerin von 2019 verklagt das US-Team im selben Jahr den Fußballverband USFF wegen Diskriminierung auf 66 Millionen Dollar. Im Februar 2022 einigen sich beide Seiten auf die gleiche Bezahlung von Frauen- und Männerteam. "Das ist ein Wendepunkt für den Frauensport", sagt Rapinoe.
Bild: CNP/MediaPunch/imago images
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Ende 2011 bestritt Hegerberg als damals 16-Jährige ihr erstes von inzwischen 93 Länderspielen. Das wichtige 1:1 im Auftaktspiel der laufenden EM gegen Gastgeber Schweiz - die Partie endete 2:1 für Norwegen - war ihr 50. Tor im Nationaltrikot. Es könnten schon deutlich mehr sein, hätte Hegerberg sich nicht 2017 aus dem Nationalteam zurückgezogen, unter anderem aus Protest gegen die schlechteren Prämien für Nationalspielerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen.
Erst 2022 gab Hegerberg ihr Comeback für Norwegen. Sie begründete die Rückkehr ins Nationalteam mit guten Gesprächen mit der neuen norwegischen Fußball-Verbandspräsidentin Lise Klaveness und der Tatsache, dass Norges Fotballforbund (NFF) 2018 die Nationalmannschaftsprämien von Männern und Frauen angeglichen und damit das von ihr geforderte Equal Pay umgesetzt habe.
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Hegerberg: "Immer noch Vorurteile"
Frauenfußball ist in Norwegen äußerst populär. 1987 und 1993 war das Land Europameister, 1995 Weltmeister, im Jahr 2000 Olympiasieger. Laut NFF sind aktuell rund 70.500 Fußballerinnen im Verband registriert, Mädchen unter 13 Jahren nicht mitgerechnet. Das macht 27,6 Prozent der NFF-Mitglieder, also mehr als ein Viertel. Zum Vergleich: Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), mit über acht Millionen Mitgliedern der größte nationale Fußballverband der Welt, liegt der Frauen-Anteil im Erwachsenenbereich bei 17,2 Prozent.
Im EM-Spiel gegen die Schweiz wurde Elisabeth Terland (2.v.l.) für Ada Hegerberg (l.) eingewechseltBild: Vegard Grott/Bildbyran/IMAGO
Dass so viele Mädchen und Frauen in Norwegen Fußball spielen, darf sich auch Hegerberg auf ihre Fahne schreiben. Seit vielen Jahren kämpft sie unermüdlich für die Gleichstellung des Frauenfußballs. "Es gibt immer Dinge, die noch besser gemacht werden können", sagte Hegerberg vor dem EM-Start in einem Interview der Schweizer Zeitung "Blick": "Es hilft sehr, wenn wir Leistung bringen. Wir müssen noch immer gegen derart viele Vorurteile kämpfen."
Am 30. Geburtstag auf der Ersatzbank
Hegerberg ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass nun ausgerechnet ihre eigene Leistung von ihren Landsleuten angezweifelt wird. Beim 4:3-Sieg der Norwegerinnen im letzten Gruppenspiel gegen Island schonte Nationaltrainerin Grainger die Kapitänin - ausgerechnet an Hegerbergs 30. Geburtstag. Der Viertelfinaleinzug hatte schon nach den siegreichen ersten beiden Gruppenspielen festgestanden.
Grainger stärkt Hegerberg demonstrativ den Rücken. "Sie gibt alles für diese Mannschaft. Ich bin sehr zufrieden mit ihr", sagt die Trainerin. Und auch Hegerberg selbst gibt sich gelassen angesichts der Kritik in der Heimat: "Ich nehme das locker. Ein bisschen Wirbel ist in Ordnung."